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Schon Mozart machte es: Der Sampling-Trend in den Charts 2022
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Schon Mozart machte es: Der Sampling-Trend in den Charts 2022

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Berlin - Bei so manchem Ü30-Jährigen dürften beim Hören der Charts 2022 nostalgische Gefühle hochgekommen sein, denn da war viel Altbekanntes zu hören. Und das ist kein Zufall.

In diesem Jahr haben die Charts zumindest musikalisch oftmals die «Boomer»- und die «Gen-Z»-Generation vereint. Denn in den Top-100-Charts der GfK Entertainment sind viele Lieder gelistet, die für Jüngere komplett neu sind, zu denen aber Ältere im Original etwa Anfang der Nullerjahre oder noch früher in den Clubs bereits feierten.

Dazu gehören «Beautiful Girl» von Rapper Luciano, der Sean Kingstons «Beautiful Girls» aus 2007 samplete. Oder auch «Powerade» von Ion Miles, Sira One und BHZ, das von «Kids» der Band MGMT aus demselben Jahr inspiriert ist. Der Hit «Cold Heart» von Elton John und Dua Lipa enthält Teile von Johns Liedern («Rocket Man», «Kiss The Bride», «Sacrifice»). Rapper Liaze samplete auf «Paradise» Coldplays gleichnamiges Lied. Die Liste lässt sich noch lange fortführen. Kein Zweifel - es ist ein Trend in der Musikbranche.

Musikerinnen und Musiker nehmen sich Teile älterer Songs und packen sie auf ihre eigenen - das ist Sampling und letztlich eine altbekannte Technik. Anders als bei den Hits aus dem Jahr 2022, war das früher für Musik-Laien aber oftmals nicht sofort erkennbar.

Welche Faktoren machen Sampling zum Trend?

Nach Einschätzung von Max Alt, der an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Bereich der Musikwissenschaft tätig ist, ist Tiktok für den Trend mitverantwortlich. «Da geht es um Improvisation, um das Arrangieren, das Musizieren. Dass hierbei bekannte Songs neu interpretiert werden, liegt, glaube ich, an der Logik von Tiktok selbst.» Zudem mache es Tiktok sehr leicht, mit Musik zu hantieren. Da sei es einfacher, Songs zu nehmen, die schon existieren und die man nicht selbst produzieren müsse.

Auf dem Lied «Mad World» von Reggaestar Gentleman (48) ist das gleichnamige Original der Pop-Band Tears for Fears aus dem Jahr 1982 gesamplet. «Das fand ich ganz interessant, dass man nicht einfach einen Song covert, sondern einen Teil davon nimmt. Ich glaube, die große Herausforderung war, dass man den Song auch wiedererkennt», sagte der Musiker der Deutschen Presse-Agentur kürzlich.

Laut dem Musikjournalisten Falk Schacht, der auch Seminare zur Musikkultur hält, ist es eine vollkommen logische Reaktion der Künstler auf eine technische Entwicklung. «Die kann man uncool und unkreativ finden. Am Ende finde ich es positiv - die Künstlerinnen machen immer noch was Gutes draus.»

Der Ursprung des Samplings

Musikalisch gesehen ist Sampling eine technische Möglichkeit des Zitierens: Einem Musiker gefällt ein Song, er will darauf verweisen, also nimmt er sich einen Teil davon und packt ihn auf das eigene Lied. «Das Bedürfnis des Zitierens ist aber ein sehr altes künstlerisches Bedürfnis», sagt Falk Schacht. Schon Wolfgang Amadeus Mozart zitierte in «Die Zauberflöte» von 1791 in einer Passage ein Werk des italienischen Komponisten Muzio Clementi, das dieser zwei Jahre zuvor veröffentlicht hatte. «Das ist Sampling mit Mitteln des 18. Jahrhunderts», lacht Schacht.

Das, was Menschen heute unter Sampling verstehen, kann laut Alt auf die 50er-Jahre datiert werden. «Da wurden kleine Schnipsel von Tonbändern ausgeschnitten, wieder zusammengefügt und dann Collagen erstellt.» Manifestiert wurde das Sampling aber später, insbesondere mit der HipHop-Kultur. «In den 70er-Jahren in der Bronx, wo die HipHop-Kultur entstanden ist, war alles im Arsch», sagt Schacht dazu. Die Menschen lebten dort in Armut. Instrumente seien kaum vorhanden gewesen. «Es gab aber Plastik Schallplatten, auf denen Musik drauf war, also machte man diese Schallplatten zu eigenen Instrumenten.»

Der Reiz für den Künstler

Doch warum samplen Musiker überhaupt, anstatt eigene, neue Musik zu produzieren? Fangen wir wieder bei Mozart an, der in der «Zauberflöte» Clementi zitierte. «Es ist ein Verweis auf Clementi, den aber nur diejenigen verstehen, die über dieses Wissen verfügen - es ist wie eine Geheimbotschaft. Mozart wird eine diebische Freude dabei empfunden haben», sagt Schacht.

Das machen Produzentinnen und Produzenten heute auch. «Musikspielen kommt immer noch von «spielen» und diese kindliche Freude daran ist der Motor, Musik zu machen und auch kulturelle Querverweise einzubauen», so Schacht. Zudem bedarf es musikalisch professioneller Kenntnisse, um herauszufinden, welches Sampling im spezifischen Kontext funktioniert und welches nicht, sagt Musikwissenschaftler Alt. Dafür gilt der umstrittene US-Rapper Kanye West als beispielloses Talent.

Das Duo Jan Plewka und Marco Schmedtje interpretierte 80er-Jahre-Ohrwürmer hingegen auf einem ganzen Cover-Album «Between The 80's» neu. Für beide sei dies eine Reise in die eigene Vergangenheit gewesen, berichteten sie zur Albumveröffentlichung Ende November der dpa. Zwischen Cover und Sampling gibt es aber einen großen Unterschied: «Covern ist eins zu eins nachspielen. Beim Sampling nutzt man Teile der originalen Tonaufnahme eines Songs und baut diese neu zusammen», erklärt Schacht.

Der rechtliche Aspekt

Deshalb ist Sampling rechtlich knifflig. «Der Produzent muss sich mit dem originalen Verlag und der originalen Plattenfirma auseinandersetzen», sagt Schacht. Denn die Verlagsgesellschaften besitzen laut dem Musikjournalisten die Notenabfolge und die Plattenfirmen meist die Tonaufnahmen. Da das oft nicht geschehe, komme es immer wieder zu Sampling-Klagen.

In so einem langen Rechtsstreit befinden sich zum Beispiel der Produzent Moses Pelham und die Band Kraftwerk. Pelham hatte eine Sequenz des Kraftwerk-Songs «Metall auf Metall» von 1977 rund 20 Jahre später für seinen Song «Nur mir» mit der Rapperin Sabrina Setlur ohne Erlaubnis gesamplet. Die Band klagte. Das Verfahren wirft sehr grundsätzliche Fragen auf zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberschutz.

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab gewissermaßen beiden Seiten recht. Seit 2002 ist das Urheberrecht in der Europäischen Union vereinheitlicht. Für die Zeit danach hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine fremde Tonsequenz nur dann ohne Erlaubnis verwendet werden darf, wenn sie für Hörer in dem neuen Werk nicht wiedererkennbar ist. Die Kraftwerk-Sequenz ist wiedererkennbar, meint der BGH. Möglicherweise wurden also Rechte verletzt.

Anders sieht das für die Zeit vor Dezember 2002 aus, als noch die deutschen Vorschriften maßgeblich waren. Damals dürfte Pelham laut BGH das sogenannte Recht auf freie Benutzung zugestanden haben. Voraussetzung wäre, dass er ein «selbstständiges Werk» geschaffen hat. Ob das zutrifft, muss noch abschließend geklärt werden.

Fazit: Laut Schacht ist es wichtig, dass Künstler immer offenlegen, von wem sie samplen. Einfach so zu tun, als sei es die eigene Erfindung, geht nicht.

 

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