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Prof. Gregor Bühl und Prof. Ekhart Wycik. Foto: Guido Werner

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Fliegen lernen mit neuem Team

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Erfolgsstory der „Weimarer Dirigentenschmiede“ soll fortgesetzt werden
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­Seit mehreren Jahrzehnten setzt die Dirigierausbildung an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar international Maßstäbe. Ihren guten Ruf als „Weimarer Dirigentenschmiede“ verdankt sie sowohl der Exzellenz in der Lehre als auch den großen Erfolgen der Studierenden und Alumni, die bei Wettbewerben reüssieren und Pultpositionen bei namhaften Orchestern erlangen. In der Nachfolge von Prof. Nicolás Pasquet lehrt seit April 2025 Prof. Gregor Bühl das Fach Orchesterdirigieren an der Seite von Prof. Ekhart Wycik.

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Herr Wycik, Herr Bühl, die „Weimarer Dirigentenschmiede“ hat sich personell neu aufgestellt …

Ekhart Wycik: Es gibt eine große Kontinuität, die Arbeit der „Dirigentenschmiede“ wird nahtlos weitergeführt. Das tun wir auch im Interesse der Studierenden, die sich nicht an eine neue „Gangschaltung“ gewöhnen müssen. Man merkt das daran, dass die Studierenden sich handfest in der Praxis zurechtfinden und tolle Assistenzen und Dirigate erringen. Unsere Spezialität ist ja diese Doppelprofessur: Gemeinsam können wir über etwas nachdenken und umsetzen, das wirkt inspirierend.

Gregor Bühl: Ja, der Übergang ist gut gelungen. Die Studierenden sind mir gegenüber sehr aufgeschlossen, das erleichtert meine Arbeit. Ich habe mich in Weimar schon immer wohlgefühlt, seit 2001 war ich regelmäßig als Gastdirigent bei der Staatskapelle. Es ist natürlich unbezahlbar, dass Ekhart Wycik alle Abläufe seit Jahren kennt und ich ihn bei Fragen nur anzurufen brauche (schmunzelt). So ein Partner ist Gold wert.

Ein wichtiger Teil Ihres Erfolgsrezepts ist die umfangreiche Dirigierpraxis. Mit welchen Orchestern wird aktuell kooperiert?

Bühl: Unser wichtigstes Partnerorchester ist die Jenaer Philharmonie mit neun kompletten Probentagen pro Semester und fünf Schülerkonzerten, die unsere Studierenden dirigieren. Hinzu kommen die Thüringen Philharmonie Gotha, die Hofer Symphoniker, das Südwestdeutsche Kammerorchester – und die Staatskapelle Weimar. Regelmäßig besuchen wir auch das Orchester des Landestheaters Coburg samt Opernworkshop und Vorstellungsdirigaten. Nicht zu vergessen sind die drei Orchester in Tschechien, zu denen wir jeweils für eine Woche mit ausgewählten Studierenden hinfahren.

Wycik: Mit diesen vielen Orchestern zu arbeiten, schult unfassbar mehr als die Ausbildung nur an Klavieren. Denn das Dirigieren ist sehr komplex, eine organisatorische, kognitive und emotionale Verschränkung. Es ist wie Fliegen lernen: So richtig lernt man das nicht im Simulator, sondern nur live vor 40 bis 80 lebendigen Menschen ohne Autopiloten.

Eine weitere Zutat des Weimarer Erfolgsrezepts ist der Teamgedanke in der Lehre. Wer gehört dazu?

Wycik: Wir arbeiten zunächst sehr eng in der Prüfungskommission zusammen und passen die Curricula permanent an den aktuellen Arbeitsmarkt an. Zudem sind wir eine der wenigen Hochschulen mit zwei vollen Professuren für Orchesterdirigieren, jedoch mit Ulrich Vogel und Hans-Christian Steinhöfel auch mit zwei Professuren in der Opernkorrepetition. Denn niemand kann vorhersehen, auf welchen Wegen der spätere Berufseinstieg stattfinden wird: über den klassischen Kapellmeister oder den Wettbewerbsgewinn. Das Teamwork zwischen uns Professoren ist sehr eng.

Bühl: Die Studierenden erhalten ja nicht nur Dirigierunterricht, sondern erlernen auch Partiturspiel und Korrepetition auf sehr hohem Niveau, hinzu kommt die Chorleitung mit unserem Kollegen Jürgen Puschbeck. Das ist alles miteinander verzahnt. Die Kollegen klopfen oft an und kommen einfach vorbei, die Türen sind immer offen.

Die Eignungsprüfungen an Ihrem Institut gelten als anspruchsvoll. Wer schafft sie?

Bühl: Beim Dirigieren ist es anders als bei fast allen anderen Studiengängen: In der Regel haben die Studierenden, die sich hier bewerben, wenig Vorkenntnisse. Es sollte eine dirigentische Grundbegabung erkennbar sein. Wir suchen bestimmte Persönlichkeiten, bei denen sich die Atmosphäre des Raumes verändert, wenn sie hereinkommen, nach Möglichkeit positiv (lacht).

Wycik: Das Dirigieren kann man eigentlich nicht lehren. Man muss Lust haben, mit anderen etwas auf die Beine zu stellen – und dafür brennen. Solche Menschen suchen wir. Meist kann man das schon in der Eignungsprüfung erkennen, deren letzte Runde als Weimarer Besonderheit mit einem richtigen Orchester stattfindet. Wir waren übrigens seinerzeit die erste deutsche Musikhochschule, an der man Dirigieren auch mit einem Hauptfach Orchesterinstrument studieren kann. Die Orchesterinstrumente werden von den jeweiligen Kommissionen geprüft.

Worauf achten Sie im Unterricht besonders, was sind die zentralen Fähigkeiten?

Bühl: Mir ist es wichtig, dass wir eine Dirigiertechnik im Umgang mit dem eigenen Körper vermitteln, die 40 Jahre Berufsleben ermöglicht. Wie stehe ich am Pult, das ist die Nummer 1, und dann die Zentrierung des Schlags auf das Körperzentrum.

Wycik: Da sind wir deckungsgleich: Mit dieser Zentriertheit ist der Wirkungsgrad als Dirigent am höchsten. So schafft man es auch, zwei Wochen lang etwa Brittens „War Requiem“ zu proben und aufzuführen, ohne hinterher komplett platt zu sein. Wir versuchen als Professoren, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Bühl: Ganz wichtig ist auch die verbale und nonverbale Kommunikation. Als Dirigenten sind wir ständig im Austausch mit dem Orchester oder auch den Sängern, permanent müssen wir Menschen kritisieren. Das ist eine Kunst, an der ich auch selbst immer noch arbeite. Denn niemand mag ja gerne kritisiert werden.

Wycik: Die Partitur zum Klingen zu bringen, ist das große Ziel. Unser Instrument ist das ganze Orchester und unsere Interpretation nur so gut, wie wir die Musiker zu führen vermögen. Da gehört Demut dazu. Musik-Ermöglicher und Problemlöser: das ist der Beruf des Dirigenten.

Bühl: Ich spreche im Unterricht wenig über Interpretation, ich stelle das weitgehend frei. Doch wir müssen natürlich die Partitur analysieren und auf die wichtigen Stellen hinweisen. Oft ist das gar nicht das Offensichtliche wie die Phrase oder die Melodie, sondern kleine Begleitfiguren, über denen das schöne Oboensolo liegt.

Wycik: Wir dirigieren nicht das, was das Publikum hört, sondern das, was das Orchester braucht. Quellenstudium, methodische Herangehensweise, Führungsqualitäten und Kommunikation, das Miteinander zu priorisieren, ist ein lebenslanger Lerneffekt.

Welches Repertoire steht im Fokus?

Wycik: Wir sind als Dirigenten und Pädagogen in beiden Betriebssystemen erfahren – der Sinfonik und der Oper. Unsere Studierenden sollen nach dem Studium in beiden Welten zurechtkommen. Die Bandbreite dient als Entscheidungshilfe für das spätere Berufsleben. Es gilt, die jungen Menschen fit für den Markt der Zukunft zu machen.

Bühl: Es gibt durchaus Studierende, die Alte Musik oder zeitgenössische Musik ins Zentrum stellen – damit kann man auch große Karriere machen. Generell sollten sich alle neuen Erfahrungen öffnen: „Open minded“ und auch offen für anderes Repertoire zu sein, ist wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jan Kreyßig

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Die Weimarer Dirigentenschmiede

Reiche Praxiserfahrungen sind das A und O der Ausbildung am Institut für Dirigieren und Opernkorrepetition der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Es bietet Bachelor- und Masterprogramme in den Fächern Orchesterdirigieren, Chordirigieren und Opernkorrepetition. Im Fach Orchesterdirigieren ist auch das Konzertexamen möglich. Ein besonderes Merkmal des Weimarer Studiums ist die Chance, im Hauptfach von mehreren Professoren unterrichtet zu werden. Die gesamte Ausbildung ist geprägt vom fachübergreifenden Miteinander: Zusammenarbeit und Kollegialität stehen an erster Stelle. Großer Wert wird neben der intensiven Lehre auf einen höchstmöglichen Praxisanteil gelegt: So bestehen Kooperationen mit zahlreichen Orchestern, Theatern und Chören in Thüringen, deutschlandweit und im Ausland. Das hauseigene „OPD“ (Orchester / Chor für den praktischen Dirigierunterricht) ergänzt dieses Angebot. Bei Assistenzen und in Praktika lernen die Studierenden den Theaterbetrieb, Einstudierungsprozesse und Produktionsabläufe kennen und trainieren ihre Fähigkeiten unter realen Bedingungen. Das Prinzip „Alles im Team“ und der gemeinsame Praxisunterricht schaffen exzellente Bedingungen für einen erfolgreichen Berufsweg: zwei der zahlreichen Schlüssel zum Erfolg der „Weimarer Dirigentenschmiede“. 

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