Kaum ein Komponist war über so lange Zeit so eng mit einer Stadt und Hochschule verbunden wie Giselher Klebe mit Detmold und der Hochschule für Musik Detmold – hier lebte, lehrte und komponierte er mehr als 40 Jahre. Im Jahr 2025 hätte der international anerkannte Komponist und langjährige Detmolder Hochschulprofessor seinen 100. Geburtstag gefeiert. Die Hochschule nahm dieses Jubiläum zum Anlass, das Festival Giselher Klebe_100 | Detmold auszurichten. In sieben Konzerten, einer Opernaufführung, Gesprächsveranstaltungen, einer Ausstellung und einem musikwissenschaftlichen Symposium werden Klebes Lebenswerk in Erinnerung gerufen und seine Musik wieder hörbar gemacht. Der Künstlerische Leiter Christian Köhn und die Wissenschaftliche Leiterin Prof. Dr. Antje Tumat im Gespräch mit Jelka Lüders.
Enrique Rivera, 70er-Klebe am Schreibtisch, ca. 1976. Foto: Harriet Nahrwold
Giselher Klebe_100 | Detmold
Herr Köhn, Sie haben das Festival „Giselher Klebe_100 | Detmold“ vor mehr als zwei Jahren initiiert und die Künstlerische Gesamtleitung übernommen. Was war Ihre persönliche Motivation für diese große Aufgabe?
Christian Köhn: Die Musik Giselher Klebes ist für mich, seit ich sie vor rund 40 Jahren kennenlernte und erst recht nach der jahrelangen intensiven Zusammenarbeit mit ihm, von herausragender Bedeutung und hat mich als Musiker tief geprägt. Die humanistische Aussage, die in seiner Musik in vielfältigsten Facetten, mit großer Kraft und in bewegender Klarheit zum Ausdruck kommt, ist gerade in unserer Zeit wichtig.
Wie sind Sie bei der Konzeption des Festivals vorgegangen und auf welche Resonanz sind Sie innerhalb der Hochschule gestoßen?
Köhn: Oberstes Ziel war es, über den lokalen und zeitlichen Rahmen des Festivals hinaus zu wirken und das inzwischen weitgehend verloren gegangene Interesse an dieser Musik wieder zu beleben. Dazu habe ich die Programme so gestaltet, dass sie einen breiten Querschnitt vom Früh- bis zum Spätwerk und über die verschiedensten Besetzungen abbilden. Die Resonanz in der Hochschule war mit einem Wort: überwältigend. Alle Mitwirkenden haben sehr schnell zugesagt und das Engagement auf allen Seiten hat meine Erwartungen weit übertroffen.
Frau Tumat, wie haben Sie auf die Anfrage reagiert, die Wissenschaftliche Leitung des Projekts zu übernehmen?
Antje Tumat: Da ein Schwerpunkt meiner Forschungsarbeit im Bereich Neue Musik des 20. Jahrhunderts liegt, habe ich diese Aufgabe gerne übernommen. Klebes pazifistische Grundhaltung ist inhaltlich hochaktuell. Zudem erscheint mir seine auch kritische Auseinandersetzung mit der damaligen kompositorischen Avantgarde insofern auch noch heute relevant, als dass sie das Verständlichkeitsproblem Neuer Musik thematisiert. Klebe betonte beispielsweise, dass Musik ihre Sprachlichkeit nicht verlieren dürfe und von den Zuhörenden verstanden werden solle.
Welche Aktivitäten oder Lehrveranstaltungen führt das Musikwissenschaftliche Seminar im Rahmen von „Giselher Klebe_100 | Detmold“ konkret durch?
Tumat: Ein Highlight ist sicherlich die in einem Projektseminar in enger Zusammenarbeit mit Klebes Tochter Sonja Klebe konzipierte Ausstellung im Foyer des Konzerthauses. Sie bietet einen Einblick in Biografie und Werk Klebes und fokussiert sein Engagement als Pädagoge anhand vieler bislang völlig unbekannter und somit unveröffentlichter Exponate. Zudem gibt es im Wintersemester 2025/26 ein Seminar zu Klebe, das sich Klebes Werk aus der Perspektive der Geschichte Neuer Musik im 20. Jahrhundert widmet. In einem Musikwissenschaftlichen Symposium setzen wir uns zudem mit Kollegen und Zeitzeugen zum Teil erstmals mit Aspekten von Klebes Werk oder einzelnen Opern auseinander.
Giselher Klebe war einer der erfolgreichsten Komponisten seiner Generation. Wie erklären Sie es sich, dass sein Werk heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und dass es nur wenig Forschungsliteratur zu Klebe gibt?
Köhn: Klebe geriet schon zu Lebzeiten mehr und mehr in Vergessenheit. Ein Grund war sicherlich, dass er sich in seiner persönlichen kompositorischen Entwicklung auf der „leidenschaftlichen Suche nach Klarheit“ von der Avantgarde seiner Zeit immer mehr entfernte und unbeirrt seinen eigenen Weg ging. Mit seiner harmonischen Sprache, bei der er Tonalität und Atonalität nicht als einander ausschließende Gegensätze, sondern als entgegengesetzte Pole einer Skala verstand, zwischen denen er sich bewegen konnte, saß er gewissermaßen zwischen allen Stühlen.
Tumat: Ob und wieviel das Werk eines Komponierenden zu Lebzeiten wissenschaftlich wahrgenommen wird, hängt neben der Intensität der Werkrezeption, also wieviel er tatsächlich gespielt wird, auch von der eigenen Positionierung im öffentlichen Diskurs ab. Klebe hat weniger Selbstdeutungen seiner Musik hinterlassen als andere seiner Zeitgenossen und war offenbar auch weniger in der Öffentlichkeit präsent.
Wie war die Arbeitsweise von Giselher Klebe?
Tumat: In einigen seiner Skizzen arbeitete er genauso mit Reihentabellen wie andere Komponierende seiner Generation. Es gibt aber auch großflächige künstlerische Konzepte, in denen er seine Ideen grafisch und in Worten darstellte. Wichtig war für Klebe die Inspiration durch die Bildende Kunst.
Herr Köhn, Sie haben als Pianist mehr als zehn Werke von Giselher Klebe uraufgeführt. Sind die Werke von Klebe „schwer“ zu spielen?
Köhn: In seinen Werken, zumal in den späteren, verzichtet er auf alles Überflüssige, um die Aussage mit immer noch größerer Klarheit zum Ausdruck zu bringen. Dadurch sind seine Stücke von wenigen Ausnahmen abgesehen im technischen Sinne nicht besonders schwer. Auf der anderen Seite liegt gerade in dieser Reduzierung die Herausforderung für den Interpreten: Weil keine einzige Note unwichtig oder gar überflüssig ist, darf man auch keine ungestaltet und ohne innere Notwendigkeit spielen.
Frau Tumat, was können Studierende der Musikwissenschaft aus der Arbeit an einem Projekt wie „Giselher Klebe_100 | Detmold“ im Hinblick auf ihre spätere Berufstätigkeit mitnehmen?
Tumat: Die Arbeit über bislang weniger beforschte Künstlerinnen und Künstler bringt für die Studierenden das sogenannte „forschende Lernen“ mit sich, also ein Nachdenken über unbekannte Quellen, die eigene Interpretation von Texten und Musik und damit eine intensivere Beschäftigung auch mit dem Notentext. Die Studierenden müssen das Material methodisch selbst erarbeiten, was von ihnen eine engagierte Mitarbeit erfordert. Unabhängig davon sind Kompetenzen wie die Konzeption einer Ausstellung und das Erstellen von Programmtexten direkt relevant für den späteren Berufsalltag von Musikwissenschaftsstudierenden.
Welche Resonanz oder welche Nachwirkungen erhoffen Sie sich von dem Festival in der Fachwelt?
Köhn: Ich erhoffe mir, dass es nach dem Festival wieder mehr Musiker gibt, die sich für Giselher Klebes Musik interessieren und sie aufführen. So ist auch geplant, Konzerte unseres Festivals aufzuzeichnen und anschließend in digitaler Form zugänglich zu machen.
Tumat: Wir wollen mit dem Symposium und der Ausstellung Impulse für nachfolgende Forschergenerationen geben: Die Vorträge des Symposiums werden veröffentlicht und Teile der Ausstellung dokumentiert, so dass Interessierte darauf aufbauen können.
- Share by mail
Share on