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Was bringt uns ein Staatsminister für Kultur?

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Die neue musikzeitung befragte wichtige deutsche Musik- und Kulturverbände
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Was bringt uns ein Bundeskulturbeauftragter beziehungsweise Staatsminister für Kultur? Als wir diese Frage formulierten, war Michael Naumann zwar schon Mitglied im Schattenkabinett Gerhard Schröders, seine künftigen Kompetenzen waren jedoch nicht exakt umrissen. Inzwischen wurde der parteilose Verleger und Journalist Naumann Staatsminister für Kultur. Lesen Sie die Antworten von Musik- und Berufsverbänden sowie Gewerkschaften auf unsere Umfrage. Deutscher Tonkünstlerverband Das Thema Bundeskulturbeauftragter beziehungsweise Staatsminister für Kultur stand auch auf der Länderkonferenz des DTKV am 10. Oktober in Bonn auf der Tagesordnung. Inka Stampfl, Präsidentin des DTKV, teilte der nmz einige zusammenfassende Stichpunkte mit: Einen Bundeskulturbeauftragten oder Bundeskulturminister hielten die Delegierten der DTKV-Länderkonferenz nur dann für begrüßenswert, wenn gleichzeitig auch eine Kulturinstitution auf Bundesebene geschaffen werde. In dieser neuzubildenden Kulturinstitution sollte eine Bündelung von Ansprechpartnern und Abteilungen stattfinden, die für die Belange der einzelnen Kunst- und Kultursparten zuständig sind. Für wichtig wurde auch eine enge Zusammenarbeit (kurze Wege!) mit dem Bundesinnenministerium, dem Wirtschaftsministerium und anderen wichtigen Ministerien erachtet. Unabdingbar allerdings müsse die Wahrung der Kulturhoheit der einzelnen Länder bleiben. Prof. Dr. Inka Stampfl, Präsidentin des Deutschen Tonkünstlerverbandes Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Darüber, ob es überhaupt einen Staatsminister für Kultur geben soll, gehen die Meinungen – auch im Spektrum der BKJ – auseinander. Diese Entscheidung ist jedoch inzwischen getroffen worden, so daß sich jetzt die Frage des Zuschnittes eines solchen Kultusministeriums stellt. Man wird sich hierbei im klaren darüber sein müssen, das Wünsche aus dem Bereich der Träger und Akteure eine kleinere Rolle spielen, als die Verhandlung am Koalitionstisch, bei der andere, außerfachliche Aspekte berücksichtigt werden müssen. Aus der Sicht der BKJ ist fachlich folgendes anzumerken: 1. Der Grundbegriff der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, die „Kulturelle Bildung“, ist im Hinblick auf Ressorts ein typischer Querschnittsbegriff: Er hat sehr viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun, aber auch mit den Künsten und Medien, mit der Aus- und Fortbildung, mit Schule, außerschulischer Jugend- und mit Elternarbeit. Für all diese Fachressorts hat die BKJ sehr gute Gründe dafür geliefert, daß es ein Menschenrecht auf kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe gibt, sowie es etwa Art. 31 der UN-Kinderrechtskonvention formuliert. 2. Die BKJ und ihre Mitglieder haben in den letzten Jahrzehnten eine Menge dazu getan, daß diese Grundüberzeugung in verschiedenen Politikfeldern geteilt wird. Insbesondere ist es im jugendpolitischen Kontext gelungen, „Kulturelle Bildung“ als legitimen Teil von Jugendarbeit (§ 11 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes) zu festigen. Es ist in diesem Feld anerkannt, daß die BKJ und ihre bundesweit aktiven Mitglieder Teil einer „bundeszentralen Infrastruktur“ der Jugendhilfe sind, ihre Tätigkeit als notwendige öffentliche Aufgabe anerkannt ist und sie daher Anspruch auf eine auf Dauer angelegte Förderung haben. Dies darf unter keinen Umständen gefährdet werden. 3. Ein Kultusminister könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, in seinem Zuständigkeitsbereich – und vor allem als Sachwalter des Kulturellen in den anderen Fachressorts – kulturelle Bildung in oben vorgestelltem Sinne zu befördern. Das bedeutet etwa: – Wiedereinführung eines Förderprogramms Kulturelle Bildung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung; – Die Betonung von kultureller Bildung als Allgemeinbildung, was insbesondere heißt, Fördermaßnahmen nicht ausschließlich auf unmittelbare berufliche Qualifizierung zu beschränken; – Die Unterstützung eines Kampfes gegen neoliberale Tendenzen, die auch im Jugend-, Sozial- und Bildungsbereich nur noch auf die „freien Kräfte des Marktes“ setzen – und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes eher gering schätzen. Dies gilt in besonderer Weise bei der gesellschaftspolitischen und kulturellen Bewertung der Entwicklung der Neuen Medien. 4. Ein Kultusminister müßte all dies auf nationaler, vor allem aber auf der Ebene der Europäischen Union tun. Dort gibt es inzwischen zahlreiche gut formulierte Grundsatzpapiere zum „Bildungsraum Europa“; Auf der Ebene der Administration und der Umsetzung der verschiedenen Förderprogramme dominiert jedoch oft genug eine bürokratisch enge Auslegung. Ein Kultusminister, der sich in dieser Weise als Sachwalter des Kulturellen – auch gegenüber eigenen Regierungskollegen/-innen – verhält, kann sich der fachlichen und politischen Unterstützung der Träger der kulturellen Bildung gewiß sein. Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V. (BKJ) Gesellschaft für Musikpädagogik/Verband der Musikpädagogen Wenn in der politischen Spitze ein solcher Repräsentant sitzt, der auch das Ohr des Bundeskanzlers hat, kann möglicherweise der Stellenwert der Kultur insgesamt erhöht werden. Die bisher bei vielen Angelegenheiten vorgeschobene Ausrede, Kultur sei Ländersache, wird man vielleicht künftig seltener hören. Während viel von Europäisierung oder gar Globalisierung gesprochen wird, ist in Deutschland besonders im Bereich Bildungspolitik noch immer Kleinstaaterei an der Tagesordnung. Man denke nur an die unterschiedlichen Einstellungsvoraussetzungen für Lehrer, die Curricula und Unterrichtsmaterialien, die Rechtschreibreform. Es ist grotesk, daß etwa Musiklehrer aus anderen EU-Ländern in Nordrhein-Westfalen eingestellt werden können, Lehramtskandidaten aus Nordrhein-Westfalen jedoch von Baden-Württemberg abgelehnt werden, weil sie angeblich zu schlecht ausgebildet sind. Grotesk ist es auch, daß hervorragende Unterrichtsmaterialien, die in anderen Bundesländern zugelassen sind, in Baden-Württemberg nicht zugelassen werden, weil sie den von diesem Land verordneten Liederlisten nicht ganz entsprechen. Oder man denke an die absurde Tatsache, daß Schleswig-Holstein als einziges Bundesland die Rechtschreibreform abgelehnt hat. Prof. Dr. Siegmund Helms, Vorsitzender GMP/VMP Jeunesses Musicales Deutschland Wenn ich das wüßte! Da müssen Sie schon Herrn Naumann selber fragen. Aber ich wäre sehr froh, wenn er uns was Gescheites bringen würde, denn gebracht hat uns lange niemand mehr etwas. Aber vielleicht dürfen wir uns etwas wünschen? Wir sind bescheiden und äußern jetzt drei kleine Wünsche: Wir wünschen uns bessere gesetzliche Rahmenbedingungen. Ein Beispiel: Maximal 60.000 Mark dürfen wir im Jahr im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (Sponsoreinnahmen, Pausengetränkeverkauf, Verkauf von T-Shirts) steuerfrei einnehmen. Alle unsere Überlegungen, noch zusätzlich Geld für unsere – wohlgemerkt „anerkannt gemeinnützige“– Arbeit zu verdienen, scheitern an dieser Grenze. Sollten wir sie nämlich einmal überschreiten, dann müssen wir den Gesamtbetrag mit fast 50 Prozent versteuern. Auf der einen Seite werden also Kürzungen damit begründet, daß wir uns verstärkt um Eigeneinnahmen und Sponsoren bemühen sollten, auf der anderen Seite wird uns genau das durch die Steuergesetzgebung verunmöglicht. Wir wünschen uns eine starke und kompetente Lobby in Brüssel. 1 Prozent ihres Haushaltes wollte die EU für Kultur verwenden. Sie ist noch weit davon entfernt. Die Abwicklung von Anträgen im Kulturbereich durch die EU-Bürokratie ist skandalös. In der Regel werden die Zuwendungsbescheide erst kurz vor Beginn oder wenn die Projekte schon vorbei sind, erteilt. Damit können aber nur Institutionen arbeiten, die so groß und finanziell abgesichert sind, daß sie ein Projekt auch auf das Risiko hin durchführen können, daß die EU nicht fördert. Deutsche Träger brauchen eine ebenso starke Unterstützung wie sie die anderer Länder auch haben. An wen sollen wir als Bundesverband uns wenden? Die Landesvertretungen sind immer nur für ein Bundesland zuständig. Kulturelle Jugendbildung ist eine Querschnittsaufgabe und es ist wichtig, daß das so bleibt. Indem wir die künstlerische Praxis von möglichst vielen Kindern und Jugendlichen fördern wollen, betreiben wir gleichzeitig auch Jugendarbeit und Bildungsarbeit. Wir wollen jungen Menschen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihr Leben vielleicht etwas glücklicher bewältigen können, indem wir ihnen den Weg zur Kunst öffnen, indem wir sie mit anderen Kulturen bekannt machen und ihre Lebensfreude, Kreativität und ihr Sozialverhalten ansprechen. Es wäre verhängnisvoll, wenn unsere Arbeit in einem „Kultusministerium“ darauf reduziert würde, nur für den Nachwuchs an Spitzenkünstlern verantwortlich zu sein. Thomas Rietschel, Generalsekretär Jeunesses Musicales Deutschland Deutsche Orchestervereinigung (DOV) Bühnen und Orchester sind in der Trägerschaft von Kommunen und Ländern, im Falle rechtlicher Selbständigkeit durch Kommunen und Länder finanziert. Der Bund beteiligt sich nur in wenigen, historisch bedingten Ausnahmefällen an solcher Trägerschaft und Finanzierung, außerdem muß er die Mittel für die Hauptstadtkultur mittragen. Die großflächige Kulturförderung der Institutionen im Osten Deutschlands nach dem Zusammenbruch der DDR, in Art. 35 des Einigungsvertrages mit Substanzerhalt umschrieben und als solcher in den Jahren nach der Wende in der Tat unverzichtbar, ist längst schon wieder Geschichte – der Länderfinanzausgleich hat die Bundesförderung abgelöst. Nach innen wird sich mithin, da sich an der föderalen Struktur und den Verantwortlichkeiten in der Bühnen- und Orchesterkultur nichts ändern wird, ein Bundesbeauftragter oder Staatsminister für Kultur nur begrenzt unmittelbaren Einfluß verschaffen können, bei der Hauptstadtkulturförderung wird er ihn sich verschaffen müssen. Bündelung der Kräfte, Konzentrierung der Zuständigkeiten, Aufwertung des Kulturschaffens und der Kulturschaffenden, das ist es, was eine solche Persönlichkeit, auch durch ihre Einbindung in die Gesetzgebungsverfahren, jedoch in starkem Maße bringen kann. Die Unterstützung und Bezuschussung von Gastspielen deutscher Orchester und Ensembles im Ausland, bisher ein sehr kleiner Bereich im Außenministerium, kann durch einen Bundeskulturbeauftragten, erst recht durch einen Staatsminister für Kultur, wesentlich an Bedeutung gewinnen und damit zur Verbreitung und zum Ansehensgewinn deutscher Musik- und Bühnenkunst in der Welt beitragen. Prof. Dr. Rolf Dünnwald, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung e.V. IG Medien Mit dem Ergebnis der Bundestagswahlen und der Bildung einer rot-grünen Bundesregierung verbinden sich nicht nur Hoffnungen und berechtigte Erwartungen für eine gerechtere Wirtschafts- und Sozialpolitik. Schon im Wahlkampf hat der Kanzlerkandidat mit der in Aussicht gestellten Berufung eines Staatsministers für Kultur ein Zeichen auch für eine neue Kulturpolitik gesetzt. Die IG Medien erwartet jetzt eine Kulturpolitik des Bundes, die die bisher auf verschiedene Ministerien verstreuten Mittel und Einwirkungsmöglichkeiten bündelt. Es geht dabei nicht darum, in die Kulturhoheit der Länder einzugreifen. Es gilt, gemeinsam eine koordinierte Politik zu entwickeln, die angesichts leerer Kassen die knappen Ressourcen abgestimmt und zielgerichtet einsetzt. Darüber hinaus ist schon lange deutlich geworden, daß eine Politik der Bundesregierung auf europäischer Ebene auch und gerade für kulturpolitische Belange dringend notwendig ist. Europäische Kulturpolitik muß mehr sein, als die Förderung von Leuchtturmprojekten oder ein durch künstlerische Beiträge garniertes Treffen der Staats- und Regierungschefs. Neben der Wirtschaftsmacht muß die Bundesrepublik auch als Kulturnation Flagge zeigen. Hier tut sich ein wichtiges Aufgabenfeld für den neuen Kultur-Staatsminister auf. Einer der nächsten konkreten Beiträge von Herrn Naumann könnte es sein, sich auf europäischer Ebene für den Erhalt der Buchpreisbindung einzusetzen. Die IG Medien als gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten und freiberuflich Tätigen im Kunst- und Medienbereich erwartet darüber hinaus von der neuen Bundesregierung und insbesondere dem künftigen Staatsminister für Kultur, daß Kulturpolitik nicht nur schmückendes Beiwerk ist, sondern integraler Bestandteil aller Politikfelder wird. Monika Papke, Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstandes der IG Medien Verband Deutscher Schulmusiker Die Frage danach, was der Bundesrepublik Deutschland ein Staatsminister für Kultur bringe, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur schwer zu beantworten. Vermutlich wird sich diese Frage, die ja eine nach der Effizienz des Amtes ist, erst in einiger Zeit beantworten lassen und ist dies eher der Augenblick, sich den Erwartungen an Amt und künftigen Amtsinhaber zuzuwenden: Der Verband Deutscher Schulmusiker verbindet mit der Ernennung eines Staatsministers für Kultur im Bundeskanzleramt die Erwartung, daß kulturelle Belange künftig generell eine Aufwertung und stärkere Beachtung in der Politik erfahren: Ein Staatsminister für Kultur sollte im Kanzleramt beständiges Sprachrohr für die Kultur sein, das Bewußtsein für kulturelle Fragestellungen wachhaltend, wo möglich schärfend. Der VDS erwartet nicht, daß der künftige Staatsminister Länderaufgaben zu übernehmen beabsichtigt: Vielmehr sollte er Initiativen aus den Ländern aufnehmen, wirksam fördern und verstärken. Für jene Organisationen, die bereits im Bereich der Kultur auf der Bundesebene agieren, sollte er Ansprechpartner sein: Ihr Engagement sollte durch ihn mehr Gewicht und Gehör in der Tagespolitik erhalten. So zum Beispiel die Initiativen des Deutschen Musikrates und der deutschen Musikwirtschaft gegen den auch vom VDS angeprangerten schleichenden Abbau des Musikunterrichts an den allgemeinbildenden Schulen. Die unterschiedlichen Aktivitäten und Initiativen im kulturellen Bereich (bislang verschiedenen Ministerien und Kompetenzebenen zugeordnet) zu bündeln, zu koordinieren, vor allem aber ideell und finanziell wirksam zu fördern, gehört zu den Erwartungen an einen künftigen Staatsminister für Kultur – mit Blick auf Bonn/Berlin, besonders aber mit Blick auf Brüssel: Daran mitzuwirken, daß das Bewußtsein für die Bedeutung der Kultur in einem zusammenwachsenden Europa zunimmt und durch kulturelle Programme weiter gefördert wird, dürfte eine wesentliche Herausforderung für ihn sein. Schließlich: Ob die Ernennung eines Staatsministers für Kultur wirklich als Signal für eine neue Wertschätzung der Kultur zu bewerten ist, wird wesentlich davon abhängen, daß der designierte Amtsinhaber Gestaltungskompetenzen erhält und ein großzügig bemessener Etat ihm Gestaltungsspielräume eröffnet. Der VDS erwartet, daß den hoffnungsvollen Ankündigungen Taten folgen, und wünscht dem Staatsminister Michael Naumann eine starke und glückliche Hand.

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