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Stein. Foto: Hufner
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An die Tür des Steins klopfen, den Garten bestellen – Musiktheater von Ella Milch-Sheriff und Josef Tal in der Bundeskunsthalle

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Das Gefühl im Bauch mulmig. „Musiktheater aus Israel zum Deutsch-Israelischen Jahr“ an einem 14. November 2015 steht nun einmal unweigerlich unter dem Eindruck der Pariser Suizid-Attacken vom 13. November. Sollten die wandelnden Zeitbomben irgendwann einmal (west)deutsche „Ziele“ ins Auge fassen – das Forum der Bundeskunsthalle wäre eines, zumindest an einem solchen Abend mit Musiktheater von Ella Milch-Sheriff und Josef Tal.

Über der Szene eine Atmosphäre zur Schau gestellter Leichtigkeit. Zwischendrin eine nervöse Security. Dann der Auftritt des Hausherrn Rein Wolf, der sich als gelernter Kunsthistoriker zunächst darüber freut, dass Objektkünstler Daniel Spoerri auch mit von der Partie ist. Weißwäsche-Türme, ein umgestürzter Einkaufswagen zieren die Bühne des dem antiken Amphitheater nachempfundenen Veranstaltungsort Forum. Später sollten noch „Videoassoziationen“ hinzutreten. Für den Intendanten der Bundeskunsthalle hochwillkommenes „Crossover“, ganz die Duftmarke des Hauses. Weißhaarig, hochgewachsen, Hände in den Hosentaschen, Stimme im Moderatorenton, so steht er da. Im Prinzip macht es der Mann wie wir alle, versteckt seine Ratlosigkeit – was die politischen Zustände angeht – hinter seiner Gelassenheit. Die Leute immer so begrüßen, dass die Begrüßung zugleich als Botschaft durchgehen kann! In diesem Fall niederländisch-locker, vorgetragen im Stil jenes mitteleuropäischen Vernunftglaubens, der uns allen zur zweiten Natur geworden ist. So sehr, dass wir Mühe haben, eine ganz neue Wirklichkeit auf den Schirm zu holen. Ist jetzt wirklich „Krieg“? Nun, wer sie studiert, die in den Zeitungen abgedruckten Chroniken der IS-Anschläge in Europa, kann daran eigentlich keinen Zweifel mehr haben. Er ist längst erklärt. Andererseits, wie passt das zu Sujets wie dem „Gespräch mit einem Stein“ oder gar zu „Der Garten“, immerhin dem Synonym für die Menschheitswiege Paradies?

Fragen, die ein bis in die Zehenspitzen interessiertes, kenntnisreiches Publikum nicht abgeschreckt hat. Im Gegenteil. Man war dankbar. Und jeder und jede schien zu wissen, dass man diesen Abend ganz allein dem regieführenden Produzenten Bruno Berger-Gorski verdankte. Es war seine Initiative, die Gelder zu besorgen und sich der Unterstützung zu versichern einer Handvoll erstklassiger Solisten und nicht weniger erstklassig agierender Studenten der Kölner Musikhochschule unter einem souveränen Marino Formenti am Pult. Hochmotiviert die ganze Truppe, soviel muss man sagen. Insbesondere gefiel das konzentrierte Engagement der studentischen Instrumentalisten, die sich für Milch-Sheriff als Trio, für Tal als bläserzentriertes Kammerensemble formierten. Vor allem von dort gingen die Impulse aus. Dass Musiktheater ein Theater sein muss, das seine dramaturgische Kompetenz aus der Musik bezieht, war für Josef Tal eine Selbstverständlichkeit. Und genau dies ward an diesem Abend hörbar. Es war, was man mitnahm aus Bonn. Tals redender Ensemblesatz als Fundament, an dem alles hing. Hochbeweglich, von jetzt auf gleich vom Vibrierenden ins Parlando, von dort ins Tänzerische umschlagend. Ein Genuss.

So auch die sängerischen Leistungen. Hervorzuheben die auch darstellerisch kompetente Sopranistin Einat Aronstein, die in beiden Stücken Hauptpartien schulterte. In Tals „Garten“ eine lebenslustige Eva, in Milch-Sheriffs „Gespräch“ ein Mädchen, das den harten Stein erweichen will. Letzterer wunderbar komturgleich gegeben von der Mezzo-Sopranistin Uta Christina Georg, die bereits in Milch-Sheriffs „Baruchs Schweigen“ am Stadttheater Fürth federführend war. Nicht zu vergessen der glückliche Auftritt des Tenors Christian Georg. Das Ensemblemitglied der Oper Bonn stand hier wohl für den originären Beitrag des Theaters der ehemaligen Bundeshauptstadt. Weiteres Glanzlicht die Performance von Stefan Viering, der reine Sprech- und Gebärdenrolle hatte. Das Züngelnd-Verführende der Paradies-Schlange kam komödiantisch und hinreichend abgründig daher, immer im Takt mit den Impulsen aus dem neben dem Podium agierenden Ensemble. Eine Augenweide.

Das Stück selbst, eine enttäuschte Rückkehr von Adam und Eva ins Paradies, hat uns weniger zu sagen, was vor allem daran liegt, dass uns die Dialektik der Aufklärung längstens in sämtliche Alltagsfalten gerutscht ist. So gerieten denn auch die Versuche, Bergmannsche Eheszenen heraufzubeschwören ebensowenig überzeugend wie der Spoerri-Video-Holzhammer mit aktuellen Flüchtlingsströmen und Holocaust-Memorials. Die in die Tiefenschichten unseres Bewusstseins eingegrabenen Bilder von Transporten, von Krematorien – hier waren sie überflüssige Fuchteleien. Wie man ja überhaupt sagen muss, dass Tals Musiktheater sich nie als ein rein „israelisches“ verstanden hat. Es war und ist Musiktheater in der Tradition eines gegen den kafkanischen Bann operierenden Theater-Humanismus, weswegen ihm auch das Parabelhafte seines langjährigen Librettisten Israel Eliraz so sehr entgegenkam.

Apropos Kafka. Die hierzulande immer noch viel zu wenig bekannte Poesie der polnischen Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska spielt mit den so wirkmächtig gewordenen Motiven verschlossener Tore, von Kommunikationswunsch und Kommunikationsversagen. Dass Ella Milch-Sheriff den Kompositionsauftrag des POLIN Museum Warschau mit einem Szymborska-Gedicht verknüpft hat, hatte vor allem aber biographische Motive. In Gestalt eines Stein-Gesprächs für einen geteilten Frauenchor, Solisten und Kammerensemble hat die Tochter überlebender polnischer Juden den Anschluss an ihre Lebenswurzeln hergestellt. Erstmals wie sie im Gespräch mitteilte. Eine andere Form von Rückkehr. Deshalb auch das Zusammentreten von Polnisch im Chor, von Hebräisch auf der Bühne.

Die Entscheidung, dies szenisch werden zu lassen hatte freilich etwas Erratisches an sich, da das Stück im Ganzen doch zu wenig Kontraste ausbildet, zu wenig auch an Geschlechterspannung. Zudem hat sich die Komponistin ja doch erkennbar von der Idee leiten respektive verführen lassen, die Härte des Sujets durch einen erzählerisch-fließenden Chorsatz zu kompensieren. Klar, das Psychologisierende, das Harmonisierende wirkt immer gefällig. Andererseits trägt es bei zum Spannungsverlust. Was angenehm auffiel, fiel ins Technische. Als frühere Sängerin weiß Milch-Sheriff genau, wie man effektive-effektvolle Gesangslinien baut. Uta Christina Georg, Einat Aronstein wussten es ihr auf ihre Weise zu danken. Am Ende war in dem als Uraufführung ins Szene gegangenen „Gespräch mit einem Stein“ soviel Musik, dass man die garstige Politik da draußen ganz vergaß – zumindest für einen Moment.

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