„Too hot to Händel“ lautete der pfiffige Werbeslogan für die ambitionierte Neuproduktion an Münchens anderem Opernhaus. Das spielte in unseren tabu-losen Zeiten auf die doch recht turbulent heißen Liebes-Gender-Wirren im Werk an. Doch stellte sich das originale Zitat mit „to handle“ ein: Das hoch anspruchsvolle Werk erwies sich auch als zu schwer und heikel zu handhaben.

Andreja Zidaric (Morgana), Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Marie-Laure Briane
Too heikel to Händel – „Alcina“ im Münchner Gärtnerplatztheater kann nur vokal überzeugen
Zur Uraufführung im London des Jahres 1735 wurde theatralisch „alles“ aufgeboten: eben alle Überraschungen barocken Maschinentheaters, die besten Gesangsstars, herausragende Tanzgrößen, üppiger Kostümzauber und – nach dem „Ariodante“-Triumph kurz zuvor – eine fast fünfstündige Fülle von Händels erneut begeisternden Bühnenkompositionen – das alles für die verführerisch lockende Insel der berauschenden Zauberin Alcina, den ihr verfallenen Ritter Ruggiero, seine auf Rettung bedachte, als Mann verkleidete Verlobte Bradamante, Alcinas zauberhafte Schwester Morgana und den Knaben Oberto, der seinen zum Tier verzauberten Vater sucht … darum herum natürlich Geister, wilde Tiere, alles in einer betörend und verwirrend schönen Natur.
Um dem „too hot to handle“ zu entgehen, hält Regisseurin Magdalena Fuchsberger die Problematik um „Frau als Zauberin“ für kulturhistorisch erledigt. Viel stringenter findet sie, dass die im 18. Jahrhundert hochkochende Spannung zwischen Ratio und Emotion doch bis in unsere Jahre als Konflikt zwischen „Geordneter Welt“ und „Ausbruch“, zwischen Berechenbarkeit und Enthemmung wiederkehrt. Folglich zeigen die aufwendigen Kostüme von Pascal Seibicke einen kunterbunt gestylten Querschnitt durch viele Stile und Zeiten bis ins Jetzt. Der gleichsam „geordnete Ritter“ Ruggiero ist in eine irrationale, ihn faszinierende Welt, durch die ihn fesselnde Frau auch in einen anderen Bewusstseinszustand geraten. Dazu muss Fuchsberger gar nicht „gendern“: so wie sich Alcina äußerlich im Kostüm verändern kann, wird die ehemalige Kastratenpartie Ruggieros als Hosenrolle von einer Mezzosopranistin gesungen – und Ruggieros Verlobte Bradamante verkleidet sich andererseits als Ritter, um ihn aus den Fängen der Verführerin zu retten – und prompt verliebt sich Alcinas Schwester Morgana in diesen anderen Ritter … also: Was spielt Geschlecht für die Zauberkraft der Liebe schon für eine Rolle? Da ist ein Meisterwerk von 1735 ganz nahe an 2025.
Das ist zutreffend gedacht. Die theatralische Ausführung blieb dahinter zurück. Bühnenbildner Stephan Manteuffel gab den Blick in die ganze Technik bis hoch in den Schnürboden frei, dazu durchweg Drehbühne, allerlei Hubpodien, Hintergrundspiegel, treppenreiches Glashaus und ein gläsernes Wartehäuschen mit befremdlichen Klappsitzen, eine altmodische Laterne und ein Box-Sandsack … doch „Zauber“ stellte sich nicht ein, erst recht nicht, wenn zu Alcina „Ah mio cor“ auch durch Michael Heidingers banales Licht keinerlei ruhende Konzentration auf eine von Händels herzanrührenden Arien gewollt war. Auch inszenatorische Kontraste – Orontes Polieren seines mal kurz hochgefahrenen Sportwagens, dann Ruggiero-Bradamantes Rückkehr in die Normalität durch eine herabfahrende Einfamilienhaus-Fassade, final schließlich eine bodenlos banale Grill-Party mit bayerischem Bier garniert: aufgesetzt misslungen. Vielerlei ohne starke Wirkung.
Gewollt war auch, dass die vierzehn Tänzer mit den Protagonisten handelnd „verschmelzen“. Doch so wie sich Handlungsballettgrößen à la Cranko oder Neumeier nicht an 150 Minuten Musik begleitende Choreografie gewagt haben, so scheiterte Karl Alfred Schreiner in austauschbarem Aktionismus zwischen erotischer Verstrickung und gestischer Doppelung von Text und Musik – trotz sichtbarem Engagement seiner Tänzerinnen und Tänzer.
Chefdirigent Rubén Dubrovsky hatte zusammen mit Regisseurin Fuchsberger gekürzt, den „A-B-Á“-Aufbau der Da-Capo-Arien beibehalten, um mehrfach reizvollen Ziergesang zu ermöglichen. Doch trotz seiner Barock-Erfahrung fehlte es an furiosem Presto, durchgängigem Vorwärtsdrängen, zu dem dann Händels bewegendes Innehalten fesselnd kontrastiert hätte – so schön Solo-Cello oder Flöten sich aus dem etwas hochgefahrenen Orchester abhoben.
Zurecht konzentrierten sich am Ende die Bravo-Rufe nur auf die Solisten. So überzeugend sich der virile Tenor Gyula Rabs als Alcinas Feldherr vom Bass Timos Sirlantzis als Ratgeber Melisso abhob: betörend klangen fünf Frauenstimmen. Angeführt vom Belcanto-Star des Hauses Jennifer O’Loughlin in der fast zu brav gestalteten Titelrolle strahlte Mina Yu als zunächst vaterloser Oberto wie ein heller Knabensopran. Mit ihrer blendenden Bühnenerscheinung im hautengen Morgana-Kleid betörte Andreja Zidaric auch vokal mit reizvollem Sopran. Und dann wurde es schwer: Da war Mezzosopran Sophie Rennert über ihr Arnold-Schwarzenegger-angenähertes „muscle-shirt“ hinaus ein schlank-rank eleganter Ruggiero mit mal zupackenden, mal zerrissen leidvollen Tönen – wunderbar abgesetzt vom oft dunkel strömenden Alt Monika Jägerovás als Bradamante… da blieb nur, den vokalen Lorbeer des Abends zwischen beiden zu teilen – tutti due brave!
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