Der 24-jährige Johannes „JJ” Pietsch hat den Eurovision Song Contest 2025 sozusagen im Opernfach entschieden. Der junge Sänger mit seiner außergewöhnlichen Sopranstimme studiert Sologesang an der MUK — und ist bereits der fünfte Künstler, der Österreich auf Basis einer klassischen Ausbildung an dieser Universität beim ESC vertrat.
Johannes „JJ” Pietsch. Foto: Corinne Cumming/EBU
Sologesang, Oper und Songcontest
Nach 1966 und 2014 ging der ESC-Sieg im Jahr 2025 ein drittes Mal an Österreich — diesmal an Johannes „JJ” Pietsch, der am Institut für Gesang und Oper der MUK Sologesang studiert. Die Besonderheit: Pietsch bringt als männlicher Sopran eine rare Stimmlage mit, derzeit ist er an der Wiener Staatsoper als Erster Knabe in der Zauberflöte-Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier zu sehen.
„Natürlich“, meint Kammersängerin Linda Watson, seine Lehrerin an der MUK, „muss man eine solche Stimme ganz besonders trainieren”. Der Erfolg im Genre „Pop“ bestätigt für die Wagner-Interpretin, dass an einer soliden gesanglichen und musikalischen Ausbildung kein Weg vorbeiführt. Auch der in Basel siegreiche Song Wasted Love stammt in wesentlichen Teilen von Johannes Pietsch selbst: Das Gerüst dieses „Popera“-Stückes wurde in wenigen Tagen im Berliner Studio von Thomas Thurner gemeinsam mit Teodora („Teya”) Špirić konzipiert, später mit Orchester (Arrangement Wojciech Kostrzewa) und Streichern des Budapest Scoring Orchestra eingespielt sowie mit Thurners Techno-Elementen hinterlegt.
Rund ein dreiviertel Jahr später weist der Titel mehr als 41 Millionen Streams und das Video rund 11 Millionen Plays auf.
Kunst im populärkulturellen Kontext
„Kunst sollte für alle zugänglich sein”, betont Bartolo Musil, Leiter des Instituts Gesang und Oper an der MUK, angesichts dieses außergewöhnlichen Erfolgs. Darin sieht er auch sein eigenes fachliches Engagement für Diversität, Interdisziplinarität und gesellschaftliche Anbindung bestätigt: „Der häufig verwendete Begriff ‚Crossover’ setzt voraus, dass Künstler*innen nicht nur eine, sondern mehrere Kunstformen fundiert beherrschen und sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen. In der Performance von Johannes Pietsch sehe ich dieses Prinzip vorbildlich verwirklicht — wenn auch in vereinfachter Form und angepasst an das Format von ESC-Songs.“
Es sei erfreulich, so Musil weiter, wenn „junge Künstler*innen unsere Kunstform(en) in einen anderen und weiteren populärkulturellen Kontext hinaustragen und ein Publikum erreichen, bei dem trotz aller musik- und kunstvermittelnden Bemühungen Schwellenängste bestehen — oder das sich von den Angeboten der sogenannten Hochkultur einfach nicht angesprochen fühlt”. Nicht zuletzt sei die Tatsache, dass JJ dezidiert als Repräsentant der queeren Community auftrete, ein Aspekt von gesellschaftspolitischer Relevanz.
Fünf Absolvent*innen beim ESC
Der Umstand, dass österreichische ESC-Acts ihren Weg an der MUK (bzw. an deren Vorgängerinstitution, dem Konservatorium der Stadt Wien) begonnen haben, unterstreicht den Stellenwert der Institution als Ausbildungsstätte auf höchstem künstlerischem Niveau. „Die MUK ist kein Zufallstreffer beim Songcontest — sie ist seit Jahrzehnten ein Laboratorium der musikalischen Exzellenz, Experimentierfreude und Bühnenreife“, so MUK-Rektor Andreas Mailath-Pokorny. „Fünf Alumni standen bereits im Rampenlicht des größten Musikwettbewerbs Europas: Dies ist ein eindrucksvoller Beleg für die Qualität unserer Ausbildung.“ So trat im Jahr 1971 Marianne Mendt beim ESC in Dublin für Österreich an, der Wettbewerb hieß damals noch „Grand Prix de la Chanson“. Als Arrangeur und Dirigent mit an Bord der Show war übrigens Robert Opratko, ebenfalls ein Absolvent und nachmaliger Abteilungsleiter der MUK. Als Sängerin, Bandleaderin und „jazzige Mutter des Austropop” (Der Standard) wurde Marianne Mendt am Tage ihres 80. Geburtstags im September 2025 zur ersten Ehrensenatorin der MUK ernannt; dies in Würdigung ihrer Leistungen als Lehrende sowie als Mentorin junger Künstler*innen im Rahmen der MM Musikwerkstatt.
1982 trat mit Elisabeth Engstler die zweite MUK-Alumna ins Songcontest-Rampenlicht: Ein Auftritt, der eine prominente Fernsehkarriere begründete. Mit Nathan Trent (2017) und Vincent Bueno (2021) sollten zwei weitere Absolventen der Hochschule bei diesem internationalen Pop- und Show-Ereignis für Österreich antreten, ehe im Jahr 2025 ausgerechnet ein Wiener Opernstudent — in rarer Stimmlage, mit authentischem Touch und unprätentiöser Anmutung — den Wettbewerb für sich entschied. Es ließe sich dazu in Abwandlung eines berühmten Wortes des Jazzers James Blood Ulmer sagen: „Opera is the teacher, pop is the preacher!”
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