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Das Gambenconsort „Fretwork“ in Düsseldorf. Foto: Düsseldorf Festival
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Kleider machen Leute: Wie Nico Muhly und Gavin Bryars in Düsseldorf mit prominenter Hilfe alte Musik in neue Schläuche füllen

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Düsseldorf, 3. Oktober – Zur Zugabe war das Düsseldorf Festival-Publikum wieder wach. Da ging es Hilliard Ensemble und Gambenconsort Fretwork tatsächlich noch einmal um Gibbons pur – und nicht um seine postminimalistischen Wiedergänger. Nico Muhly heißt der eine, ist Anfang dreißig und hat sich neuerdings eine punkige, irgendwie an Milos Formans Amadeus erinnernde Sturmfrisur zugelegt. Wichtiger ist natürlich, dass der amerikanische Komponist volle Auftragsbücher hat.

Ja, man reißt dem „contemporary classical music composer“ wie die seltsame angelsächsische Umschreibung lautet, die Notenblätter geradezu aus der Hand. Und doch findet der Vielbeschäftigte immer noch Zeit, seinen Blog zu pflegen. Darin erfahren wir unter anderen, dass die Musik, die Muhly seit seinem 14. Lebensjahr schreibt, ‚immer gleich’ geblieben sei. Was den Output naturgemäß erhöht hat. Insbesondere jene Jahre, in denen er als „MIDI programmer“ und „editor“ in der Werkstatt von Philip Glass gearbeitet hat, haben offenkundig ihre Spuren hinterlassen. Seitdem führt der gelernte Chorknabe mit Faible für die weichen Linien, für die Schmeichel-Harmonik der anglikanischen Chortradition eine flinke Feder.

Faltenwurf

Was Muhly schreibt, ob Oper, ob Filmmusik, setzt nicht selten ein bei „simple“ und „short cords“, um von dort ziemlich erschütterungsfrei Jahresringe, „constant transformations“ (Muhly über Muhly) auszubilden. Auch „My Days“, von der Projekt-AG Hilliard Ensemble/Gambenconsort Fretwork noch tags zuvor in der Londoner Wigmore Hall uraufgeführt, ist beileibe kein kurzes Werk. Fesselnd ist aber nicht dessen Länge (eher im Gegenteil) als vielmehr seine textdramaturgische Grundstellung, in der Worte des 39. Psalms mit dem erschütternden Autopsiebericht über den todkranken Orlando Gibbons kontrastieren. Nur eben, dass es Muhlys Geheimnis bleiben muss, wie er ein derart starkes Setting aus Trost und Tod inklusive bilderreicher Schilderung eines Komponisten auf dem Sterbebett in seinen Endlos-Schleifen zum Verschwinden bringt.

Ob Muhly in Unkenntnis der neueren Chor- und Vokal-Theaterpraxis komponiert, lässt sich nicht entscheiden. Zumindest ignoriert er sie. Seltsam wiedergängerisch schreitet sein Chor- und Instrumentalsatz im Gibbens’schen Faltenwurf daher. Notwendigerweise kontraproduktiv deshalb auch die feinsinnige Kunst seiner exzellenten Interpreten, die beim Original, bei den Madrigalen, bei Gibbons’ In Nomine-Kompositionen so glänzend funktioniert.

Kostümfest

Macht nichts, dachte man. Immerhin hatte eine kuragierte Düsseldorf Festival-Dramaturgie mit Gavin Bryars ja noch ein zweites Eisen ins Feuer gelegt. Für ein Publikums-Festival wie den Nachfolger des populären „Altstadtherbstes“ gewiss keine Selbstverständlichkeit. Gleich zwei Konzerte warteten auf mit einem Schwerpunkt auf Werken dieses britischen Komponisten, der hierzulande vergleichsweise selten im Konzertprogramm auftaucht.

Der 1943 geborene, vom Jazz kommende und über John Cage zur contemporary music berufene Bryars hat einen Hang, älteres Material zu recyclen. „The Sinking of the Titanic“, immerhin von 1969, gab es in einer Bearbeitung fürs englische Smith-Quartet, das sich seit bald zwei Jahrzehnten explizit dem zeitgenössischen (Streichquartett)Fach widmet. Musik wie Kino. Zelebriert das Majestätische eines exemplarischen Untergangs. CinemaScope-Ton. Und im Kopf läuft der Film tatsächlich immer mit. Soll er wohl auch. „Contemporary music“ so wie sie Bryars versteht, ist eine „academic”-freie Zone.

Was nett klingen kann wie in „After the Requiem“, wo zwei Bratschen, ein Cello mit einer E-Gitarre zusammengehen, der Christian Kiefer einen ätherischen Harfensound entlockt. Ohne (instrumentationstechnische) Innovation klingt freilich auch Bryars schnell pseudo. Da kann der Anlass so real, so diesseitig sein wie etwa der Unfalltod seines befreundeten Tontechnikers Bill Cadman. Das nachfolgende, von Hilliard/Fretwork ganz superb ausgeführte „Cadman Requiem“ wirft sich ins Kostüm der lateinischen Totenmesse und frommer Gedichtfragmente des englischen Poeten Caedmon aus dem 7. Jahrhundert. Ziemlich zeremonlich.

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