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Tumult in der Schmiede-WG: Vincent Wolfsteiner und Peter Galliard in der Nürnberger „Siegfried“-Inszenierung. Foto: Ludwig Olah
Tumult in der Schmiede-WG: Vincent Wolfsteiner und Peter Galliard in der Nürnberger „Siegfried“-Inszenierung. Foto: Ludwig Olah
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Leuchtende Liebe auf der Fernsehcouch: „Siegfried“ als kurzweilige Farce am Staatstheater Nürnberg

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Die Deutung des dritten Teils von Wagners Ring-Tetralogie als heiteres Intermezzo, quasi als Scherzo einer riesenhaften Vokalsymphonie, ist schneller herbeigeredet denn szenisch eingelöst. Regisseur Georg Schmiedleitner hat mit seinem Nürnberger „Siegfried“ für eine solche Deutung nun viel in die Waagschale geworfen: mit einigem Erfolg, jedoch nicht ohne Kollateralschäden.

Das Gelingen eines leichten, komödiantischen Tonfalls steht und fällt mit der Bereitschaft, den jungen Helden nicht nur punktuell, sondern konsequent der Lächerlichkeit preiszugeben. Schmiedleitner lässt daran von der ersten Szene an keinen Zweifel: In schlabbernder Joggingkluft an Hosenträgern ist dieser Siegfried ein gefährlicher Trottel, dessen Hirnwachstum dem muskulären nachhinkt. Die Schmiede-WG gerät entsprechend aus den Fugen und das vergiftete Nutella wird den verhassten Ziehvater Mime (Peter Galliards überbordendes szenisches Temperament beeinträchtigte die vokale Gestaltung nur gelegentlich) am Ende auch nicht vor seinem grausigen Schicksal retten.

An einer Ring-übergreifenden Perspektive zeigt Schmiedleitners oft derbe, aber punktgenaue und äußerst kurzweilige Farce dabei kaum Interesse. Einzig Stefan Brandtmayrs Endzeit-Bühnenbild schlägt den Bogen zurück zu „Rheingold“ und „Walküre“ aus der vergangenen Spielzeit. So hütet Fafner seinen Hort an einer aufgelassenen Autobahn, deren geborstener Asphalt sich ebenso bedrohlich aufbläht wie Nicolai Karnolskys elektronisch vergrößertes Stimmvolumen. Traurige Spielplatzreste weisen auf eine Kindheit, die Siegfried nun zurücklässt.

Bei aller Ahnungslosigkeit, was Frauen im allgemeinen und Brünnhilde im Besonderen betrifft, hat Siegfried nach deren Erweckung jedoch erstaunlich klare Vorstellungen für den künftigen Ehealltag: Ein Sofa, ein Flachbildschirm, dazu Chips und Bier – einer gedeihlichen Beziehung steht nichts im Wege. Einzig der nunmehr zum Skelett mutierte Waldvogel (im zweiten Aufzug hatte Leah Gordon ihm stimmliches Format verliehen) gemahnt daran, dass das Happy End nur ein vorläufiges ist.

Nach dem feinen Slapstick, mit dem Georg Schmiedleitner das Aufwachen Brünnhildes und die erste Begegnung mit Siegfried in ein gar nicht so weit hergeholtes absurdes Theater verwandelt hatte, wirkte das prollige Finale allerdings eher plump als provokativ. Dieser Schlusspointe dürften dann wohl auch die meisten Buhrufe des ansonsten enthusiastisch aufgenommenen Abends gegolten haben.

Generalmusikdirektor Marcus Bosch setzte die Linie seiner Wagner-Interpretationen überzeugend fort und ließ die Staatsphilharmonie flüssig, transparent und klar artikuliert aufspielen. Mochte sich der präzise Konversationstonfall im ersten, bisweilen rhythmisch tumultuös aus dem Ruder laufenden Aufzug noch nicht durchweg einstellen, so waren im weiteren Verlauf die vielen Dialogpassagen von bestechender Prägnanz, allen voran die erste Szene des zweiten Aufzugs.

Was Martin Winkler als Alberich und Antonio Yang als heruntergekommener Wotan auf Wanderschaft an charakterisierenden Nuancen in dieses Gespräch legten, war fabelhaft. Auch die meist nur als retardierendes Moment wahrgenommene Begegnung des Wanderers mit Erda (warm und volltönend: Leila Pfister) wies meilenweit über die öffentliche Bedürfnisanstalt hinaus, in der die Regie sie ansiedelt.

Als Brünnhilde bewies Rachael Tovey in ihrer Erweckungsszene viel Mut zur Selbstpersiflage, was sie nicht daran hinderte, vom wunderbar lyrischen „Ewig war ich“ bis zu emphatischen Ausbrüchen die ganze Bandbreite ihrer vokalen Gestaltungsfähigkeit auszuspielen. Vincent Wolfsteiner wiederum – wie das gesamte Ensemble mit vorbildlicher, vom Orchester getragener Textbehandlung – hatte sich seine Kräfte in der mörderischen Titelpartie so gut eingeteilt, dass er im Couch-Potato-Finale fast entspannt wirkte.

Nach diesem ebenso unterhaltsamen wie unverbindlichen Zwischenspiel bleibt Georg Schmiedleitner nun noch die „Götterdämmerung“ (ab Oktober), um seinen „Ring“ aus der Kleinteiligkeit heraus zu einem großen Ganzen zu fügen. Möglicherweise hat er daran aber auch gar kein Interesse. Schade, denn musikalisch hat Nürnberg das Zeug dazu.

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