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Virtuell in Mozarts Handschrift blättern: Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll auf CD-ROM (Stiftung Mozarteum Salzburg)
Virtuell in Mozarts Handschrift blättern: Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll auf CD-ROM (Stiftung Mozarteum Salzburg)
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Was Sie schon immer über Mozart wissen wollten

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Vorhersehbares und Überraschendes auf den Haupt- und Nebenpfaden der Jubiläums-Literatur
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Die großen Komponisten-Jubiläen lösen die immer gleichen Rituale aus. Auf der einen Seite die mediale Überpräsenz, auf der anderen das zur Routine verkommene Lamento darüber; hier eine auf den Punkt genau arbeitende Marketing-Maschinerie, dort eine vermeintlich gedenk-resistente Schar von Skeptikern, die vorgibt, den Jubilar am liebsten ein Jahr lang gar nicht hören zu wollen. Wenn dann auch noch der „Mozart-Effekt“ hinzu kommt, hilft alles Lamentieren nichts: Man muss da durch. Eine erfreuliche Ausbeute auf dem Buchsektor mag dabei helfen, das Jahr auch ganz gut Mozart lesend statt hörend zu verbringen.

Den Schock, dass das Mozart-Bild lange Zeit von der Monografie des (freilich brillanten) musikalischen Laien Hildesheimer (1977) und von einem (höchst unterhaltsamen) „Amadeus“-Film (1984) geprägt wurde, scheint die Musikwissenschaft mittlerweile verdaut zu haben, auch wenn beide Meilensteine als Referenzpunkte (zumeist im Sinne einer Abgrenzung) nach wie vor präsent sind. Ein in manchen Punkten neues Bild Mozarts zu zeichnen, versucht gleichwohl nur eine Publikation ausdrücklich.

Akribisches Psychogramm

Maynard Solomon, der psychologisch geschulte amerikanische Musikologe, legte seine Biographie bereits 1995 in englischer Sprache vor, die Übersetzung war also überfällig und hätte antizyklisch, jenseits des Jubiläumsrummels veröffentlicht, wahrscheinlich mehr Aufsehen erregt. Solomon gelingt nichts Geringeres als das akribische Psychogramm eines – so Solomons überzeugend belegte These – zeitlebens in familiäre Abhängigkeiten verstrickten Menschen. Kernpunkt seiner Darstellung ist das genaue und einigermaßen schonungslose Porträt Leopold Mozarts und die Analyse einer künstlerisch beispiellos erfolgreichen, aber ebenso diffizilen Vater-Sohn-Beziehung unter Berücksichtigung der immer wieder dramatisch in den Vordergrund drängenden Finanzfragen. Natürlich sind die herangezogenen Fakten nicht neu, aber die Konsequenz ihrer Deutung setzt zweifellos Maßstäbe. Dabei bleibt Solomon nicht bei der posthumen Analyse stehen, sondern bezieht immer auch die wechselnden Bedingungen für Mozarts Kreativität mit ein. Musikalische Analysen spielen allerdings eine eher untergeordnete Rolle, und dass Solomons Stärken woanders liegen, ist exemplarisch an den aufeinander folgenden Kapiteln zum Tod der Mutter einerseits und zur a-Moll-Klaviersonate andererseits abzulesen.

Von anderem Kaliber sind da die musikbezogenen Essays Martin Gecks, der sie streng vom biografischen Teil seines Mozart-Buches abtrennt. Mit einigem Mut zur Lücke setzt er Schwerpunkte (etwa auf die Opern seit „Idomeneo“), bleibt bei aller Versenkung in die Notentexte immer der brillante Erzähler, der zuvor den lockeren, aber nie oberflächlichen Gang durch Mozarts Leben schon so lesenwert gemacht hatte. Ein wenig bemüht vielleicht der wiederkehrende Rekurs auf Mozart als „Harlequin“, dem Geck das zentrale Kapitel als Mittelachse widmet, wenngleich seine These eines „von den Formgerüsten“ herabsteigenden und jederzeit zur Kommunikation fähigen Künstlers einiges für sich hat.

Wie Geck so geht auch Piero Melograni auf eine breitere musikinteressierte Leserschaft zu. Mit flüssiger Schreibe gelingen dem italienischen Historiker einige wissenswerte Seitenblicke auf das politische Umfeld, insgesamt krankt seine auf Mozarts Leben fokussierte Darstellung aber an dem unausgewogenen Verhältnis zwischen dem Willen zum großen Bogen einerseits und nicht weiter kommentierten Details andererseits. Ärgerlich aber vor allem die kursorische Behandlung von Einzelstücken oder Werkgruppen, die über verbale Kniefälle so gut wie nie hinausgeht.

Die solideste und ausgewogenste Zusammenschau des Forschungsstandes ist zweifelsohne Ulrich Konrad zu verdanken. Das kommt nicht von ungefähr, geht seine Darstellung doch auf seinen ausführlichen Artikel in der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ zurück. Im leicht erweiterten biografischen Teil gibt Konrad zuverlässig und mit souveräner Gewichtung Auskunft über Mozarts Leben, setzt im Werkkommentar kluge gattungsübergreifende Akzente und legt ein mustergültiges (auch separat erhältliches) Werkverzeichnis vor, das der MGG-Version einiges an Übersichtlichkeit voraus hat.

Schwergewichtiges

Die neben Solomon und Konrad dritte wichtige Publikation aus dem Bärenreiter Verlag (in Kooperation mit Metzler) konzentriert sich ganz auf die Auseinandersetzung mit der Musik. Was Herausgeberin Silke Leopold im „Mozart-Handbuch“ (nach Bach, Schubert und Verdi das dritte seiner Art) an Gattungsüberblicken und Werkkommentaren versammelt hat, flößt Respekt ein, ohne von der Lektüre abzuschrecken. Sie selbst hat zusammen mit Wolfgang Schreiber das Opernschaffen übernommen – in der Ausführlichkeit der Darstellung fast ein Buch im Buch, das Fragen des Gattungshintergrundes (Opera seria und buffa, Singspiel, etc.) ebenso umfasst wie Aspekte der Aufführungs- und Inszenierungsgeschichte. Sind die analytischen Detailbeobachtungen hier durch den Rekurs auf einzelne Arien für Kenner der Werke noch weitgehend nachvollziehbar, so sind sie etwa in Volker Scherliess’ Sinfonie- oder Peter Gülkes Konzertkapitel ohne Notenausgabe oft kaum nachvollziehbar, was allerdings auch nur konsequent ist, will man, wie hier nachdrücklich geschehen, über das Niveau eines gehobenen Konzertführers hinausgehen. Dass dies keine sture Werkimmanenz bedeutet, machen die einleitenden Abschnitte etwa zur geistlichen Musik oder zu den Tanzkompositionen auf erfreuliche Weise deutlich. Vielmehr wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Mozarts Musik immer auch angewandte Musik war, auf bestimmte Anlässe und Aufführungssituationen bezogen, diese freilich oft genug transzendierend.

Ein ähnliches Schwergewicht legt nur noch der Laaber Verlag mit seinem „Mozart-Lexikon“ vor, das wie viele Unternehmungen dieser Art starken Schwankungen in der Qualität der Einträge unterworfen ist. Während Werkgruppen und Gattungen meist zuverlässig, wenn auch gezwungenermaßen knapper behandelt werden als im Mozart Handbuch, so bleibt der Erkenntniswert bei manchen Personeneinträgen doch eher bescheiden. So sind die in der Auswahl etwas zufällig wirkenden Sänger- und Dirigenten-Artikel von Karl Böhm bis Bruno Walter weitgehend entbehrlich, weil deren Bedeutung für die Mozart-Interpretation kaum oder gar nicht zur Sprache kommt. Erfreulich die Einträge zur Mozart-Rezeption in ausgewählten Ländern (so lange sie nicht wie im Falle Spaniens auf die Literatur beschränkt sind), zu wichtigen Städten oder zu den Reisen Mozarts; eher enttäuschend der Artikel zur medialen Präsenz oder zu den Salzburger Festspielen, der dürftiger wird, je weiter er sich der Gegenwart annähert. Die Nützlichkeit eines solchen Nachschlagewerks steht freilich außer Frage, zumal eine Fülle von Literaturhinweisen das Feld weiter auffächert. So weit, so vorhersehbar die Geburtstagswünsche der Verlage. Umso erfreulicher, dass sich die Internationale Stiftung Mozarteum nicht mit einem einfallslosen Prachtband an der Festivität beteiligt, sondern zwei höchst originelle Publikationen herausgebracht hat. Mit „Mensch Mozart!“ gibt sie in einem flott gestalteten und reich bebilderten Büchlein knappe, schlagfertige „Antworten auf die 100 häufigsten Fragen“, die nahe liegenden („Wo wohnte Mozart in Wien?“) und die abseitigeren („Hatte Mozart ein verkrüppeltes Ohr?“), die einfacher („Wie viele Reisen unternahm Mozart?“) und die schwerer zu beantwortenden („Worin liegt das Geniale in Mozarts Kompositionen?“). Die Lockerheit, mit der hier wissenschaftlich Abgesichertes für jedermann nachvollziehbar präsentiert wird, überzeugt, ohne sich anzubiedern.

Mozart multimedial

Ein medialer Coup ist der Stiftung gar mit der CD-ROM zu Fantasie und Sonate c-Moll gelungen. Grundlage ist Mozarts Handschrift, die einerseits durchgeblättert, mit der Lupe betrachtet oder auf besonders markierte Takte hin untersucht werden kann, zu denen sich dann Informationsboxen mit Hinweisen zu Korrekturen oder Änderungen öffnen. Andererseits kann man mit der Handschrift die integrierte Aufnahme (Florian Birsak spielt auf Mozarts Walter-Flügel) punktgenau anwählen, sich alternative Fassungen vortragen lassen oder einfach nur mitlesend zuhören. Technisch hervorragend umgesetzt ist dies ein mustergültiges Beispiel für die sinnliche Aufbereitung von Forschungsergebnissen.

Eine weitere CD-ROM (aus der bewährten Digitalen Bibliothek) kommt weniger spektakulär daher, ist aber prall gefüllt mit biografischem und dokumentarischem Material. Versammelt sind die wichtigsten Mozart-Biografien, beginnend mit Niemetschek und Nissen über Jahn und Ulibischeff bis zu Abert und Einstein (und viele weniger wichtige, aber nicht minder interessante), dazu viel Ausgefallenes (wie etwa der Reiseführer, der Leopold Mozart und seine Familie durch Teile Europas begleitete), ältere Briefausgaben und das Köchelverzeichnis von 1965. Das spartPlatz im Regal und lädt über die Suchfunktion zu gezieltem Querlesen ein. Etwas ausführlicher hätten die einleitenden Kommentare des Herausgebers Rudolph Angermüller zur Bedeutung der einzelnen Schriftstücke freilich im ein oder anderen Fall sein können.

Lohnende Nebenpfade

Dass das gedruckte Buch nach wie vor nicht zu ersetzen ist, beweist der Band „Zwischen Himmel & Erde“, den der Carus Verlag zu einer Ausstellung des Salzburger Dommuseums herausgebracht hat. Mozarts geistliche Musik samt ihrem institutionellen und religionshistorischen Hintergrund wird hier in hervorragend reproduzierten Bilddokumenten und ausführlichen Fachaufsätzen und Essays in den Fokus gerückt. Zu Recht, bildete die Kirchenmusik doch eine wichtige Konstante in Mozarts Schaffen, die – wäre Mozart nicht 35-jährig gestorben – mit der in Aussicht gestellten Übernahme des Wiener Domkapellmeisteramtes zu seiner Hauptaufgabe geworden wäre. Eine sorgfältig zusammengestellte CD ergänzt den prächtigen, inhaltsreichen Band aufs Schönste.
Erfreulich, dass auch der kleine, auf das Thema Übersetzung spezialisierte Straelener Manuskripte Verlag eine CD mitproduziert hat, geht Ragni Maria Gschwends Büchlein „Figaros Flehn und Flattern“ doch auf eine sehr erhellende Radiosendung zurück, welche die Autorin nun überzeugend in Buchform gebracht hat. Erstaunlich, was die (jüngst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete) Übersetzerin aus der Betrachtung einer einzigen Arie (Figaros „Non più andrai“) und ihrer deutschen Übersetzungen an Rezeptions- und Interpretationsgeschichte herausholt. Auf der CD, die außerdem seltene Figaro-Bearbeitungen für verschiedene Instrumentenkombinationen vereint, kann man auch hörend nachvollziehen, welchen musikalischen und interpretatorischen Unterschied die diversen, oft nicht nur stilistisch zeitgebundenen Übertragungen machen. Ein kleiner, überaus kurzweiliger Band abseits der stark frequentierten Hauptpfade, überdies wunderschön präsentiert.
Ob sich nun der angesprochene „Mozart-Effekt“ (über den Wilfried Gruhn im Mozart Lexikon ausführlich aufklärt) eher bei der hörenden oder lesenden Beschäftigung mit dem Jubilar einstellt, mögen ausführliche Versuchsreihen erweisen, an qualitätvollem Lesestoff herrscht jedenfalls kein Mangel.

Maynard Solomon: Mozart. Ein Leben, Bärenreiter/Metzler, ISBN 3-7618-2035-6,
618 S., € 39,95

Martin Geck: Mozart. Eine Biographie, Rowohlt Verlag, ISBN 3-4980-2492-2, 480 S., € 24,90

Piero Melograni: Wolfgang Amadeus Mozart. Eine Biographie, Siedler Verlag, ISBN 3-88680-833-5, 349 S., € 22,-

Ulrich Konrad: Wolfgang Amadé Mozart. Leben, Musik, Werkbestand, Bärenreiter Verlag, ISBN 3-7618-1821-1, 486 S., € 34,95

Mozart-Handbuch, hrsg. von Silke Leopold, Bärenreiter/Metzler, ISBN 3-7618-2021-6, 719 S., € 79,95

Das Mozart-Lexikon, hrsg. von Gernot Gruber und Joachim Brügge, Laaber Verlag, ISBN 3-89007-466-9, 933 S., € 98,-

Mensch Mozart! Antworten auf die 100 häufigsten Fragen, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, Verlag Anton Pustet, ISBN 3-7025-0517-2, € 15,80

Wolfgang Amadeus Mozart: Fantasie und Sonate c-Moll. Die Originalhandschrift an Mozarts Clavier interaktiv zum Klingen gebracht, CD-ROM, Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (€ 12,90,- zu beziehen über: www.mozarthaus.biz)

Wolfgang Amadeus Mozart. Leben und Werk, hrsg. Von Rudolph Angermüller (Digitale Bibliothek), Direct Media Publishing, CD-ROM, ISBN 3-89853-530-4, € 75,-

Zwischen Himmel & Erde. Mozarts geistliche Musik. Katalog mit Audio-CD zur Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, Carus /Schnell & Steiner, ISBN 3-89948-074-0, 255 S., € 39,90

Ragni Maria Gschwend: Figaros Flehn & Flattern. Mozart in den Fängen seiner Übersetzer (mit Audio-CD), Straelener Manuskripte, ISBN 3-89107-053-5, 160 S., € 24,-

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