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Wehrt euch: Mit Musik!

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Zu einer Opernaufführung am Stadttheater Gießen
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Rolf Liebermann ist tot. Er starb mit achtundachtzig Jahren. Gian Carlo Menotti lebt. Er ist achtundachtzig Jahre alt. Im Jahre 1968 wurde an der Hamburgischen Staatsoper ein neues Opernwerk uraufgeführt mit dem kuriosen Titel „Hilfe! Hilfe! Die Globolinks“. Der Komponist hieß Gian Carlo Menotti, der Intendant der Hamburger Oper: Rolf Liebermann. Wer will, mag jetzt über geheimnisvolle Koinzidenzen spekulieren. Man kann sich aber auch an ganz Reales, Konkretes halten. Zum Beispiel an die Musik, an Theater, Gesang, Oper, und an die Menschen, für die das alles wichtig, existentiell notwendig ist. Und die der Ansicht sind, daß auch viele andere, die das noch nicht so richtig erkannt haben, sich ihrer Ansicht anschließen. Rolf Liebermann und Gian Carlo Menotti stimmten, jeder auf seine Weise, in diesen, ihren Ansichten überein. Beide lieben Musik, als Privatmenschen. Aber sie wollen, daß auch andere und möglichst viele sich ihrer Neigung anschließen. Wie sie fühlen, daß Musik zum Leben gehört, nicht als Zugabe, sondern als Teil des Lebens selbst. Und wie sie wissen, daß eine so verstandene „Kunst“ nicht allein in der wohlfeilen Reproduktion der Vergangenheit ihren Sinn findet, vielmehr erst im Schöpferischen selbst, im eigenen Hervorbringen, in der eigenen Sprache, in Worten oder Tönen, die versuchen, das ahnungsvoll Erfaßte in kunstvolle Gestalt und geformten Ausdruck zu überführen, damit alle es zu begreifen vermögen. In solchem Denken liegt ein ausgeprägtes demokratisches Element. Rolf Liebermann, durchaus wissend, daß Kunst, Kunstausübung immer auch ein extrem elitäres Wesen innewohnt – anders läßt sich „Qualität“ nicht herstellen und vermitteln –, hat seine Opernarbeit als Intendant in Hamburg und Paris immer auch als einen Demokratisierungsprozeß verstanden: Teilhabe eines breiten Publikums nicht durch Nivellierung, sondern durch Öffnung und Heranführen. Neugier war gefordert, für die neuen Werke und für die neue Sicht auf die alten Meisterwerke, damit diese auch „wie neu“ erscheinen. In diesem Sinne verstand auch Menotti seine Arbeit, als Künstler und als Gründer des Spoleto-Festivals. Die Idee dieses Musik-und Opernfestspiels hat er bis in andere Erdteile transferiert. Er folgte ihr aber auch als Komponist, und man machte es sich zu einfach, Menottis „Verständlichkeit“ einfach nur mit dem Reizwort „Eklektizismus“ zu disqualifizieren. Gerade seine wohl gewichtigste Oper „Der Konsul“ hat in den letzten Jahren in mehreren Wiederaufführungen unverändert ihre Aktualität bewiesen: Ein Mensch gerät in die zermürbende Vernichtungsmaschinerie anonymer Mächte – das war nicht nur nach dem letzten Krieg aktuell. Und Menottis Musik mit ihrem veristischen Gestus verstärkt das Bedrängende der Vorgänge durch eine bemerkenswerte Intensität des unmittelbaren Ausdrucks. Das teilte sich sogar einem sonst eher hochnäsigen Publikum in der Opéra de Monte-Carlo spontan mit. Den „Konsul“ hat Menotti vor längerer Zeit am Stadttheater Gießen selbst inszeniert. Der damalige Intendant Reinald Heissler-Remy hatte den Komponisten dazu eingeladen. Aus der ersten Begegnung mit dem kleinen Theater, der Stadt und einem neugierigen Publikum entstand Zuneigung, ja fast so etwas wie „Liebe“. Menotti kam immer wieder als Regisseur seiner Opern in die hessische Universitätsstadt. Und nach längerer Unterbrechnung jetzt wieder. Der neue Intendant Guy Montavon, ein weltoffener und ambitionierter Genfer, hatte Menotti die „Globolinks“ vorgeschlagen. Menotti sagte zu und konnte als erstes das inzwischen technisch auf den neuesten Stand gebrachte Jugendstil-Juwel, als das sich das Gießener Theater präsentiert, bewundern. Daß Menotti ein Faible für kleine Theater hat, entspricht seiner Vorstellung künstlerischer Arbeit: der einzelne vermag in den überschaubaren „Betrieb“ seine Persönlichkeit stärker einzubringen. Diese emotionale Entfaltung drückt sich auch in der Aufführung aus und springt auf den Zuschauer über. Das war in der ersten Vorstellung in Gießen besonders eindringlich zu erfahren. Die Aufführung war auch ein Plädoyer für das Stadttheater als Treffpunkt und Versammlungsstätte der Bürger, zu denen bei diesem Anlaß viele Kinder und Jugendliche gehörten. Menotti hatte seine „Globolinks“-Oper damals für „Kinder und solche, die Kinder lieben“ bestimmt. Die griffige Formel gilt noch heute. Nur würde man als „Erwachsener heute“ sich weniger durch das seinerzeit „Fortschrittliche“, die elektronischen Klänge für die Außerirdischen, die Lichtspiele und bizarren kinetischen Plastiken gefangennehmen lassen, sondern mehr durch die Rolle, die der Musik in diesem futuristischen Märchenspiel zugewiesen wird. Gegen die scheinbar unüberwindlichen Globolinks, die aus dem Weltraum auf die Erde kamen, die Menschen umzingeln und durch Berührung in Globolinks verwandeln, gibt es nur ein Gegenmittel: Musik. Das Böse wird durch schöne Musik vertrieben, und wer wie der Schulkdirektor Musik haßt, der muß zur Strafe eben als Globolink weiterleben. Die Mißachtung musikalischer Bildung ist nun keinesfalls Märchenvergangenheit oder Weltraumphantasie, sondern höchst fatale Gegenwart. Globolinks – das wären heute zum Beispiel die Kultusminister, die Lehrpläne ohne Musik konzipieren. Menottis „Hilferuf“ klingt also keinesfalls aus fernen Tagen zu uns herüber, enthält vielmehr einen Appell an Uneinsichtige. Das könnte man der phantasievollen, theatertrunkenen, bildhübschen Gießener „Globolink“-Wiederkehr als diskret und zugleich nachdrücklich formulierte Lehre entnehmen. Gian Carlo Menotti sah sich inmitten der Sänger und mitwirkenden Kinder unendlich lange und stürmisch gefeiert. Eine wunderbare Begegnung.

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