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Monologe allein, zu zweit, dritt, viert und im Kollegium

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Die Wittener Tage für neue Kammermusik pflegen das musikalische Selbstgespräch in eigener Sache · Von Gerhard Rohde
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Ob bei den „Musik-der-Zeit”-Konzerten des Westdeutschen Rundfunks in Köln oder bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik – Harry Vogt als verantwortlichem Redakteur fällt immer wieder ein spezielles Thema ein, zu dem er Komponisten animiert, sich etwas entsprechendes einfallen zu lassen und in Noten zu setzen. Diesmal gab ihm die Beobachtung unserer alltäglichen Wirklichkeit die zündende Idee: Ständig und immer häufiger kommunizieren die Menschen, doch versammeln sie sich nicht länger wie früher im Wirtshaus oder im Café zum gemeinsamen Plausch und Gedankenaustausch, sie laufen vielmehr solo mit Handy über die Gasse. Der Gesprächspartner bleibt unsichtbar, vielleicht „antwortet” auch nur sein telefonischer „Beantworter” oder die Mailbox verschluckt die Botschaft bis zum Abhören am späten Abend: wieder allein.

Ob bei den „Musik-der-Zeit”-Konzerten des Westdeutschen Rundfunks in Köln oder bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik – Harry Vogt als verantwortlichem Redakteur fällt immer wieder ein spezielles Thema ein, zu dem er Komponisten animiert, sich etwas entsprechendes einfallen zu lassen und in Noten zu setzen. Diesmal gab ihm die Beobachtung unserer alltäglichen Wirklichkeit die zündende Idee: Ständig und immer häufiger kommunizieren die Menschen, doch versammeln sie sich nicht länger wie früher im Wirtshaus oder im Café zum gemeinsamen Plausch und Gedankenaustausch, sie laufen vielmehr solo mit Handy über die Gasse. Der Gesprächspartner bleibt unsichtbar, vielleicht „antwortet” auch nur sein telefonischer „Beantworter” oder die Mailbox verschluckt die Botschaft bis zum Abhören am späten Abend: wieder allein. Eine spezielle Form des Selbstgesprächs entwickelte sich auch für große Konferenzen oder, bis zur Groteske gesteigert, in den Talkshows: Alle reden oft gleichzeitig und durcheinander, jeder hört nur sich, plappert wie in einem Rossini-Ensemble à la „Viaggio à Reims” laut vor sich hin: Die Pervertierung von Kommunikation. Harry Vogt empfindet alles auch als „Ausdruck des Alleinseins, der Einsamkeit und Isolation, der Verlassenheit”, aber zugleich (vielleicht) auch als Akte der „Selbstbehauptung und Selbstbespiegelung”. Das alles jedenfalls schien interessant genug, es einmal musikalisch zu untersuchen und Komponisten und Komponistinnen aufzufordern, zum Thema „Monolog” klingende „Modelle” zu erfinden.

Vergleichsweise übersichtlich, wenn auch keinesfalls strukturell einfach, stellt sich das Monologisieren bei Luciano Berio oder Beat Furrer dar. Mit der „Sequenza XIV (Dual)” für Violoncello fügt Berio seiner Solo-Serie, an der er seit 1957 arbeitet, ein weiteres Stück hinzu. Auch in „Sequenza XIV” werden in den harmonischen und melodischen Verläufen spezifische Eigentümlichkeit des Instruments, hier des Cellos, „erkundet”, wobei die technische Brillanz des Solisten Rohan de Saram (vom Arditti-Quartett) vom Komponisten als konstituierendes Element in die Komposition einbezogen wird. Es handelt sich in gewisser Weise also um einen „Doppel-Monolog”, einen des Komponisten und einen des Interpreten, der im Augenblick der Darstellung zu einer Einheit verschmilzt. Bei Beat Furrers „Phasma” für Klavier solo wiederum werden Phänomene der Bewegung, der Wahrnehmung von Bewegung, die auch als Gegenteil, auf dem Hintergrund von Unbeweglichkeit begriffen werden kann, in eine komplizierte Struktur aus Verläufen und Klängen überführt. Der Eindruck der Abstraktheit wird, wie oft bei Furrer, von einer äußerst verfeinerten Klanglichkeit und Spiritualität überlagert. Der Pianist Nicolas Hodges realisierte das superb.

Wie ein Glasperlen-Puzzle wirkt James Saunders‘ Stück mit dem Zahlen-Titel „#280402”. Der Titel ist mit dem jeweiligen Datum einer Aufführung identisch. Die aus Modulen zusammengesetzte Komposition kann sich von Aufführung zu Aufführung ändern, auch in den instrumentalen Besetzungen. Das vorgegebene „unbestimmte” Material lässt immer wieder neue Anordnungen und Ausführungen zu. Bei der Uraufführung in Witten agierten die fünf Instrumentalisten des Ensembles „Apartment House” bemerkenswert souverän mit dem ungewöhnlichen Stück: Jeder einzeln auf getrennten Positionen für fünf klingende „Monologe”.

Einen „Monolog” eigener Art erfand Isabel Mundry mit ihrem „Solo auf Schwellen”. Marco Blaauw und dessen Doppeltrichter-Trompete inspirierten sie zu einer Komposition, die seltsam zerfließend erscheint. Der „Monolog zu viert” – Komponistin, Spieler, je ein Trichter – erzeugt statt eines Klangraumes eher diffuse Übergänge irgendwohin: Die „Schwellen” im Titel signalisieren das bereits. Aus der Unbestimmtheit erwächst dann aber auf geheimnisvolle Weise eine enorme Stringenz des musikalischen Ausdrucks. Das Monologische bei Michael Reudenbachs „Tvers” für Klavier, Live-Elektronik und elf Streicher erwächst aus der erstmaligen Auseinandersetzung des Komponisten mit der Live-Elektronik. Inspiriert von den Buchstaben-Kombinationen für das menschliche Genom, versucht Reudenbach die live-elektronische Wiederholung des vom Klavier „vorgespielten” Materials durch entsprechendes Komponieren zu konterkarieren. Das liest sich plausibel, hinterlässt beim ersten Hören insgesamt einen leicht angestrengt-kombinatorischen Eindruck. Wenn Helmut Lachenmann als Komponist monologisiert, wirkt das stets, als ob er mit „tausend Zungen” Mitteilungen über ein bewusstes Komponieren vorträgt. Seine ersten beiden Streichquartette formulierten den ästhetischen Anspruch ebenso beredt wie radikal in Materialbehandlung und Spielduktus. Das Streichquartett Nr. 3 „Grido” erscheint im Vergleich ruhiger, kontemplativer, doch der erste Anschein trügt: Lachenmanns “Drittes” reflektiert sozusagen die ersten beiden Werke, ohne sie zu wiederholen. Der Klang-und Ausdrucksraum für die Besetzung wird weiter erkundet und ausgeschritten. Die Balancen zwischen Klang, Geräusch, komponierter Gestik und Ausdruck werden weiterer Feineinstellung unterzogen. Ein großartiges Werk, ebenso großartig interpretiert vom Arditti String Quartet. Zuvor widmeten sich die Ardittis dem Zweiten Streichquartett Emilio Pomàricos, an dem der Komponist fünf Jahre lang gearbeitet hat, um es danach zehn Jahre der Schublade anzuvertrauen. Das Werk entstand nach der Lektüre eines Gedicht-Zyklus von Dylan Thomas („Vision and Prayer”). Es ist eine Musik von identifikatorischer Expression, ein beredtes Spiel freier und formaler Erfindungen, ein großer innerer Monolog, der unter äußerster Anspannung nach außen drängt: Vierzig Minuten höchster Anspannung auch für Spieler und Zuhörer.

Das Thema “Monolog”, das auch noch in anderen Werken verhandelt wurde, in Stefano Gervasonis „Godspell” für Mezzosopran und neun Instrumente nach Texten von Philip Levine, in Brice Pausets französisch-gefälligem „Conceerto I pour clavecin et ensemble” oder im Klavierquartett „Mes béatitudes” von Gérard Pesson, zog sich nicht monochromatisch durch das Programm. Aufgelockert wurde es durch einen Blick nach Großbritannien und die dortige farbige und kontrastreiche Neue-Musik-Szene. Thomas Adès schrieb ein „Piano Quintet”, das auf das erste Hinhören wie ein Konsum-Stück für ein Promenadenkonzert anmutet, aber dann doch so kompliziert und raffiniert vertrackt mit den scheinbar gefälligen Erfindungen umgeht, dass man dem Werk das Prädikat „Neue Musik“ nicht verwehren kann. James Saunders wurde schon erwähnt. Das krasse Gegenteil zu Adès wäre die Irin Jennifer Walshe, die in einem Stück für Stimme und Streicher damit experimentiert, „Klänge zu verhindern”, um aus dem Spannungsfeld zwischen Verhinderung und Entstehen Bedeutungen ergründen möchte.

Für das Witten-Profil werden von Jahr zu Jahr die Installationen und Performances wichtiger, weil sie die gestellten Themen aus anderen und erweiterten Blickwinkeln behandeln. Schon die Herstellung einer Klang-Installation oder einer Solo-Performance trägt das Monologische quasi in sich. Als Monologisierer darf sich auch der Betrachter fühlen, der durch seine Bewegungen oder Zugriffe Klangaktionen in den Installationen auslöst: Wenn er bei Erwin Staches “Würfelrädern” über ein Rad die Klänge beeinflusst, oder an Martin Riches‘ „Interactive Field” vorbeigeht und damit ein choreographisches Ballett der 36 schwarz-weißen Tafeln auslöst (siehe unsere Bilder auf der nächsten Seite): Hochästhetisch präsentierte sich Catherine Millikens Installation „eye view”: Videoprojektionen verschiedener Motive und Strukturierungen auf einer schmalen hochgestellten Wand korrespondieren mit einer von Steinen umlegten Wasseroberfläche auf dem Boden davor sowie mit ständig wechselnden Klangbildern. Der Amerikaner Ronald Kuivila nutzt für seine Klanginstallation „Train, under glass” die Besonderheit des Ortes, des Hauses Witten: Die draußen vorbeidonnernden Züge, schalldicht fürs Innere abgeschottet, erscheinen zusätzlich auf einem Monitor, dazu werden eigene Geräusche und Klänge eingespielt: Eine spielerische Reflexion über unterschiedliche Wahrnehmungen und Realitätsebenen.

Spielerisch möchte man auch Stephan Froleyks Agieren auf einer mit Saiten bespannten Zinkwanne nehmen: Eine Wanderungdurchs Obertongebirge, wie der Künstler sagt. Wenn Froleyk so allein auf dem Tisch mit seiner Wanner hockt, (Bild auf der nächsten Seite) weiß man sofort, was sich da ereignet: Ein Monolog auf Zinkwannensaiten mit zwei Bögen. Es hat zugleich etwas ungemein Heiteres. Ob Froleyk das so beabsichtigt, weiß man nicht. Kunst ist eben vieldeutig.

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