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Diebstahl auf der Buchmesse ist Normalfall

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Der etwas andere Bestseller-Indikator - Für die Verlage ist Diebstahl auf der Buchmesse zum Normalfall geworden.
Leseratten muss die Frankfurter Buchmesse wie der Himmel auf Erden erscheinen: In zwölf großen Messehallen gibt es Literatur soweit das Auge reicht. Viele Besucher fühlen sich auf der größten Bücherschau der Welt aber offenbar auch wie im Selbstbedienungsladen: Jedes Jahr verschwinden unzählige Bücher aus den Ausstellungsregalen. "Es wird sehr, sehr viel gestohlen", sagt Gregor Möller, Marketingchef des Lübbe-Verlags. "Wir haben im Schnitt 30 bis 35 Prozent Verlust." Regelmäßig müssen plötzlich auftauchende Lücken in den Regalen aufgefüllt werden - und die größte Herausforderung steht den Verlagen am Wochenende noch bevor.

Wenn am Samstag und Sonntag die Messehallen für jedermann offen
stehen, sich Tausende Besucher durch die Hallen schieben, „ist es gar
nicht möglich, sich vor Diebstahl zu schützen, das verdoppelt sich
dann noch mal“, sagt Möller. Nach den Worten der Sprecherin des
Hörbuch-Verlags, Heike Völker-Sieber, wird der Verlust durch
Dienstahl „von vornherein mit einkalkuliert, das ist der ganz normale
Verlust bei der Messe“.
Die Diebstahlsquote ist für die Verlage aber zugleich auch eine
etwas unkonventionelle Marktforschung. Denn die Regel gilt: Was die
Langfinger auf der Buchmesse besonders oft mitgehen lassen, wird auch
im Laden ein Bestseller. Oder wie Brockhaus-Sprecher Klaus Holoch es
formuliert: „Wem am Ende die meisten Bücher weggekommen sind, hat
auch die besten, das könnte man auch als Kompliment verstehen.“
Als Kavaliersdelikt sehen die Verlage die unerlaubte Mitnahme von
Lese- und Hörstoff dennoch nicht an. „Wenn ich jemanden dabei sehe,
laufe ich ihm auch über mehrere Hallen nach“, sagt Völker-Sieber. Die
Ertappten werden sofort der Messe verwiesen. Hostessen und das
Verlags-Personal sind vor allem am Wochenende angehalten, wachsam zu
sein. „\'Harry Potter\' ist am Samstag und Sonntag sicher der
kritischste Bereich“, prophezeit Völker-Sieber.
Mit genauen Zahlen, wie viele Ausstellungsstücke verschwinden, tun
sich die meisten Verlage schwer - auch weil einige Bücher im
täglichen Messetrubel ja ganz legal an Autoren und Agenten verschenkt
werden und darüber keine Übersicht geführt wird. „Wenn wir eine Lücke
sehen, füllen wir sie auf“, sagt dtv-Vertriebsmitarbeiterin Gabriele
Mertl.
Lübbe hatte vor vier Jahren probeweise sogar Detektive am Stand.
Inzwischen sei man aber wieder dazu übergegangen, selbst zu
kontrollieren, sagt Marketingchef Möller. Auch an den Ausgängen der
Buchmesse wird immer stärker kontrolliert. Wer Bücher dabei hat,
sollte eine Freiexemplar-Bestätigung oder eine Kaufquittung vorzeigen
können.
Manchmal handle es sich tatsächlich einfach nur um ein Missverständnis von Besuchern, die im guten Glauben handelten, sagt Völker-Sieber vom Hörbuch-Verlag. Ein bisschen trüge der Verlag vielleicht sogar selbst dazu bei, räumt sie ein, weil am Stand auch kostenlose Promo-CDs verteilt werden.
Die „dumme Ausrede, dafür liegen die Bücher doch da“, kann Möller inzwischen nicht mehr hören. „Die werden immer raffinierter, bringen zum Teil Tragetaschen mit verstärkter Kante mit und lassen die Bücher da ganz schnell reinfallen“, erzählt er. Erstaunlich sei dabei immer wieder, dass die Ertappten aus allen Gesellschaftsschichten kommen.
Manchmal spielten sich dann kleine Dramen ab: Als Möller einmal eine ältere Dame beim Bücherklau zur Rede stellte, war deren Mann so wütend auf die Gattin, dass er der inzwischen Rausgeschmissenen anordnete, vor der Buchmesse auf ihn zu warten, bis er sich in Ruhe umgeschaut habe.
Weitgehend diebstahlsicher ist immerhin ein Werk auf der Buchmesse: „Unsere 30-bändige Enzyklopädie ist noch nie Verschwunden“, schmunzelt Brockhaus-Sprecher Holoch.


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