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Wir wollen auch immer ganz artig sein...

Untertitel
Eine musikalische Pop-Kulturgeschichte der DDR
Publikationsdatum
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nmz 2000/10 | Seite 21
49. Jahrgang | Oktober

Rezensionen

Wir wollen auch immer ganz artig sein...

Eine musikalische Pop-Kulturgeschichte der DDR

Punk, New Wave, Hiphop, Independent-Szene in der DDR 1980-1990, herausgegeben von Ronald Galenza und Heinz Havemeister, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH Berlin, 1999, 462 S.

Mit dem Phänomen „Punk“ verbanden sich um das Jahr 1980 auch in der ehemaligen DDR gemeinhin zunächst die spezifische Haartracht, der ungezügelte Pogo, der Schmuck derber Ketten und Klingen sowie eine wohl primitive, aber auch rabiate und exzessive „Jugendmusik“.

Dass derlei im eigenen Lande gedieh, kursierte außerhalb aller Öffentlichkeit und war eher in Leutzsch, Steinbrücken und Mockau als im Zentrum der Hauptstadt bekannt, wo Bands wie Wutanfall, L’attentat oder Freygang höchstens illegal spielten. Anders als im Urheberland verkam die neue Strömung mit ihren Klängen, Gesten und Accessoires im Underground östlich der Elbe nicht zur gängigen Mode – sie wurde vielmehr mit staatlichen Mitteln bekämpft, also als ernsthafter Faktor bewertet, und sie hat sich intern als Alternative verstanden und zu behaupten versucht. „Ich war Punk aus politischen Überlegungen“, resümiert der inhaftierte Berliner Musiker Michael Horschig in seinem Erfahrungsbericht, „Punk war der Ausdruck meines Protestes ..., Resultat der Ereignisse aus dieser Zeit“. Andere wie Dieter Ehrlich, Bernd Jastram und André Greiner waren fasziniert von einer Musik, die alle Regeln ignorierte und sich auf eine völlige Freiheit des Machens berief. Genau dieses Konfliktfeld, die Kontroverse zwischen dem Versuch unabhängiger Kunst und Doktrinen der Staatspolitik möglichst universell und im Detail zu dokumentieren, ist Anlass und Ziel vorliegender Publikation. Der Künstler Heinz Havemeister und der Journalist Ronald Galenza, zwei Zeitzeugen und Beteiligte, haben zu diesem Zweck Dokumente, Erinnerungen, Interviews, aber auch soziologische Studien zusammengestellt, die ein plausibles, in sich auch widerspruchsvolles Gesamtbild der musikalischen Independent-Szene der DDR der 80er-Jahre ergeben.

Das geringe Sozialprestige der Punks in der Gesellschaft, der fehlende Rückhalt in der evangelischen Kirche und in den westlichen Medien – so analysiert Literaturhistoriker Klaus Michael, seinerzeit Mitinitiator von Untergrundpublikationen – habe es den Repressionsorganen leicht gemacht, die zahlenmäßig leicht überschaubare Szene gezielt zu drangsalieren. Politisierung erwuchs im Regelfall aus der direkten Konfrontation mit der Staatsmacht: Konzerte wurden gestört und im Vorfeld verboten, Auftrittserlaubnisse waren nicht erteilt oder auf längere Zeiten entzogen, Musiker wurden kriminalisiert und verurteilt, zum Wehrdienst geholt oder auf dem Ausreise-Weg außer Landes geschafft.

Die Paranoia der DDR in Sachen Jugendmusik erreichte hier eine qualitativ neue Form. Anders als noch Mitte der 70er-Jahre im Falle der Combo Klaus Renfts, ging es nicht mehr um poetisch-intellektuelle Systemkritik. Bezüglich des Punk war zu verhindern, dass ein Lebenskonzept um sich griff, das Rebellion gegen grundlegende Normen des bürgerlichen Alltags und auf geringstem Niveau soziale Gleichheit verhieß.

Der Untergrund trotzte, die Aktivisten der Szene – so der Lyriker Papenfuß-Gorek – „haben sich mit ihrem Körper bekannt“ und, wie Klaus Michael schreibt, „im permanenten Ausnahmezustand“ gelebt. Kleinste Punk-Enklaven wuchsen im Thüringer Raum, in Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt, im proletarischen Süden Berlins und in der Bohème des Prenzlauer Bergs. Die Mehrzahl der kurzlebigen, musikalisch oft dilettierenden Bands favorisierte das Happening; im Einzelfalle wurde in illegalen, technisch primitiven Studios auch für die Konserve produziert. Susanne Binas, ehemals Expander des Fortschritts, unterstreicht in ihrer Studie, wie wichtig die unabhängige, private Homerecording-Bewegung war, deren Produkte (nachgewiesen von immerhin gut 150 Bands) in geringer Stückzahl in der Szene kursierten und gelegentlich auch über die Frequenzen des RIAS und zuletzt sogar des DDR-Jugend-Radios DT 64 zu hören waren.

Kulturgeschichtlich ist das Punk-Konzept übrigens auch von Belang, wo es sich im Underground von Leipzig, Berlin oder Dresden mit der Bohème anderer Künste berührte. Beispielsweise in den Freejazz-Exkursen der Dresdener Maler Helge Leiberg und A.R. Penck, im Falle Frank Bretschneiders Audio-Art, in Gestalt der literarisch motivierten Aktionen von Peter Wawerzinek und „Tohm di Roes“. Papenfuß-Gorek erinnert an eine ästhetische Sprengkraft, die, doppelt frei von Markt und Staatsideologie, in der Begegnung der Künste radikalste Formen erzwang. In der Verbindung mit Live-Acts von Performern, Malern, Tänzern und alternativen Literaten geriet „Punk“ made in G.D.R. im Einzelfall so zur Angelegenheit der Avantgarde.

Ausgerechnet der Skinhead-Überfall im Oktober 1987 auf ein Punkkonzert in der Zionskirche im Berliner Prenzlauer Berg geriet zum Wendepunkt. Anders als zuvor griffen Polizei und Staatssicherheit nicht mehr direkt in eine Veranstaltung ein, Musiker und Fans erklärte man plötzlich zu Opfern, in der Folge wurde zwischen „Punks“ und „Skins“ unterschieden und im Land formulierte sich ein nicht ganz folgenloser Protest gegen rechte Gewalt. Der Vorfall läutete jedoch auch jene Auflösung ein, die die Subkultur mit ihrem Staat, der sie terrorisierte, am Ende verband. In Ermangelung jeder Art Ökonomie und Infrastruktur, aber auch nach dem Fortfall des gemeinsamen sinnstiftenden Feindbilds, so resümiert am Ende der Lektüre Wolf Kampmann, bestand für die ostdeutsche Punkmusik in den Strukturen des westlichen Markts ganz objektiv keine Überlebensnotwendigkeit.

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