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Sigrid Nieberle: Frauenmusikliteratur. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert, Reihe Ergebnisse der Frauenforschung, Band 51. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, 1999, 267 Seiten, 69 Mark.
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Einer musikbezogenen Gegenwartsschriftstellerin wie Ingeborg Bachmann galt das Produzieren Ernster Musik als eine Sache von Männern, die sich – anders als das Schreiben von Literatur – in für sie fremden Welten abspielte und deshalb nicht „das Eigentliche“ war. Hundert Jahre zuvor, bereits um das Jahr 1800 war in deutschen Landen eine andere „musikalische Geschlechterordnung“ publik. Nachlesbar in und zwischen den Zeilen vieler männlicher Autoren von Friedrich Schlegel bis zu Jean Paul wird das Wesen komponierter Musik, das romantisch „Andere“ eindeutig mit schwacher und schöner, harmonisierender „Weiblichkeit“ identifiziert.
Die Münchener Germanistin Sigrid Nieberle untersucht in ihrer jüngst publizierten Dissertation Frauenmusikliteratur, ob und wie sich Frauen jener Zeit im Diskurs über Musik und Geschlecht artikulierten, sobald sie sich praktisch wie literarisch auf das Musizieren bezogen.
Mancher der betrachteten Texte überrascht: Annette von Droste-Hülshoffs vermeintlich autobiographischer Text „Bei uns zu Hause auf dem Lande nach der Handschrift eines Edelmannes aus der Lausitz“ (1839/45) urteilt gänzlich traditionell: Wilhelm, der junge, erfolgversprechende männliche Autor vertritt die Literatur, die physisch schwache, auch depressive junge Sängerin Sophie verkörpert Musik. Die Komponistin Johanna Kinkel greift zur Satire. In ihren „Briefen an eine Freundin über Clavier-Unterricht“ (1852) ironisiert sie Hierarchien in der Bürgerfamilie, indem sie sie auf Harmonieverwandschaften im Quintenzirkel projiziert. In ihrem Musiker-Roman „Hans Ibeles in London“ rebelliert die Autorin unübersehbar gegen die Reduzierung der Frau auf eine rein familiäre Funktion. Bettina von Arnim dann führt 1839 in ihrem fiktiven Briefroman „Die Günderode“ zwei philosophierende „Weibsbilder“ vor, die in ihrem musikalischen Lehrdialog konventionelle, also männlich tradierte Modelle und Kategorien von Komposition und Musik verlassen.
Auch wenn sich in allen zu Rate gezogenen Texten ausschließlich Formen des Musizierens finden, die das Gebot der „Schicklichkeit“ akzeptieren, das heißt Frauen singend oder an Tasteninstrumenten aufzeigen, so ergibt deren Analyse doch eine überraschende Stimmen-Vielfalt. Bezüge von Weiblichkeit und Musik erscheinen in den Texten der Frauen sehr differenziert, partiell hinterfragt und manchmal von den Standorten sogar ein wenig verschoben.
Die Sängerinnen-Figur in Caroline Auguste Fischers „Justine“ (1818) oder die Komponistin in Dorothea Schlegels „Florentin-Roman“ (1801) übertreten beispielsweise ihrem Geschlecht auferlegte Grenzen. Der Tod einer Sängerin zudem – in zahllosen männlichen Texten, speziell auch Opern-Libretti ein beliebtes Motiv – ergibt sich aus der Kombination von Frau, Musik und Öffentlichkeit nicht mehr zwingend von selbst.
Für Siegrid Nieberle ist das Anfechten minderwertiger Weiblichkeits-Entwürfe (nicht allein auf dem Terrain der Musik) eine zentrale Schreibmotivation. Ihre Analyse – streng akademisch und stark komprimiert – mischt Literatur- und Sozialwissenschaft, Psychoanalyse und Kulturtheorie und fragt vom Standort feministischer Forschung, wer Projektionen von Frau und Musik initiiert – und wozu.
Vor allem in eher pädagogischen Autorinnen-Texten der Zeit erscheint der „Mythos Musik“ herabgestimmt zum praktischen Phänomen. Musikalische Erziehung wird Handwerk und ist meist schon in weiblicher Hand. Die diebsbezügliche „Indienstnahme der Mütter“, die Dilettantismusdebatten oder auch die musikalische Rollenverteilung im Salon werden zuweilen zwar persifliert, jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt. Deshalb muss Nieberle in ihrer Publikation letztlich negativ bilanzieren. Wohl äußern sich historische Frauen zum Thema, doch waren sie privat wie gesellschaftlich zumeist in bedrückenden Konstellationen gefangen.
Keine von ihnen, nicht einmal Bettina von Arnim, gelangte deshalb zu Texten, in denen die musizierende Frau derart utopisch aus- oder aufbrechen kann wie manche der Frauen-Figuren der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.