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Eine Grauzone namens künstlerische Freiheit

Untertitel
Streitbar unstreitbar: neue Veröffentlichungen der Popindustrie im April
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R.E.M. – Collapse into now *** k.d. lang – Sing it loud *** Radiohead – The King of Limbs *** Kellner – The Road Sessions *** Christina Rommel – Blick von oben

Nun gut. R.E.M. wollen es also doch noch einmal versuchen. Mit der guten, alten Musik auf dem 15. Album in 31 Jahren. „Collapse into now“ nennt sich das letzte Album des „80 Millionen Dollar für fünf Alben“-Deals. Wo also anfangen? Dass die Songs irgendwie okay sind, aber auch beliebig. Dass die Songs große Oberflächenschwimmer sind und jegliche Tiefe verweigern. Dass Gastmusiker wie Eddie Vedder von Pearl Jam oder Joel Gibb von den Hidden Cameras dabei sind. Dass man in den Hansa-Studios zu Berlin aufgenommen hat und ein Song „Überlin“ heißt. Dass freilich jeder R.E.M.-Fan jubilieren mag, ob solcher Kracher wie „It happened today“ oder „Mine smells like honey“. Dass diese Songs aber früher von Michael Stipe persönlich in die Tonne getreten worden wären. Ach, Musik ist einfach herrlich. Liebe sie oder hasse sie. Und zwischendrin ist R.E.M. Sortierbar, aber nicht einzuordnen. Deshalb der Hörhinweis: alles.

Eine schöne Frühlingsüberraschung ist das neue Studioalbum „Sing it loud“ von k.d. lang. Besonders daran: Sie arbeitete nach langer Zeit wieder einmal mit fester Band im Studio. Ob man da nun eine Homogenität hört, eine knis­ternde Spannung zwischen den Musikern oder ein sich aufputschendes Team, mag dahingestellt sein. Fakt ist: k.d. lang schreibt eben Klassesongs. Was sollen da die festen Musiker noch vergeigen? Romantisch sind die Songs zwischen Pop, Indie, Folk und Country eingekleidet. k.d. lang ist gewohnt treffsicher, die Band weiß, wann man sich zurückhält, kann sich aber auch in den Vordergrund spielen. Jeder Song passt bis in die kleinste Note. Ein wärmender Perfektionismus. Hörhinweis: I confess, Sugar Buzz.

Noch so eine streitbare Band: Radiohead. Ihr neues Album „The King of Limbs“ war im Februar zunächst nur als kostenpflichtiger Download zu bekommen. Ende März wird es die CD geben. Was Radiohead seit einigen Jahren machen, ist vielleicht gar keine Grauzone mehr. Man nennt es künstlerische Freiheit. Alles ist erlaubt, egal und meist unverständlich. Gut so. Man muss nicht immer alles verstehen. Die Songs des Albums bewegen sich zwischen Loops, Wiederholungssequenzen, Fragmenten und Torsos. Das ist mitunter reizvoll, wie beim epischen „Littly by little“. Allerdings zermürbend beim Opener „Bloom“ und herausfordernd bei „Lotus Flower“. Ein geniales Album? Keine Ahnung. Ein anderes. Aber sicher. Eventuell sind Radio­head die erste weltweite „Copy & Paste“-Rockband, die sich selbst beklauen. Hörhinweis: siehe oben.

Man musste bei Kellner, der Band um Mathias Kellner, nach dem letzten (zweiten) Album ein wenig Angst haben. Die sympathischen Kanten und Ecken des Debutalbums hatten sie glatt geklopft, und gar im Radio wurden sie gespielt. Das verleitet dann oft zu unnötigen Songs, für die man sich später irgendwie entschuldigen muss. Aber: „The Road Sessions“, das dritte Album, klingt doch wieder anders. Besser. Kurviger. Ruppiger. Warum, bleibt fraglich. Vielleicht, weil Songs wie „Tear it out“, „Goodfellas“, „By now“ oder „Quotation­ Marks“ den richtigen Ton treffen. Zwar Popmusik sind, aber eben genug Indie und Folk beinhalten, um nicht belanglos zu wirken. Ein Schritt nach vorne, das dritte Album. Hörhinweis: Tear it out, Goodfellas.

Deutsche Texte, rockiger Pop. Das kennzeichnet Christina Rommel und ihr neues Album „Blick von oben“. Doch Christina Rommel ist keine, die zwölf Songs auf den Tisch knallt und sagt „bitteschön“. Beschäftigen muss man sich einerseits mit dem Album und seinen Texten. Hier passt der Deckel auf den Topf, das ist alles extrem glaubwürdig. Andererseits darf man sich an dieser Stelle gerne mit der Künstlerin auseinandersetzen. Christina Rommel hat so eine allumfassende Künstler-Interpretation, die in vielen Projekten (Flughafen-Livetour) oder als UNICEF-Botschafterin wirkungsvollen Ausdruck findet. Unbedingt ausprobieren. Hörhinweis: Eiskristall, Blick von oben.

Diskografie

  • R.E.M. – Collapse into now (Warner, 04.03.2011)
  • k.d. lang – Sing it loud (Warner, 29.04.2011)
  • Radiohead – The King of Limbs (XL/Beggars Group, 18.02.2011)
  • Kellner – The Road Sessions (Südpolrecords, 25.03.2011)
  • Christina Rommel – Blick von oben (Elisaparkmusic, 25.03.2011)

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