Vom 8. bis 20. Mai 2026 findet die 20. Ausgabe der Münchener Biennale statt. Es ist der erste Jahrgang des Festivals für neues Musiktheater, der von den neuen Künstlerischen Leiterinnen Katrin Beck und Manuela Kerer verantwortet wird, die 2023 als Nachfolgerinnen von Daniel Ott und Manos Tsangaris bestellt wurden. Mit der Musikwissenschaftlerin, Kulturmanagerin und Musikvermittlerin Katrin Beck sprach Juan Martin Koch über die kommende Ausgabe und Ausrichtung der Biennale.
Teil der neuen Biennale-Doppelspitze: Katrin Beck. Foto: Astrid Ackermann
Kompositorische Stimmen, die überraschen
neue musikzeitung: Frau Beck, ehe Sie zusammen mit Manuela Kerer die Künstlerische Leitung übernommen haben, waren Sie ab 2016 Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros der Biennale. Wie hat sich durch diesen Perspektivwechsel Ihr Blick auf das Festival verändert?
Katrin Beck: Das ist gar nicht leicht zu beantworten! Vielleicht so: Er hat sich von den Produktionsprozessen hin zu einem mehr kuratorischen Blick verändert. Wobei aber die Innenansicht, die den Produktionsprozess antizipiert, manchmal hilfreich ist bei der Auswahl von Partnern, von Künstlerteams, von Konstellationen. Manchmal bremst dieser Blick vielleicht auch, aber ich habe ja das Glück, dass ich das im Team mit Manuela Kerer mache und wir ergänzen uns auf eine Art, die ich als ungemein lohnenswert und bereichernd empfinde.
nmz: Wie ist denn die Aufgabenverteilung zwischen Ihnen und Manuela Kerer?
Beck: Die ist so, dass wir keine Verteilung haben! Wir machen und verantworten wirklich alles gemeinsam: mit welchen Kooperationspartnern wir ins Gespräch gehen und welche Brücken wir bauen wollen… Das ist ein permanenter Dialog, was durchaus auch anstrengend ist, aber sehr viel Spaß macht.
nmz: 2026 wird die 20. Ausgabe der Biennale stattfinden. Was sind aus Ihrer Sicht die Konstanten des Festivals, was hat sich verändert?
Veränderte Produktionsweisen
Beck: Strukturell ist die Konstante natürlich die Landeshauptstadt München, weil sie seit 1988 durchgehend, auch in schwierigen Zeiten – Stichwort Pandemie – und in wechselnden politischen Verhältnissen immer hinter der Biennale stand. Dass sie als Uraufführungsfestival für Musiktheater nie in Frage gestellt wurde, empfinde nicht nur ich als besonders, das wird uns auch von außen, international, als sehr besonders gespiegelt. Was sich verändert hat, sind ganz sicherlich die Produktionsweisen, die immer stärker Prozesserarbeitungen geworden sind, und da sind wir schon bei unserer 20. Ausgabe nächstes Jahr: Dort werden alle Aufführungen, die wir zeigen, Koproduktionen mit Theatern oder anderen Festivals sein.
nmz: Nächstes Jahr wird Hans Werner Henzes 100. Geburtstag gefeiert. Mit seinem Zyklus „Voices“ wird sich Piyawat Louilarpprasert in seinem Stück „V01CES//B0D1EZ“ auseinandersetzen. Wie viel Henze steckt allgemein noch in der Münchener Biennale?
Beck: Wenn man das so sphärisch sagen darf, ist so eine Art Henze-Geist schon noch da, denn der „Mut zum Experiment“, von dem er anlässlich der ersten Ausgabe 1988 gesprochen hat, der ist geblieben, auch wenn sich die Ausgangsvoraussetzungen natürlich stark verändert haben. Dass wir uns zu seinem 100. Geburtstag vor ihm verbeugen, ist eine Selbstverständlichkeit, dass er zum Klingen kommt, auch. Doch wir wollten dies mit einer Antwort eines jungen Komponisten verbinden, so kam es zu dieser Produktion.
nmz: Wie haben Sie die Kunstschaffenden für die 20. Ausgabe angesprochen? Als Teams oder einzelne Komponist:innen? Und haben Sie einen thematischen Fokus gesetzt? Der Jahrgang 2026 hat ja bisher kein Motto…
Beck: Das ist richtig, das gibt es bisher nicht und wir wollen auch dabei bleiben. Wir wollten ganz bewusst kein Motto, kein Thema, keine Überschrift. Begonnen haben wir damit, dass Manuela Kerer und ich uns gegenseitig kompositorische Stimmen vorgestellt haben, die uns überraschen, die uns interessieren, die wir so noch nie gehört haben und die vor allem – unabhängig von ihrem Alter – nicht schon zehn Musiktheaterwerke geschrieben haben. Sehr früh war es dabei unser Wunsch, sich nicht ausschließlich auf europäische Stimmen zu beschränken, sondern darüber hinaus zu denken. So ist dann die Auswahl an Künstler:innen entstanden, die wir angesprochen haben. Hinzu kam die Idee, eine Produktion nicht selbst zu kuratieren, sondern in die Hand einer internationalen Jury zu geben.
Open Call „Martial Arts“
nmz: Wie lief das ab?
Beck: Wir haben den ersten Open Call der Münchener Biennale ins Leben gerufen und diesen auch gezielt außereuropäisch beworben. Als Thema haben wir Martial Arts vorgegeben, und waren überwältigt, welche Resonanz das ausgelöst hat: 85 Einreichungen aus 23 Ländern, und zwar in einer Qualität, die wirklich beeindruckend war. Als Partner konnten wir die Styriarte Graz gewinnen und die Jury hat sich schließlich für das Konzept „Xochiyaoyotl“ (Blumenkriege) von Maximiliano Soto Mayorga entschieden, das von den Ritualen aztekischer Kampfkunstpraktiken ausgeht.
nmz: Martial Arts ist nicht unbedingt ein naheliegendes Thema, wie kamen Sie darauf?
Beck: Interessiert hat uns die Verknüpfung von Sport und neuer Musik, die Konzentrationsfähigkeit, die diese Sportarten brauchen, gepaart mit einem Miteinander, wie es auch im Musiktheater eine Rolle spielt. Das ist natürlich ein Versuchsballon, aber das Echo, das wir mit dem Thema hervorgerufen haben, hat uns sehr gefreut.
nmz: Können Sie schon etwas dazu sagen, was uns stilistisch erwartet, welche Arten von Musiktheater zu erleben sein werden?
Beck: Das hängt stark von den Räumen ab. Wir haben installative Settings dabei, „klassische“ Produktionen mit Bühne und Zuschauerraum, aber auch spielerische Anordnungen, wie zum Beispiel bei „Foosball“ von Francesco Giomi, der Kooperation mit Tempo Reale Firenze, wo es auch um Objekte geht, um Klang im Raum und darum, wie konzentriertes Zuhören einen spielerischen Moment mit einem Tischkicker zu etwas Theatralem macht. In Bezug auf Klangspektren, Gesangsstile und Erzählstrukturen reicht die kommende Ausgabe weit: In „crypt_“ von Yuri Umemeto wird Anime unerschrocken mit Gegenwart gemixt, „Codeborn“ von Zara Ali bedient sich einer Fantasiesprache und Asia Ahmetjanova blickt in „ENDLICH“ auf unsere Endlichkeit. „Isithunzi“ von Monthati Masebe forscht in Archivmaterial und schreckt auch nicht vor Spiritualität zurück, während in „Hidden Heartache“ von Ailís Ní Ríain und Julie Herndon um gegenseitiges Verständnis gerungen wird. Die Spannbreite der elf Produktionen wird sehr groß sein! Bis Ende des Jahres sind dann hoffentlich alle Partituren da…
Fokus Vermittlung
nmz: Sie haben bei Ihrer Vorstellung als neues Leitungsteam den Vermittlungsaspekt, auch in Form von Partizipation und Teilhabe, in den Vordergrund gerückt. Wie wird sich das niederschlagen?
Beck: Einerseits werden wir zwei Produktionen für ein jüngeres Publikum und Familien haben. Es sollte ja selbstverständlich sein, dass ein Festival für neues Musiktheater breit denkt und ein Publikum anspricht, das quer durch alle Altersklassen geht, wenn es gut läuft. In diesem Fall können wir das mit zwei Partnern realisieren, die in diesem Bereich wirklich Experten sind: JOiN, die Junge Oper im Nord Stuttgart, und die Schauburg hier in München. Beide machen Theater für junges Publikum, haben aber unterschiedliche Herangehensweisen und Formate. Mit JOiN machen wir „Der Miesepups“ von Margareta Ferek-Petrić nach dem Buch von Kirsten Fuchs und Cindy Schmid, mit der Schauburg „Wie das flunkert“ von Daniella Strasfogel und Piyawat Louilarpprasert. Andererseits wollen wir aber bei allen Produktionen der Biennale die Erarbeitung und den Probenprozess öffnen, Workshopmöglichkeiten und Austauschgelegenheiten für unterschiedlichste Alltagsgruppen schaffen, von Schulen über den Kreisjugendring bis hin zur Volkshochschule für Erwachsene. Auch die klassischen Vermittlungsformate an der Schnittstelle zur Dramaturgie in Form von Einführungs- und Nachgesprächen wird es natürlich geben. Wir haben noch nicht alle Formate ausdifferenziert, weil wir das immer eng mit der Produktion verknüpfen wollen. Auch hier brauchen wir sehr viele Partner, die diesen Weg mit uns gehen,
nmz: Welche Rolle soll dabei der so genannte Campus spielen?
Beck: Der Campus MB026 soll die akademische und die praktische Ebene aufgreifen, und zwar so, dass er alle Disziplinen des Musiktheaters miteinschließt. Der Campus soll außerdem weitere Fragen, auch über die Produktionen hinaus, in den Blick nehmen: Fragen zu den Kontexten von Musiktheater heute und zu einer künstlerischen Vermittlungspraxis etwa. Dazu wollen wir mit unseren Komponistinnen und Komponisten und mit unseren Teams in einen Dialog mit Universitäten, aber auch mit Menschen aus der Praxis und an der Schnittstelle zur Vermittlung kommen. Es soll eine gewisse Nahbarkeit entstehen.
nmz: Daniel Ott und Manos Tsangaris sind in ihren Festivalausgaben mit teils spektakulären Formaten in den öffentlichen Raum gegangen. Planen Sie in dieser Richtung auch etwas?
Beck: Es wird etwas in diesem Bereich geben, da darf ich aber noch nichts verraten. Für 2028 stellen wir uns das etwas umfänglicher vor, wir wollen ja nicht gleich unser ganzes Pulver verschießen!
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