Vom Überdruss war in der letzten Kolumne die Rede – vom Überdruss an einer geistigen Auseinandersetzung sei es mit durchdachter Musik, sei es mit verlogener Politik, und einer schleichenden Bereitschaft, sich Sand in die Augen streuen zu lassen. Eine Haltung, die allemal bequemer und „stressfreier“ ist als die Frage nach dem, was sich hinter der poppigen Oberfläche eines Phänomens verbirgt und ob uns Inhalte überhaupt noch etwas angehen. Das Thema soll hier nochmals aufgegriffen werden und zwar anhand eines kleinen Buches eines Amerikaners, das gerade auf Deutsch erschienen ist (Europäische Verlagsanstalt) und die Problematik auf den zutreffenden Nenner „Das Elend der Ironie“ bringt. Der Autor ist Jedediah Purdy, ein 28-jähriger Yale-Absolvent, Umweltaktivist und besonnener Kritiker der grassierenden Oberflächlichkeit.
Vom Überdruss war in der letzten Kolumne die Rede – vom Überdruss an einer geistigen Auseinandersetzung sei es mit durchdachter Musik, sei es mit verlogener Politik, und einer schleichenden Bereitschaft, sich Sand in die Augen streuen zu lassen. Eine Haltung, die allemal bequemer und „stressfreier“ ist als die Frage nach dem, was sich hinter der poppigen Oberfläche eines Phänomens verbirgt und ob uns Inhalte überhaupt noch etwas angehen. Das Thema soll hier nochmals aufgegriffen werden und zwar anhand eines kleinen Buches eines Amerikaners, das gerade auf Deutsch erschienen ist (Europäische Verlagsanstalt) und die Problematik auf den zutreffenden Nenner „Das Elend der Ironie“ bringt. Der Autor ist Jedediah Purdy, ein 28-jähriger Yale-Absolvent, Umweltaktivist und besonnener Kritiker der grassierenden Oberflächlichkeit. Dass das Buch aus einem Land kommt, aus dem in jüngster Zeit außer systematischem Kriegsgeschrei nicht viel zu hören war, stimmt optimistisch, selbst wenn es keine Chance zum Bestseller hat. Henry David Thoreau, dessen Ideen von ziviler Courage, Aufrichtigkeit und Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt in Purdys Argumentation verschiedentlich durchschimmern, gelang das seinerzeit auch nicht. Trotzdem: wenn solche Stimmen ganz ausbleiben, ist es um eine Gesellschaft schlecht bestellt. Außerdem haben sie erwiesenermaßen eine größere Langzeitwirkung als die Fernsehreden der Politiker.Purdy diagnostiziert die Ironie als Krankheit der Gegenwart, die nach seiner Beobachtung zu einem Lebensstil besonders bei mediengewohnten jungen Leuten geworden ist. In einer Gesellschaft, die dem Individuum die Rückzugsmöglichkeiten in das als wirklich und wahr Empfundene verbaut und seine Innenwelt durch die Werbestrategien von Kommerz und Politik systematisch kolonisiert, bildet sie für die geistig Enteigneten einen trügerischen Fluchtpunkt. Abgestoßen von den verlogenen Ritualen der Politik, deren Aufgabe es einmal war, dem Gemeinwohl zu dienen und ihrer Vorstellung von einem auf gegenseitiger Achtung beruhenden Zusammenleben beraubt, driften sie ab in eine Welt der virtuosen Selbstverachtung.
Den Prototyp des ironischen Subjekts erblickt Purdy im Fernsehkomiker Jerry Seinfeld, dessen Show so perfekt den Zeitgeist traf, dass sie sich am Schluss selbst überflüssig machte: „Autonom dank seiner Unengagiertheit, illoyal auf so wachsweiche Art, dass kein Gedanke an Verrat aufkommt, ist er unübertroffen beim Durchschauen jener Oberflächlichkeiten, deren Geschöpf er ist.“ Kern der Ironie ist nach Purdy die Weigerung, an die Tiefe einer Beziehung, die Redlichkeit eines Beweggrundes, die Wahrheit einer Rede zu glauben. Ein nicht enden wollender Spaß ziehe sich durch die Kultur der Ironie und er gehe auf Kosten der Idee, dass jemand den ganzen Betrieb überhaupt wirklich ernst nehmen könnte.
Wer denkt bei solchen Sätzen nicht an die hiesigen Erscheinungsformen der neuen Unverbindlichkeit, von den nichtssagenden Politikerfloskeln bis zur hippen Klassikerinszenierung im Theater, von den konfektionierten Produkten der Software-Artisten bis zur dynamischen Spaßpartei, deren klägliches Scheitern immerhin hoffen lässt, dass auch der politischen Volksverdummung Grenzen gesetzt sind.
Dazu gehört auch jene Art von Kritik, die besonders in der neuen Musik heute um sich greift: Sie ruft stets ungeduldig nach „Neuem“, ist aber nicht willens, sich mit dem, was hier und jetzt angeboten wird, inhaltlich zu beschäftigen. Eine bequeme Art, Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen und sich zugleich als kühner Herold des Fortschritts zu gebärden.
Mit dem vagen Wechsel auf irgend welches Zukunftspotenzial glaubt man aufs richtige Pferd zu setzen und vor allem: Man muss sich mit nichts identifizieren, läuft also auch nicht Gefahr, morgen vielleicht auf der Seite der Looser zu stehen, wenn sich der Wind plötzlich gedreht haben sollte. Der Crash der New Economy, der Spaßabteilung des Kapitalismus mit Glitzer, Glamour und Megagewinnen, hat gezeigt, wohin solche Spekulationen führen. Die viel gepriesenen neuen Werte tendieren heute Richtung Null, die Haffa, Schnabel und Kirch stehen vor den Gerichten und Konkursverwaltern.
Bei so viel kultivierter Ironie gegenüber der Realität übersieht man fast die wirklichen Ironien der Zeit. Dazu gehört der Umstand, dass ausgerechnet der Typus des voraussetzungslosen Selbstvermarkters, der nichts anzubieten hat als eine mit ein paar Sprüchen garnierte Geschäftsidee, im Moment seines objektiven Scheiterns von deutschen Verwaltungsseelen als die Lösung des Arbeitslosenschlamassels entdeckt worden ist. Sie beziehen sich dabei auf Tom Peters, einen der Propheten der alt gewordenen New Economy, den Purdy mit den Worten zitiert: „Wir sind die Leitenden Angestellten unseres eigenen Unternehmens, unserer ,Ich-AG’. Um heute im Geschäft mitmischen zu können, haben wir vor allem die Aufgabe, Chefvermarkter der Marke ,Ich’ zu sein.“ Ist das die neue Arbeitskraft: einer, der immer nur von seinem eigenen Ich schwafelt? Jede Ähnlichkeit mit aktuellen Tendenzen im Kulturbetrieb ist rein zufälliger Art.
Purdy belässt es nicht bei einer Analyse der grotesken Fehlentwicklungen in einer Gesellschaft, der ihre grundlegenden Werte abhanden gekommen sind. Er plädiert dafür, den „höheren Prometheismus“, der Computergläubigkeit und Machbarkeitswahn innewohnt, einzutauschen gegen ein Handeln, das sich auf konkrete Erfahrung, intakte soziale Bindungen und ein Wissen um die begrenzten Ressourcen von Mensch und Natur abstützen kann. Gleich wichtig wie die Entfaltung der privaten Sphäre ist für ihn die Wiedergewinnung einer politischen Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient. Dabei beruft er sich auf Klassiker wie Montaigne und de Tocqueville, aber auch auf das Vorbild der polnischen und tschechischen Dissidenten im früheren Ostblock, die mit der Kraft der persönlichen Überzeugung gegen die Gewalt eines anonymen Machtapparats antraten. Ein Autor von erstaunlicher Weitsicht und ein Buch, das Mut macht.