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Gala El Hadidi und Jason Kim. Foto:  © Silke Winkler

Gala El Hadidi und Jason Kim. Foto:  © Silke Winkler

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Schwerin: Eine „Carmen“ aus den Wäldern Draculas oder aus Böhmischen Dörfern?

Vorspann / Teaser

Georges Bizets „Carmen“ ist die Oper mit der ruchlosesten Verführerin, nimmt man Lulu, die weit Jüngere, einmal aus. Aber Alban Berg hatte ihr leider nicht erlaubt, so lasziv zu singen, dass alle im Parkett mitträllern. Vermutlich deshalb schafft es die Dame aus Sevilla viel häufiger vor ein großes Publikum – wie just wieder in Schwerin, genau am 10. November, einen Tag vor Karnevalsbeginn.

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Das Datum ist nicht unwichtig, ist es doch das, an dem alle bösen Halloween-Geister ihre Macht verlieren. Eigentlich! Aber die Oper ist als Institution zugleich eine mit bewahrender Tendenz. So lässt sich Schwerins jüngste Inkarnation von Sinnlichkeit durchaus als Gegenbild zum berauschenden Karneval sehen, der am Folgetag begann. Mit dieser neuen „Carmen“ aber wird Halloween fortgeführt und ins Neue Jahr gerettet. Ein buntes Bühnengeschehen wird den Besuchern vorgesetzt, an dem Menschen, Geister und merkwürdiges Getier beteiligt sind, das sogar chorisch singen kann. Sie müssen sich jedoch darauf einlassen, dass Carmen, eigentlich professionelle Zigarrendreherin, zum Vampir mutiert wurde und statt Rauch Blut inhaliert. Sie findet den zum Weiterleben nötigen roten Körpersaft vor allem bei lüsternen, im besten Fall jungen Männern. Trinkt sie ihn, kann sie unsterblich leben, der Mann muss sterben. Ob das emanzipatorisch zu deuten ist, sei dahingestellt, da es eine absolute Abhängigkeit vom ehemals starken Geschlecht belegt. Auf jeden Fall muss sie schlagartig Sevilla verlassen und eine Gebirgs- und Waldlandschaft in Böhmen oder den Karpaten aufsuchen.

Diese mythische Verstrickung fanden Anna Weber, Sina Manthey, von Lina Wittfoht unterstützt, und Stella Lennert. Sie bilden zusammen ein blutjunges Team, dazu noch ein rein weibliches. Die erste in ihm sorgte als Regisseurin für Carmens neue Existenz und innere Konsistenz, die beiden folgenden machten sich Gedanken, wie alles Geschehen südosteuropäisch verortet werden kann. Die letzte half, dass Carmen und alle um sie herum sich nachhaltig kleiden. Unsterbliche müssen das praktischerweise. Was das Quartett eint, ist eine überbordende Phantasie. Die war mythologisch durch eben die blutsaugenden Nachtgestalten inspiriert. Sie bieten für eine Regie unzweifelhaft Vorteile, da ihnen mit Logik nicht beizukommen ist. Zudem sind sie mit übernatürlichen Kräften ausgestattet. Liebe und Begehren kann einfach als Lust auf Blut erklärt werden, ist es ihnen doch Lebenselixier. Nützlich ist zudem, dass sie fliegen können. Auf- und Abtritte sind so einfach mal nach oben zu vollziehen, wenn es brenzlig wird. Ein Nachteil ist nur, dass die Seile, an denen sie hängen, verraten, dass sie fremdgesteuert sind.   

Um alles Geschehen dieser Sicht unterzuordnen, werden Rezitative, gelegentlich auch Arien, textlich angepasst, auch kurze sprachliche Szenen eingeschoben. Zudem gibt es musikalische Einsprengsel, zumeist an Bizet erinnernde, aber auch Klangcluster von geheimnisvollem Schwirren. Das Orchester schien Lust daran zu haben, nicht Routine zu spielen. Und Mark Rohde, ihr GMD, vergaß häufig, dass nicht Spanisches, sondern Vampirisches zu untermalen war, man möchte schreiben, zum Glück. Wie fein das Instrumentale unter anderen Bedingungen hätte wirken können, hörte man bei den Vor- und Zwischenstücken. Dass sie beim Publikum nicht angemessen gewürdigt wurden, ist unverständlich, ihm schienen einzig die Gesangshits würdig für Zwischenapplaus.

Da alles in sich stimmen sollte, mussten wegen der veränderten Rahmenbedingungen etliche Personen verfremdet werden. Der arme Don José zum Beispiel stand immer etwas nachdenklich herum, wie nicht ins Gefüge passend. Er hatte wohl einfach nicht verkraftet, dass er einer Vampirin auf den Leim gegangen war. Micaëla bekam eine weich fließende, hellblaue Kutte verpasst, wie auch all die Kinder, die ihr wie einer Zuchtmeisterin folgten. Zudem entstellten sie lange gelbliche Wimpern so sehr, dass Don José sie verständlicherweise nicht küsste. Das Motiv Eifersucht konnte also einfach in den Orchestergraben fallen. Frasquita und Moralès, Carmens Genossinnen, (köstlich gesungen und dargestellt von Morgane Heyse und Martha-Luise Urbanek), bewiesen die Verwandtschaft der Blutsauger zu Menschen damit, da sie in Freundschaft, einem durchaus menschlichen Gefühl, verbunden waren. Sie wirkten jung und flippig und geiferten ständig nach männlichen Hälsen, während Carmen sich souverän und vornehm bediente. Dennoch wollte das Trio altbacken erfahren, was ihnen das Schicksal bieten würde, womit das einst „Kartenterzett“ genannte Stück diesmal keines war. Die Vampire ließen nämlich die Sterne weissagen. Dass die aber gerade einer Unsterblichen den Tod ankündigen, konnte nur ein Regiefehler sein.

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v.l.n.r. Jason Kim, Cornelia Zink und Kinderchor. Foto:  © Silke Winkler.

v.l.n.r. Jason Kim, Cornelia Zink und Kinderchor. Foto:  © Silke Winkler.

 

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Manches machte sich grandios, darunter Don Josès Rivale Escamillo. Hübsch buntes und enges Zeug trug er, war ein tuntiger Verschnitt von Siegfried und Elvis. Dass er in Schwerin zwei Werwölfe mit glühenden Augen an der Leine führte, ersetzte nicht nur die Stiere, auch die Arena, die nun wirklich in Dracula-Landen schwer vorstellbar ist. Ganz in des Toreros Sinn dürfte sein, dass die beiden Schmuggler Dancaïro und Remendado (Marius Pallesen und Martin Gerke) zu zwei Conchita Wurst-Imitaten wurden, die immer mit Lust und Wonne mit ihrem Schmuggel-Container für Blut umherzogen. Es war ein Sarg, grün angestrichen. Über diese leitmotivische Tönung sei nur dies noch gesagt, dass im ersten Akt die Schürzen so gefärbt waren, die Carmens Kolleginnen trugen. Um einem heutigen Publikum zu genügen, ließ die Regie sie, die einst Zigarren rauchten, und die Soldaten berauschenden Qualm aus einem langen Schlauch inhalieren. Es wird der inzwischen legalisierte von Cannabis gewesen sein, denn seine Wirkung verging schnell.

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Ist „Carmen“ nun unsterblich? Die gleiche Szene zu Beginn und beim Herabfallen des Vorhangs zeigt das, wenn sich unter dem gleichen roten Himmelsausschnitt ein Meuchelmord vollzieht. Der Kenner weiß zudem, dass Carmen mit unzähligen Einstichen getötet wird. Als Vampir lebt sie aber weiter. Das ist gleichzeitig als Symbol zu lesen, dass Carmen auch in dieser Version nicht totzukriegen ist.

Fast konnte man unter dem optischen Sturm die Vokalisten vergessen, obwohl alle sich redlich mühten, ihrer Rolle gesanglich etwas abzugewinnen. Dabei hatte Gala El Hadidi es besonders schwer, Carmens Ohrwürmer mit ihrem klangvollen und dem sinnlich schattierten Mezzo an die Ohren zu bringen. Als Vampir musste sie für Blut singen, nicht einen Mann verführen und war zudem im ersten Akt bei den besonderen Ohrwürmern weit nach hinten abgestellt. Cornelia Zink durfte dagegen ihren schönen, zugleich warmen Sopran sorgfältig ausrichten, war sie doch bei ihren Arien nahezu statuenhaft aufgestellt. Jason Kim als Don José, einziger Gast, hatte einen starken, strahlenden Tenor. Da er von der Regie eher unfreundlich gestellt und geführt wurde, kam auch er nicht recht dazu, im Spiel seine Wandlungsfähigkeit zu beweisen. Mehr herausgestellt war Brian Davis als Escamillo. Er konnte kräftig chargieren, wozu sein Kostüm verpflichtete. Es bleiben die Chöre, einstudiert von Aki Schmitt. Sie führten mit großer Spiellaune ihre Parts auf der Bühne und im Parkett aus. Bizet hatte sich bekanntlich für sie viel einfallen lassen, schon im ersten Akt, was aber bei den Kindern unter ihren blauen Kutten wirkte, als sängen Klosterschüler.

Es wurde viel applaudiert, zwischendurch, auch bei den gesanglichen Juwelen, zum Schluss sogar heftig. Als die Regie-Damen kamen, gab es allerdings deutliche Buhs.

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