Banner Full-Size

Trotz Stress gut zu sich sein

Untertitel
Musikhochschule Detmold baut Angebot der Professur für Musikergesundheit aus
Vorspann / Teaser

Andere gehen feiern. Bei einem selbst steht wieder mal Üben an. Üben für die nächste Prüfung. Für den nächsten Auftritt. Musik zu studieren, ist etwas Besonderes. Es belastet auf besondere Weise. „Medizinstudenten wissen, dass alle Krankenhäuser sie brauchen, bei Musikstudenten ist das nicht so“, sagt Manuela Banzhaf, Psychiaterin und Psychotherapeutin. An der Musikhochschule Detmold lernen Studenten seit April bei ihr, psychisch flexibler zu werden und mental gesund zu bleiben.

Autor
Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Manuela Banzhaf hat sich zeitlebens viel mit Burnout beschäftigt. „Ich gab Ärzten Kurse zur Stressbewältigung“, erzählt die Spezialistin für Psychosomatik. Ihre langjährigen Erfahrungen in der Behandlung von Patienten, die durch Stress krank wurden, kommen nun den Studentinnen und Studenten der Detmolder Musikhochschule zugute. Der Kurs, den sie anbietet, basiert auf den Prinzipien der Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Angesiedelt ist das Angebot bei der im April 2024 neu eingerichteten Professur für Musikergesundheit von Neurologin Anna-Maria Addicks. Vier Semesterwochenstunden stehen Manuela Banzhaf zur Verfügung.

Achtsamkeit

Musikstudenten, so die Achtsamkeitslehrerin, sind nicht nur deshalb stark belastet, weil das Studium viel Zeit verschlingt und die Zukunft höchst ungewiss ist. Auch Auftritte kosten ganz schön Nerven. Auftrittsangst ist weitverbreitet. In dem Kurs von Manuela Banzhaf lernen die Studenten, mit dieser Angst, aber überhaupt mit unguten Gefühlen umzugehen. Das Wichtigste dabei sei, zu verstehen: Alle Gefühle dürfen erst mal sein. Es gibt keine ‚verbotenen‘ Gefühle. Etwas anderes ist es, mit unguten Gefühlen, etwa Ärger wegen eines geplatzten Engagements oder Wut auf einen Konkurrenten, angemessen umzugehen.

Wie jemand mit seinen Gefühlen umgeht, beruht zum einen auf seiner Prägung und zum anderen auf verinnerlichten Glaubenssätzen. Da gibt es Menschen, die ihren Frust einfach rauslassen. Da kann ein anderer durchaus mal ungeniert als „Trottel“ oder „Dummkopf“ beschimpft werden. Andere würden sich so etwas niemals selbst erlauben. Sie schlucken ihren Ärger herunter. Verdrängen Wut. Unterdrücken Angst. Solche Gefühle überhaupt auch nur wahrzunehmen, ist ihnen von sich selbst aus verboten. Kommen sie auf, greifen sofort Abwehrmechanismen. Wird sofort rationalisiert. Manuela Banzhaf fordert dazu auf, „selbst intensive Gefühle mit Mut zu fühlen“.

Verdrängen kostet Kraft

„Verdrängen kostet viel Kraft“, sagt sie. Und kann auf Dauer krank machen. So krank, dass man in einer Klinik landet. Von ihrem Kurs erhofft sie sich einen präventiven Effekt. Der erste Durchgang bestätigte sie in ihren Hoffnungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spiegelten am Ende, wie gut der Kurs ihnen getan hat: „vor allem als Gruppenangebot“. Dies sei deshalb als wohltuend erlebt worden, da das soziale Leben durch das stundenlange tägliche Üben zum Teil als stark eingeschränkt erfahren wird: „Selbst in ihren Fächern sind die Studenten vereinzelt bei ihren Professoren.“

Neun Studentinnen und Studenten quer durch alle Semester und Instrumente nahmen an dem Kurs teil. Einige haben das Ziel, Orchestermusiker zu werden. Andere würden später gerne einmal an einer Musikschule unterrichten. Interessant fand Manuela Banzhaf, dass die Gruppe international gemixt war. So nahmen zum Beispiel auch ein Student aus Kolumbien sowie einer aus Ecuador teil. Die Gruppe lernte sechs Kernkompetenzen der Achtsamkeit kennen: „Es geht zum Beispiel um die Frage, wie ich es schaffe, im jetzigen Augenblick ganz präsent zu sein.“

In einem weiteren Modul vermittelt die Ärztin, warum es wichtig ist, den eigenen Gefühlen und Gedanken gegenüber eine akzeptierende Haltung einzunehmen. Von Bedeutung ist vor allem, den eigenen Gedanken auf die Schliche zu kommen. Stimmen sie überhaupt? Oder handelt es sich um Vorurteile? Anderen oder sich selbst gegenüber? „Man sollte nicht alles glauben, was man denkt“, so Manuela Banzhaf. Beispielsweise zeitigt der Glaubenssatz: „Ich muss perfekt sein!“ selten Gutes. Er sollte dringend „umgeschrieben“ werden.

Was ist wirklich wichtig?

Zum achtsamen Umgang mit sich selbst gehören schließlich Selbstreflexion und ein regelmäßiges Hinterfragen des Selbstkonzepts. Aus welchen Werten besteht der eigene, innere Kompass? Was ist jemandem aus welchen Gründen wichtig? Warum zum Beispiel ist es jemandem ein Herzensanliegen, Musiker zu werden? Begibt man sich nur darum auf diesen Weg, weil die Eltern Musiker sind? „Wir sprechen im Kurs auch über die Frage, was ein gelingendes Leben für einen bedeutet, und zwar unabhängig von den Erwartungen anderer“, erzählt Manuela Banzhaf.

Sich gut um sich selbst und die eigene mentale Gesundheit zu kümmern, ist der Ärztin zufolge für angehende Musikerinnen und Musiker noch mal wichtiger als für Studenten anderer Fachrichtungen. „Unter Musikern, generell unter Künstlern, gibt es überdurchschnittlich viele Hochsensible“, sagt sie. Diese hohe Sensibilität wirkt sich in kreativer Hinsicht positiv aus: „Sie kann aber auch leicht zu innerem Stress bis hin zur Überforderung führen.“ Von daher sei es sinnvoll, sich Stresskompetenz sowie Wissen über Emotionsregulation, Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge anzueignen.

Die Gruppe war so begeistert von dem 14-tägig angebotenen Kurs mit vorgeschalteter, angeleiteter Meditation, dass sie sich einen Aufbaukurs wünscht. Manuela Banzhaf denkt darüber auch nach. Jedes der sechs Module, sagt sie, könnte vertieft werden. Im Wintersemester allerdings wird es zunächst einen zweiten Durchlauf des bereits exis­tierenden Curriculums für neue Studenten geben.

Widerstand spüren

Bereits während des ersten Kurses erlebte Manuela Banzhaf, wie viel das, was sie vermittelte, den Studenten im konkreten Alltag gebracht hat. Eine Studentin schilderte eine für sie heikle Situation im Vorfeld eines Auftritts. Absprachen, auf die sie sich verlassen hatte, waren nicht eingehalten worden. Das Auftrittssetting stellte sich plötzlich ganz anders dar. „Sie hat gespürt, wie sie innerlich deswegen im Widerstand war“, erläutert die Psychotherapeutin. Dank des Kurses konnte die junge Frau dieses Gefühl rasch identifizieren. Die akzeptierende Haltung gegenüber dem Widerstand führte dazu, dass dieser vergleichsweise schnell schwand. Sie ließ sich auf das neue Arrangement ein. Und brachte den Auftritt gut über die Bühne. Neben diesem Kurs bietet Manuela Banzhaf auch Einzeltherapie an. Etwa ein Dutzend Studenten nahm daran zwischen April und Juni teil. Manchmal reichte ein einzelner Termin. Manchmal traf sie sich zwei- oder dreimal mit dem betreffenden Studenten.

Für Manuela Banzhaf ist es wichtiger denn je, dass angehende Musikerinnen und Musiker resilient werden. Das Musikgeschäft war zwar schon immer hart. Doch inzwischen ist es härter denn je. Das liegt an zusammengestrichenen Kulturetats, die Auftrittschancen reduzieren. Und daran, dass KI längst auch in der Musik Einzug gehalten hat. Man braucht nicht mehr unbedingt einen Komponisten, um ein Stück zu kreieren. Das erledigt im Notfall auch Künstliche Intelligenz. Gerade in Orchestern, hat die Spezialistin für Burnout zudem erfahren, können Musikerinnen und Musiker harten Konkurrenzkämpfen ausgesetzt sein: „bis hin zu Mobbing.“

Ort
Autor
Print-Rubriken