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Tobias Preisig beim Kammermusikfestival Regensburg

Club-Crossover: Tobias Preisig beim Kammermusikfestival Regensburg. Foto: Juan Martin Koch

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Dehnbare Zeit: Eindrücke vom vierten Kammermusikfestival Regensburg

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„Anders hören“: Das Motto, das Miguel Pérez Iñesta (Klarinette), Mathias Johansen (Cello), Magnus Boye Hansen (Violine) und Mathias Susaas Halvorsen (Klavier) vom Lights Out Ensemble ihren Konzerten geben, ist nicht übertrieben. Wenn die vier in (fast) vollständiger Dunkelheit Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ spielen, macht das etwas mit dem Hörsinn und der Aufmerksamkeit.

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Nach der Phase des Erstaunens über die rein technische Umsetzung der komplexen Partitur ohne Augenkontakt zu Instrument, Noten und Mitmusikern folgt eine der akustisch-räumlichen Umorientierung und schließlich ein Verlust des Zeitgefühls, das sich zunächst zu dehnen, bald aber zusammenzuziehen scheint. So erfrischend wie diese Hörerfahrung war auch das Gespräch, das sich anschließend zwischen Interpreten und Publikum entwickelte. So in etwa dürften sich die Festivalmacher das mit der Öffnung des Kammermusikbegriffs und seiner Konzertformate vorgestellt haben. Weit gefasst war dieser vor allem beim Mitsingkonzert mit Brahms’ „Deutschem Requiem“, für das sich ein fast 80-köpfiger Chor formiert hatte, der unter der Leitung von Christoph Schäfer die („Kammer“)Fassung für zwei Klaviere und Schlagzeug höchst beeindruckend, aber leider in einer akustisch weitgehend ungeeigneten Hallenkirche bewältigte.

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Genregrenzen durch ungewöhnliche Konzertorte als durchlässig zu markieren ist ein weiteres Markenzeichen des Festivals. Das im weitesten Sinne dem Jazz zugehörige Melt Trio in einem prächtigen, hell erleuchteten Spiegelsaal klassizistischen Stils auftreten zu lassen, sollte dessen originelle, oftmals unerhörte Musik wohl nobilitieren und bewusstes Zuhören statt intuitives Abtauchen befördern. Leider unterstrich das gediegene Klassik-Ambiente eher die an diesem Abend ein Stück weit selbstreferenziell wirkende, in den Steigerungsverläufen sich durchaus mal wiederholende Seite der Band mit Peter Meyer (Gitarre), Bernhard Meyer (Bass) und Moritz Baumgärtner (Schlagzeug).

Ein wenig von jener Atmosphäre hätte hier wohl nicht geschadet, die der Geiger und Komponist Tobias Preisig in einem Tanzclub entfacht hatte. Die Momente, in denen sich Preisig und die Streicher der Camerata Goltz dem Überwältigungskitsch seiner diskotauglichen Neoklassik konsequent hingaben, waren die ehrlichsten und überzeugendsten an diesem Abend. Eingeschoben in die von Michel Gsell für die große Streicherbesetzung orchestrierten Showpieces waren die kammermusikalisch ambitionierten Sätze des ursprünglich für Streichquartett komponierten Zyklus „Break away“ von Jessie Montgomery. Die postmodern an Bartók und Britten sich orientierende, im Zusammenspiel durchaus heikle Musik hätte eine sorgfältigere Einstudierung vertragen können. Als Kontrast zum süffigen Preisig-Sound funktionierte das aber. Der große Erfolg beim durchaus jungen Publikum in der passenden Location gab den Machern jedenfalls recht.

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Jugendlich war auch eine Matinee, die Nachwuchsensembles aus Regensburg und Nürnberg ein Podium gab, was diese mit Verve zu nutzen verstanden. Das Trio Tremolo mit Heiko Giel (Violine), Johanna Schiekofer (Cello) und Aeneas zum Kolk (Klavier) stürzte sich temperamentvoll in den Kopfsatz von Mendelssohns erstem Klaviertrio und traf auch die Stimmung von Piazzollas „Invierno porteño“ gut.

Mit Earl Vasanthakumar (Violine), Jamie Hutterer (Viola) und Annabel Blaschke (Cello) bildet Heiko Giel außerdem das Next Generation Quartet, das nach dem Finale aus Haydns „Reiterquartett“ eine veritable Uraufführung mit Bravour meisterte: Der Jazzpianist Paul Bernewitz, der zuvor mit seinem Trio (mit Loreen Sima am Bass und Jonas Sorgenfrei am Schlagzeug) eigene Stücke mit Anklängen an Wayne Shorter und Thelonious Monk präsentierte, hat ein beachtliches, mit knapp 30 Minuten allerdings zu lang geratenes Streichquartett komponiert. Die dominierende Stimmung eines in enger Lage in nachdenklichem Choralgestus sich verströmenden Kollektivs wird bisweilen rhythmisch belebt und durch melodische Hoffnungsgesten in höheren Lagen aufgehellt. Ob im Jazz oder im „ernsten Fach“: Den Namen Paul Bernewitz darf man sich merken.

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Längst einen Namen hat sich das Vokalensemble StimmGold gemacht, nicht zuletzt durch sein Engagement in Sachen zeitgenössische Musik. So standen beim Eröffnungskonzert des Festivals wieder drei Finalwerke des Regensburger Kompositionswettbewerbs auf dem Programm, wobei sich das schließlich mit dem 2. Preis ausgezeichnete „Herzzeit“ von Arsen Babajanyan knapp, aber verdient den im Laufe des Abends ermittelten Publikumspreis holte. Unmittelbar einleuchtend, ohne plakativ zu werden, teilt der Komponist hier Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan auf die Frauen- und Männerstimmen des Ensembles auf – ein vielfach ineinander verwobener, vom Hauch der Zeit durchwehter Dialog als Zeugnis einer komplizierten Beziehung.

Wie das in seiner Dauererregung etwas eindimensionale „A cloud full and straight“ von Sissi Makropoulou (3. Preis) bezieht auch das „De Profundis“ von Daniel Toledo Guillén (1. Preis) die Möglichkeiten des Duos Fallwander mit ein: Teresa Allgaiers Violine und Theresa Zarembas Elektronik bilden neben dem mit Geräuschaftem angereicherten Vokalklang weitere Ebenen in einem Stück, dem ein wenig der Fokus fehlt.

Sympathisch in ihrem Retro-Synthie-Sound waren die Verfremdungen, mit denen Fallwander die sechs Vokalisten in drei Reger-„Reminiszenzen“ umspielten. Bei den Reger-Originalen aus dessen Opus 39 hatten Lucia Boisserée, Christina Müller, Marlene Kraft, Christoph Schäfer, Marlo Honselmann und Jakob Steiner bisweilen mit der vertrackten Chromatik zu kämpfen. Dafür waren sie aber hellwache, kompetente Sachwalter der neuen Klänge, die uns das Kammermusikfestival Regensburg hoffentlich auch weiterhin bescheren wird. Im kommenden Jahr wird dann auch schon fünfjähriges Jubiläum gefeiert.

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