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Wie geht es Ihnen?

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Neue Komposition von Manos Tsangaris
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Erblickt er in der Stadt einen Kirchturm, stellen sich bei ihm sofort Assoziationen ein, wie man das Geläut des Glockenturms zu einer Klang-Licht-Aktion verwenden könnte. So komponiert er das Stück „Glockenturm“ für die St. Agneskirche am Neusser Platz in Köln, einem Ort lebhaften Verkehrs im Herzen der Stadt in einer noch funktionierenden Wohngegend. Rund zwanzig Minuten dauert das Klang-Lichtspiel auf dem pentatonisch gestimmten Glockenspiel, wozu Scheinwerfer nach einer genau festgelegten Farbdramaturgie weiße und farbige – blau, grün, bischofslila, rot – Lichtstrahlen durch die durchbrochene Architektur des Turmes in den nächtlichen Himmel senden.

Tsangaris bezeichnet seinen Manos Tsangaris, 1956 in Düsseldorf geboren, von 1976 bis 1983 an der Musikhochschule Köln Schüler bei Mauricio Kagel und bei dem Schlagzeuger Christoph Caskel, gehört zu den Komponisten, die nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die große Schau abziehen. Tsangaris, seit 1980 regelmäßiger Teilnehmer an den Darmstädter Ferienkursen, besitzt eine lebhafte, zugleich diskret sich artikulierende Phantasie. Er lebt und arbeitet als Komponist, Autor und Schlagzeuger in Köln. Erblickt er in der Stadt einen Kirchturm, stellen sich bei ihm sofort Assoziationen ein, wie man das Geläut des Glockenturms zu einer Klang-Licht-Aktion verwenden könnte. So komponiert er das Stück „Glockenturm“ für die St. Agneskirche am Neusser Platz in Köln, einem Ort lebhaften Verkehrs im Herzen der Stadt in einer noch funktionierenden Wohngegend. Rund zwanzig Minuten dauert das Klang-Lichtspiel auf dem pentatonisch gestimmten Glockenspiel, wozu Scheinwerfer nach einer genau festgelegten Farbdramaturgie weiße und farbige – blau, grün, bischofslila, rot – Lichtstrahlen durch die durchbrochene Architektur des Turmes in den nächtlichen Himmel senden. „Glockenturm“, den wir in der neuen musikzeitung in der Märzausgabe (nmz 3/2000) abbildeten, als „Musiktheater im öffentlichen Raum“, ein Zeichen dafür, wie weit heutige Komponisten den Begriff eines aktuellen Musiktheaters verstanden wissen wollen.

Eine andere wichtige Arbeit von Manos Tsangaris war vor drei Jahren bei den Tagen für neue Kammermusik in Witten zu erleben. Die Komposition „winzig“ breitete sich über die kleinen und großen Räume des Hauses Witten, einer Architektur aus Glas und Stahl in einer mittelalterlichen Burgruine, aus: Komponierte Klangminiaturen, witzige, intelligente Aktionen, optische Zeichensetzungen vor jeweils nur wenigen Zuschauern und Zuhörern im Raum. Konzentration war angesagt, genaues Hinhören, aus der Nähe von Akteuren und Besuchern entstand eine intensive physische und psychische Korrespondenz.

Im Februar dieses Jahres erlebte sein Stück „Haben Sie Zeit?“ in Köln seine Uraufführung. Die Besetzung: Sprecher, Sprecherin, Violine, Oboe, Englischhorn, Horn, Harmonium und Schlagzeug. Das Ensemble Modern spielte, Hanna Schygulla und Tsangaris selbst agierten als Sprecher, die Texte stammten von: Karl Valentin. Valentins knapper, bei aller Kauzigkeit ungemein lebensgenauer Humor, seine wortlose Verzweiflung, sein bissiger Kommentar zu den „Modern Times“ sind Tsangaris’ Wesen nicht fern.

Jetzt trat Manos Tsangaris mit einer „Raumdichtung für Sopran, Sprecherin, großes Ensemble, Textprojektion und Lichtquellen“ in der Halle Kalk in Köln hervor. Titel des Werkes: „Schichtwechsel oder Wie geht’s Ihnen?“ Die Uraufführung war eine Koproduktion der Musikfabrik Nordrhein-Westfalen mit den Bühnen der Stadt Köln. Unser Mitarbeiter Eckhard Weber hat sich die Uraufführung angesehen. Im Folgenden sein Bericht.

Ein Paar wird auf der Szene sichtbar. Durch hartes Scheinwerferlicht heben sie sich vom Dunkel der Bühne ab. Der Mann hat zwei Schlagstöcke und benutzt seinen Oberkörper als Resonanzboden. Er sendet damit Sig- nale aus. Die Frau beantwortet diese mit einem Horn. Es kommt zu Phasen des Zusammenklangs. Nach und nach treten weitere Paare auf. Das Ensemble setzt sich zusammen. Man merkt es von Anfang an, die Raumdichtung „Schichtwechsel: Wie geht’s Ihnen“ von Manos Tsangaris ist ein Stück über Kommunikation, über Beziehung, Konfrontation, über das Verstehen und Verstellen. Später sitzen sich zwei Männer an einem Tisch gegenüber, die mit Hilfe eines Rasierapparates kommunizieren. Die Mittel der Verständigung sind vielfältig, solange die Codes übereinstimmen.

Der Kagel-Schüler Tsangaris war noch nie am traditionellen Musiktheater interessiert. Bühnenhandlung und ein dramatischer Diskurs begrenzen und behindern seiner Ansicht nach nur den Blick auf das Wesentliche. Statt einer Handlung wird das Moment des Musikmachens betont und seine theatralischen Qualitäten ausgenutzt. Sämtliche Musiker sind bei „Schichtwechsel“ zu sehen. Bühne und Orches-tergraben fallen in eins. Der Komponist ist sein eigener Regisseur. Die Ausnutzung des Raumes, Lichtwirkungen und projizierte Texte sind Teile der Komposition.

Die Beziehung des russischen Dichters Wladimir Majakowski zu Lilja Brik stellt den Hintergrund zu „Schichtwechsel“ dar. Der Mitbegründer des russischen Futurismus ist für Tsangaris einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Die beziehungsreiche Bündelung des Industriellen bei der Uraufführungsproduktion gefällt Tsangaris, ergibt für ihn einen „Sog“: Der Titel „Schichtwechsel“, das Ensemble Musikfabrik NRW, die Halle Kalk als ehemalige Werkshalle und schließlich Majakowski, eine der Schlüsselfiguren der russischen Revolution. Die Interpreten der Produktion tragen Overalls (Ausstattung: Ulrich Schulz). Die Musik ist stellenweise von maschinenartigen Klängen bestimmt. Selbstverständlich fehlen auch die für Tsangaris typischen Klangapparate nicht. So bewegen sich Drehscheiben, Pendel und Klangfahrzeuge. Glocken klingen durch Reibung. Ein Musiker lässt ein Metallpendel um seinen Körper kreisen, während ein zweiter in einem festgelegten Rhythmus an das rotierende Metallende schlägt.

Die durch homogene Klangfelder strukturierte Partitur präsentiert eine verschwenderische und nuancierte Farbpalette. Vor allem die Perkussionsinstrumente erscheinen vielzählig. Überraschend sind die immer wieder auftretenden tonalen Passagen und die kantable Führung der Sopranstimme. Es gibt kurze Momente, Phrasen, die an Mahler, Strauss oder Korngold in ihren traurigsten Takten erinnern. Am Ende verlässt die Sopranistin singend den Spielort. Ihr Gesang verhallt neben den Zuschauerrängen. Aus Fremden werden Freunde, aus Freunden Fremde. „Schichtwechsel“ ist auch ein Stück über die Einsamkeit. Majakowski, der bald nach der Oktoberrevolution feststellte, dass man zur Tagesordnung überging und von der sozialen Utopie wenig übrig blieb, nahm sich 1930 das Leben. Eine atmosphärisch dichte und anregende Produktion, die für manche Überraschung gut ist.

Die Schauspielerin Petra Torky und die Sopranistin Anna Maria Pammer sind beide Persönlichkeiten, die ihren Parts Kontur geben. Die Musikfabrik NRW unter Jean-Marie Adrien zeigte sowohl musikalische als auch szenische Spielfreude.

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