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Vorboten künftiger Berliner Programme

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Simon Rattle dirigiert bei der Kölner MusikTriennale neue Werke von Henze, Holt und Lindberg
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Stürmische Zeiten beschert die sechste Jahreszeit, die nun schon seit Monaten Millennium heißt, so manchem Kulturorganisator oder Festivalmacher, und das Uraufführungskarussell wird kräftig durcheinander gewirbelt. Aus der vor dem Jahreswechsel noch stolz angekündigten Henze-Uraufführung wurde zunächst eine deutsche, am Ende nur mehr eine Kölner Premiere. Die Biennale war der Triennale ein Stück voraus.

Dass um genau dieses Stück dann eben nicht so viel Aufhebens gemacht wurde, hatte vielleicht aber auch sein Gutes. Mit „A Tempest (Rounds for the Orchestra)“ beschert Henze dem symphonischen Repertoire einen weiteren stürmischen Symphonie-Kopfsatz, nicht mehr und nicht weniger. Der virtuose Umgang mit dem vielerprobten Apparat klingt bei aller intendierten Wucht und Verstörung doch recht vertraut, Streicherkantilenen bieten in der blechzerklüfteten Landschaft ihre Heimstatt an. Andererseits ist die Plastizität in der Kontrastierung von Instrumentengruppen, die Henzes symphonisches Œuvre immer auszeichnete, einem eher kompakten, dabei freilich meisterhaft abgetönten Mischklang gewichen, dessen Potenzial erst in Verbindung mit den noch zu vollendenden Sätzen zu ermessen sein wird.

Halbzeit bei der dritten und letzten Kölner Triennale – Konditionsschwächen aber nur in Sachen Publikumszuspruch. Ein halb gefülltes, dafür aber um so enthusiastischeres Auditorium folgte dem zukünftigen Berliner Chef-Philharmoniker Rattle bei seiner brillant dargebotenen Birminghamer Version eines Gangs durch gegenwärtige oder jüngst vergangene Klangwelten. „Big, sexy, expressive“ stellt er sich diese vor, so zumindest sein Wunsch an eine Ende März uraufgeführte Auftragskomposition von Simon Holt, Jahrgang 1958. Der aber zog es vor, mit „Sunrise ‚yellow noise‘“ die Zerbrechlichkeit eines Gedichtes von Emily Dickinson in einem bis in feinste Verästelungen differenzierten Holzbläsersatz offen zu legen. Die um sparsames Blech und reduziertes Streicherflirren ergänzten Instrumentalritornelle gerieten so zur eigentlichen Essenz, während die Deklamation selbst – vom Harfen-begleiteten Summen ins Emphatische ausbrechend – eher sekundär wirkte. Dies lag vielleicht auch daran, dass die Sopranistin Lisa Milnes nicht durchweg in eine ideale Balance zum Orchester fand.

 

Eine ähnlich elaborierte Bläserbehandlung vermisste man beim ebenfalls neuen „Gran Duo“ des Finnen Magnus Lindberg weitgehend. Die auf Streicher und Schlagzeug verzichtende Gegenüberstellung und Verzahnung von Holz und Blech in diesem an das Satzmodell einer Chaconne anknüpfenden Zyklus geriet über weite Strecken zu einer bloß plakativen Zurschaustellung. Eine Art „Birmingham Brass“ war da zu hören, im Gestus bisweilen unvorteilhaft an olympische Fanfaren gemahnend. Das explosive Niveau seiner Orchesterwerke aus den 80er-Jahren erreichte Lindberg hier zu keinem Zeitpunkt. Vielleicht wäre Rattles gegenüber dem „Daily Telegraph“ geäußerter Entschluss, gerade dieses Stück in seine ersten Berliner Programme aufzunehmen, noch überdenkenswert.

Auch mit seinem einstigen Hauskomponisten Mark-Anthony Turnage will Rattle das Berliner Publikum möglichst bald bekannt machen. Und was wäre da besser geeignet als „Blood on the floor“, dieser sechs Jahre junge Geniestreich in Sachen symphonische Jazzrock-Verfremdung? Das Turnage-erprobte Birminghamer Orchester ging ganz ohne crossovernde Verkrampfung an diese Partitur heran, die den rhythmischen Drive eines Jazztrios (mit lässiger Konzentriertheit: Jesse van Ruller, Gitarre, Martin Robertson, Saxophone und Paul Clavis, Schlagzeug) mit der aggressiven Bulligkeit eines zur riesigen Bigband mutierten Orchesters zu verbinden versteht. Doch auch der verletzliche Tonfall der dem Gedenken des Bruders gewidmeten Sätze wurde mit der ihnen zustehenden Würde umgesetzt – selbst dort, wo eine Art „Scofield with Strings“-Dialekt sich in Turnages ureigene Sprache einzuschleichen droht.

Messiaens letztes Orchesterwerk „Éclairs sur l’Au-delà...“ von 1991 war das älteste Stück im Triennale-Programm Rattles. Und mit seiner mitunter schier überbordenden, ganz diesseitigen Üppigkeit verströmte es auch ein wenig die Nostalgik einer zeitlosen Moderne jenseits des Modischen. Die Fanfaren des Jüngsten Gerichts, einen wohlig-unerbittlichen Schauer verströmend; ganze Vogelscharen, freigelassen und im Gebälk der Kölner Philharmonie sich einnistend; körperlos synchronisierte Streicherunisoni, das Unsagbare kündend: Rattle und ein beinahe noch über sich hinaus wachsendes Orchester taten alles, um einem Komponisten zu huldigen, der das Ganze mit Wohlwollen von dort aus beobachtet haben dürfte, wo er seit 1992 als „Composer in residence“ weilt.

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