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Was ihr wollt - Das Musical - in Kiel - Olivia (Yvonne Ruprecht) | Malvolio (Imanuel Humm). Foto: Copyright: Olaf Struck
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Am Theater Kiel: Shakespeares „Was ihr wollt“ im Musicalformat

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Eine Naturkulisse, wie Kiel sie hat, ist wie geschaffen für Shakespeares „Was ihr wollt“, das bekanntlich mit einem veritablen Schiffbruch beginnt. Meer hat man dort, ohne sich viel anstrengen zu müssen. Aufwand aber trieb man, als im Sommer 2018 die Komödie in ein Musical umgestaltet wurde, sinnigerweise auf einem Werftgelände inszeniert und mit einem havarierten Kutter statt des Segelschiffes in der Komödie. Jetzt, knapp zwei Jahre später, zwängte man alles ins Schauspielhaus (Premiere: 29. Februar 2020), allerdings ohne Hafenblick. Den ersetzte man durch ein fein gemaltes Triptychon mit barocker Landschaft, die Teile halbrund umrahmt von Lichterketten. Der Kutter aber blieb.

Da das Wetter 2018 schön war, war die Sommer-Schau sehr erfolgreich. Sie fand statt auf einer Art Varieteebühne mit großen Projektionsflächen links und rechts. Der Lokalzeitung nach hatte sie eine nahezu 100-prozentige Platzauslastung, ein Erfolg für Kiels Theaterchef Daniel Karasak, der sein „Haus“ außen und innen zu füllen versteht. Schlegels Übersetzung war sicher nicht das, „Was ihr wollt“, womit er sein Publikum wohl richtig einschätzte. So übersetzte er zusammen mit seiner Schauspieldramaturgin Kerstin Daiber das Stück neu, noch schlagkräftiger, mit weit weniger Wortspielen und kräftig gekürzter Handlung.

Allerdings füllte er gleich wieder mit viel Musik auf, indem er den schwedischen, seit längerem schon in Hamburg wirkenden Martin Tingvall einlud, das Rudiment zum Musical zu erweitern. Rechtfertigung dafür fand er schließlich selbst bei Shakespeare, der Herzog Orsino gleich zu Beginn sagen lässt: „If music be the food of love, play on“, und um viel und kuriose Liebe geht’s ja. Tingvall, Jahrgang 1974 und von Haus aus Jazzmusiker, kennt sich mit Filmmusiken aus, ist zudem gut beleumdet. Wie sehr hat die „JazzZeitung“ im August des letzten Jahres aufgelistet: „Mit 3 ECHO Jazz Auszeichnungen und 9 Jazz Awards in gold [sic] (Solo und im Trio) gehört Martin Tingvall zu den erfolgreichsten weltweit“. Nachzutragen ist noch, dass er mit vielen zusammenarbeitete, Zuckowski, Lindenberg, Rumpf gehören dazu, und dass er 2019 den Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Komposition Jazz/Crossover erhielt.   

Dem Ohr gefällt‘s

Instrumental verwirklichten sechs Musiker seine Kompositionen, im Schauspielhaus hinter der Kulisse sitzend. Sie begannen mit sehr tiefen, mehr als Geräusch wahrnehmbaren melodischen Phrasen, die in ihrem die Katastrophe klangmalenden Stil allerdings singulär in dem Stück waren. Als sich zu ihnen die Landschaft in der Mitte (Bühne: Lars Peter) teilte, lief effektvoll der Kutter auf, „Savior“ getauft, und Viola, Hauptfigur und da noch im hübschen Sommerkleid (Kostüme: Claudia Spielmann), sang beim Landgang von dem Kutter, vom Kapitän galant gestützt: „Ich halt‘ den Kopf hoch“. An den Texten hatte Regy Clasen mitgewirkt, Sängerin, Songwriterin und Übersetzerin, ebenfalls in Hamburg wirkend. Einige schuf sie neu, andere musste sie deutsch singbar machen. Auf jeden Fall gab die stimmungsvolle Musik den Figuren trotz der Verkürzungen in ihrem Agieren einen Teil ihrer Komplexität zurück.  

Der Weg zum Musical war vorgepflastert, im (Rock-)Musical „Your Own Thing“ von Hel Hester und Donald Driver bereits begangen. Im Unterschied zu dem vor ca. 50 Jahren Entstandenen blieben Personen, Charaktere, auch ein Großteil ihrer Handlungen und Sprache in Kiel erhalten, blieb auch ein wie immer gearteter Anspruch, außer dem zu unterhalten, zurück. Um die Charaktere zu zeichnen, bewegte sich Tingvall in sehr vielen Stilen, auch um die Standesunterschiede zu markieren. Das reichte von Tanzzitaten wie Walzer, Fox oder Tango über Rock’n Roll, simplen Rock zu gefühlvollen Balladen. Abwechslungsreich bediente er vieles, auch mitreißende Tanzszenen, denn das gehört nun zum Musical. Eine sechsköpfige Steptruppe wurde dafür zuständig, doch auch die Schauspieler leisteten in diesem Genre Erstaunliches. Sehenswerte Finales gab es, das erste markant mit der nächtlichen Saufszene, groß, auch knallig ausgearbeitet. Das zweite brachte dann Shakespeares Schlusspointe, das Narrenlied, als Schluss nach dem Schluss und machte aus dessen „A great while ago the world begun, / With hey, ho, the wind and the rain, / But that's all one, our play is done, / And we'll strive to please you every day“ sehr nah am Original das lakonische „Noch lange wird die Welt sich weiterdreh‘n / – aber hey, ob Sonne, ob Wind, ob Regen! – / Ihr habt heut genug geseh‘n und könnt jetzt nach Hause geh`n. / Kommt gut heim, auf Wiederseh’n.“  

Dem Auge auch

Shakespeare hatte sich seinerzeit viel ausgedacht, das Komische dem Geschmack der Zeit anzupassen. Karasek schaffte es, sein Publikum wieder zu amüsieren, anders jetzt, aber doch in sich stimmig. Die größere Nähe zum Publikum mag die Darsteller, darin einzig die Tänzer nicht aus dem Ensemble, vor dem notwendig Plakativen einer Open-Air-Aktion befreit haben. Vor allem der Narr Feste, von zentralem Gewicht im Geschehen, war von Marko Gebbert mit viel Raffinement ausgestattet. Er schaffte die staunenswerte Balance zwischen Derbheit und Gefühl, zwischen Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit, die diese Figur zu einer der großartigen komischen Theatercharaktere macht. Als Viola alias Cesario war Eva Kewer die zweite, auf die es ankam. Singen und tanzen konnte sie, auch ihre Hosenrolle pointiert gestalten, obwohl das heute nicht den Reiz mehr hat, den es zu Shakespeares Zeiten gehabt haben mochte. Aber sie war präsent und agil, vermittelte auch das Quäntchen Melancholie, das zur Rolle gehört. Yvonne Ruprecht als adlige Olivia und Jennifer Böhm als ihr Kammermädchen waren beide handfest genug, die Männerwelt mit allen Finessen im Griff zu haben.

Schwer war das vor allem bei den Sirs, köstlich gespielt von dem musikalisch und tänzerisch vielseitigen Zacharias Preen als Toby Rülps und von dem mehr handfesten Christian Kämpfer als dessen Neffe Andrew Bleichenwang. Eine Klasse für sich entwickelte Imanuel Humm mit seinem urkomischen Malvolio. Er ließ in seiner selbstverliebten Biederkeit an einen quicklebendigen Theo Lingen denken. Die zwei Objekte der weiblichen Begierde, Rudi Hindenburg als Herzog Orsino und Jasper Diedrichsen als Zwillingsbruder Sebastian hatten es schwerer. Zum einen gaben ihre Rollen weniger her, zum anderen hatte man vor allem dem Orsino keinen Gefallen mit seinem „Mein Licht, mein Stern, meine Welt“ getan, das für ihn melodisch viel zu tief lag.      

Was bleibt?

Ob out- oder indoor, das Publikum zeigte sich begeistert. Was wollt ihr, das ist es doch!

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