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An Sandor Vegh geschulter Orchesterklang: Die Kammerphilharmonie Amadé. Foto: Michael Gottschalk
An Sandor Vegh geschulter Orchesterklang: Die Kammerphilharmonie Amadé. Foto: Michael Gottschalk
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Das Etikett muss weg: die Kammerphilharmonie Amadé mit einem Orchesterkonzert in Herne

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Herne, Kulturzentrum im Februar. – Nicht was drauf stand, war bemerkenswert an diesem Konzert. Erst, wo der „Zauber der Harfe“ endete, konnte er beginnen – der Zauber Kammerphilharmonie Amadé.

Wahrscheinlich muss man noch nicht einmal einen ausgeprägten Sinn für markante Zuspitzungen pflegen, um sagen zu können: Der natürliche Feind des (freien) Ensembles, das noch etwas anderes im Sinn hat als die „kulturelle Grundversorgung“, ist der Veranstalter. Andererseits: Erst dieser, etwa das „Kulturbüro“ bei einer Stadt Herne („inmitten des Ruhrgebiets“) sorgt dafür, dass die Podien überhaupt bespielt werden dürfen. Freilich auch nur, wenn das Etikett stimmt! Denn so liegen die Dinge nun einmal zwischen Flensburg und Garmisch, dass der Veranstalter, weil er übers Abonnement hinaus auch dem freien Verkauf zuarbeiten möchte, händeringend nach einem Aufkleber sucht. Ohne geht nicht, meint er. Und fertig ist sie – die „Konzertveranstaltung: Zauber der Harfe“.

Debussy-Gefühl

Beim Harfenkonzert, das Georg Friedrich Händel 1736 geschrieben hat, wurde letzterer, der angekündigte „Zauber“, gleichwohl ziemlich gänzlich vermisst. Zum einen sicher wegen der solistischen Anteile in op. 4 Nr. 6. Ein ziemlich dünnes Süppchen, das Händel möglicherweise selbst veranlasst hat, sein B-Dur-Konzert lieber gleich für die ungemein effektvollere Orgel umzuschreiben und auch für dieselbe zu veröffentlichen. Eine versteckte Warntafel, die Florence Sitruk glatt übersehen hat. Wie sonst hätte sie sich so unbekümmert durch ihre gebrochenen Dreiklangstürmchen fingern können? Abgehakt.

Im nächsten Anlauf zum angepeilten Harfen-„Zauber“ gab’s nach dem Gelegenheits-, das gelegenheitliche Auftragswerk. Geschrieben hat es Claude Debussy. Vom Pariser Klavier- und Harfenfabrikanten Pleyel hat er sich dazu breit schlagen lassen, etwas Ansprechendes fürs neue Modell der chromatischen Harfe beizusteuern. Nur ein Jahr später übrigens bestellt Konkurrenzfirma Erard für die (heute gebräuchliche) Doppelpedalharfe bei Maurice Ravel eine "Introduction et Allegro“ für Harfe, Streichquartett, Flöte, Klarinette, von der bläserfreien Orchesterzone Kammerphilharmonie so ohne weiteres nicht darstellbar.

So blieb es in Herne bei den in den „La Mer“-Entspannungspausen entstandenen „Tänzen für Harfe und Streichorchester“. Dank eines feinsinnig musizierten „Danse profane“ gelang es Sitruk, uns zu überzeugen, dass hier tatsächlich die viel herumgereichte Solistin saß als die sie angekündigt war. Und auch für Dirigent Frieder Obstfeld gab es, anders als bei den händelschen Orchester-Häppchen, mehr zu tun. Man wusste nicht recht wie, aber auf einmal war es da: dieses untrügliche Debussy-Gefühl, wenn sich im Wiegetakt die narkotisierende Schwell-Dynamik dieses Komponisten aufbaut und die Form durch alle Körperritzen des herneschen „Abonnementveranstaltungs“-Publikums eindrang. Kurz vor der Flutung Abbruch. Vorspeise, soviel wusste Debussy, bleibt Vorspeise.

Habe Mut!

Nach der Pause Anknüfung beim Anfang – ohne Harfe, aber mit ungleich größerem Zauber. Berückend, wie Obstfeld seine Kammerphilharmoniker die Hamburger Streichersinfonien Carl Philipp Emanuel Bachs musizieren lässt. Mit der Freiheit des Strichs und diesem speziellen Mut bis hinein in die Spitzen der Forte-Schlüsse des Presto von B-Dur Wq. 182,2. Sapere aude! Habe Mut, dich deines Instruments zu bedienen! Bach-Zeitgenosse Immanuel Kant.

Was sich die auf der Stuhlkante hockenden Musiker eines an Sandor Vegh geschulten Orchesterklangs sowieso nicht zwei Mal sagen lassen. Nicht nur die von Phoebe Rosochacki mit amazonenhafter Autorität geführten ersten Violinen. Selten zudem, dass die Mittelstimmen so präsent nach vorn treten wie etwa im Molto Adagio des Bartók-Divertimento, dem Hauptwerk dieses alles in allem doch höchst kraftvollen Konzertabends. Ergreifend, wenn die Bratschen über die von den tiefen Streichern aufgerissenen Abgründe ihre zarten Rettungsseile legen. Da muss auch der Veranstalter in Herne und sonstwo passen. Kein Aufkleber weit und breit für eine Erfahrung wie diese, mit der Bartók in der Idylle des Sacher’schen Landhauses die bevorstehende Katastrophe vorweggenommen wie seine ganze Künstler-Hoffnung trotzdem hineingelegt hat.

Muss man hören – am besten mit diesem Orchester, aus dem im Übrigen irritierende Nachrichten an die Öffentlichkeit dringen. Zuständige Förderinstitutionen des Landes NRW sollen in Sachen Kammerphilharmonie an anderes denken als an Förderung. Man wird darauf zurückkommen müssen.

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