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Vor 100 Jahren: Walter Braunfels: „Die Vögel“. Ein lyrisch-phantastisches Spiel

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Uraufführung am Münchner Nationaltheater am 30. September
Publikationsdatum
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Keine Oper mit üblichem, normal gefügtem Szenenbau. Auch kein musikalisches Drama mit theatergerechten und starken Wirkungen. Vielmehr ein parabolisches Stück, das zu seinem vollen Verständnis vom gewöhnlichen Theaterpublikum nicht gerade wenig voraussetzt. Wer dieses Spieles tiefsten Sinn nicht ohne weiteres zu erfassen vermag, der kann doch der in reine Klangschönheit gerückten Ausdruckswelt der Braunfelsischen Musik unmöglich teilnahmslos gegenüberstehen.

Die beiden für den schaffenden Menschen und Künstler (insbesondere für den Musiker) unentbehrlichsten und fruchtbarsten Empfindungsgewalten: Sehnsucht und Liebe – bilden die Dominante dieser Musik. Sie sind es auch, die das rein satirische Element in der Komödie des Aristophanes in den Hintergrund drängten. Es hat wenig Sinn, das Braunfelsische Werk nach den Gesichtspunkten zu beurteilen, die sonst normalen Bühnenwerken gegenüber berücksichtigt werden müssen. So schön und tief sein Sinn, so bedeutend sein künstlerischer, sein musikalischer Wert ist: ob das phantastische (für seine Ausführung außerordentlich schwierige) Spiel Braunfelsens an unserem heutigen Theater es zu einem nachhaltigen Erfolg bringen könne –, ist zum mindesten zweifelhaft… […]

Braunfels, der mit großem Geschick das Buch zu seinem Spiel selbst geschrieben, ist ein Musiker voll Geist und Witz, mit einem klaren und sicheren Gefühl für musikalische Form und Architektur, mit einer wahrhaft bedeutenden Gestaltungskraft. Streift Braunfels im Bezirk des Phantastischen, so entpuppt er sich als ein Geistesverwandter von Hector Berlioz, von dem er auch in Beziehung auf Orchesterbehandlung und Orchesterwitz ersichtlich beeinflußt ist. Noch ein weiterer Einfluß wird stark fühlbar: der von Hans Pfitzner. Selbstverständlich hat Braunfels in manchem Orchestertechnischen auch von Richard Strauss gelernt; er steht aber diesem Meister innerlich und musikalisch sonst durchaus fern.

Von besonderer Schönheit und ergreifender Wärme ist das reiche Melos in der breit ausladenden Lyrik des Werkes. Wer so etwas schreiben kann, wie die große lyrische Szene (zwischen Nachtigall und Hoffegut) am Anfange des zweiten Aktes –, vor dem muß man den Hut ziehen. Es ist ein glänzendes Können, mit dem dieses Werk gestaltet ist, ein echtes, gesundes und wahres Musikertum, dem es entwachsen. Von Geist, Humor, Witz, Phantasie und tiefer Empfindung –, von all dem ist in den „Vögeln“ genug zu finden.

Richard Würz, Neue Musik-Zeitung, 42. Jg., 5. Januar 1921

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