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Vor 100 Jahren – Neue Musik-Zeitung 1922/10
Vor 100 Jahren – Neue Musik-Zeitung 1922/10
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Vor 100 Jahren – Neue Musik-Zeitung 1922/10

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Das Salzburger Kammermusikfest
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[…] Bemerkenswert aber, dass die alten Formen: das Klavierlied, das Klavierstück und das Streichquartett die Überraschungen des Festes brachten. Lieder, die in ihrer Gedrängtheit musikalischen Aphorismen gleichen, und in ihrer Erlebniskraft mit der Vehemenz tragödienhaft-dramatischen Geschehens überwältigen; auch hier spielt der Spiritualismus eine Rolle. Ich nenne: Castelnuovo-Tedesco, I. Pizzetti, Fr. Malipiero und den Spanier Manuel de Falla. […]

Im Klavierstil hat das Groteske Übergewicht, hier zeigt sich Phantastik, Fabulierlust und Geist. Der extremste ist Fidelio Finke, der mit seinen „Marionetten“ durch Karikierung banaler Bewegung und selbstverständlicher rhythmischer Schritte und greller Modulationen in sieben kurzen Sätzen Puppentheater vorführt […]. Meisterlich […] ist B. Bartóks Violinsonate, deren bodenständige Färbung, deren krasse Klänge und zigeunerhafte Urkraft mit treibenden Rhythmen das Gefühl überrumpelten. Von den Impressionisten im Kleinstil ist Fr. Poulenc der modernste mit eigenartigen feinen Klangverbindungen, die zur Ausdruckskunst hinüberführen. […]

Wenn ich noch sage, dass E. Blochs Violoncellostück „Schelomo“ mit auffallend sich benehmenden, langgezogenen Kantilenen und gestikulierenden Rhythmen das bewirkte, was er wollte, […] so kann ich zu den Streichquartetten überleiten.

Hier war in E. Wellesz’ Quartett ein Gegenwartstypus zu hören, ein konzis geschriebenes ehrliches Werk, das die Komplikation der Arbeit mehr betont, als den starken ideensuchenden Gedanken. A. Weberns Werk bleibt ein klangliches Experiment, das in der Geschichte der musikalischen Technik viel zitiert werden wird. Man staunt über die Folgerichtigkeit des einmal gefaßten Entschlusses, technisch und gefühlsmäßig das Äußerste zu geben, was denkbar ist.

An das Ende meiner Betrachtung stelle ich das Streichquartett P. Hindemiths, ein Werk, das im Ebenmaß der Gestaltung, in der Klarheit der Sprache, in der Kraft der Melodik, in der Verteilung von Gefühl, Gedanken und Ornament und in seiner seelischen Ausdrucksintensität als Meisterstück anzusehen ist. Beneidenswert die Nation, die einen solchen Kopf hervorgebracht hat, der mit Schubertschem Genie singt, mit tiefster Inbrunst betet, mit der Naivität eines Kindes lacht und revolutionär ist, ohne zu kämpfen […]

Dr. Erich Steinhard, Neue Musik-Zeitung, 44. Jg., 5. Oktober 1922

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