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Carl de Vogt, Fritz Kampers, Hanni Weisse im Stummfilm „Der Bettler vom Kölner Dom“
Carl de Vogt, Fritz Kampers, Hanni Weisse im Stummfilm „Der Bettler vom Kölner Dom“
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Musik im Dienst des Bildes: Pierre Oser schuf Filmmusik für den „Bettler vom Kölner Dom“

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Freddy Schenk und Max Ballauf sind nicht die ersten Verbrecherjäger im Schatten des Kölner Doms. Kriminalgeschichten, gepaart mit Action- und Abenteuereinlagen, waren immer schon populär, im Tonfilm wie im Stummfilm. „Der Bettler vom Kölner Dom“ ist ein filmhistorisches Dokument, das im Jahr 1927 im alten, vom Krieg noch unversehrten Köln entstand. Der Filmkomponist Pierre Oser schuf jetzt eine neue passende Begleitmusik im Auftrag des WDR, dessen Rundfunkorchester sich damit ein neues Metier erobert.

„Das Material ist purer Sprengstoff“, so lautet die Warnung der Filmarchivare, wenn sie eine Büchse mit Nitrofilm öffnen. Mehr als fünf Jahrzehnte war Nitrozellulose jedoch die einzige Trägersubstanz für Kinofilme. Nicht ganz ungefährlich, denn je älter so ein Film wird, umso mehr zersetzt er sich und umso gefährlicher wird er. Ein unbeabsichtigter Funke oder im Extremfall auch nur eine unbeabsichtigte Überhitzung, und der Film entzündet sich selbst.
Wie so viele Schätze des frühen deutschen Kinos, so lagerte auch die letzte erhaltene Kopie eines Krimis aus dem Jahr 1927 im Archiv der "Stiftung Deutsche Kinemathek", bis sie vor einigen Jahren vom Bundesarchiv-Filmarchiv/Berlin, mit dem die Kinemathek längjährig zusammenarbeitet, aus Konservierungsgründen auf Sicherheitsfilm umkopiert wurde. Auf diese Weise hatte man dem schleichenden Zerfall, dem der „Bettler vom Kölner Dom“ bis dato ausgesetzt war, zunächst einmal Einhalt geboten.

Ein Titel, der den Redakteur Winfried Fechner hellhörig machte, sucht er doch als Manager des WDR Rundfunkorchesters ständig neue und spannende Aufgaben für seinen vielseitig orientierten Klangkörper: Musik zu einem Stummfilm, ein Krimi mit Schauplätzen unmittelbar vor der eigenen Haustür, Mord und Totschlag und eine geheimnisvolle Gangsterbande – Freddy Schenk und Max Ballauf (Tatort) sind nicht die ersten Verbrecherjäger im Schatten der Kathedrale. - Ein vergessenes Filmjuwel also, dessen Wiederentdeckung sich lohnen würde. Ein Juwel, das zudem noch einzigartige Aufnahmen der vom zweiten Weltkrieg noch unzerstörten Domstadt und des Rosenmontagsumzuges 1927 bietet.

Dieser Meinung war man auch bei ARTE, wo es dankenswerter Weise noch einen eigenen, regelmäßigen Sendeplatz für das Genre Stummfilm gibt. „Der Bettler vom Kölner Dom“ ist ein klassisches Beispiel für frühes deutsches Repertoirekino. Schnörkellos und gradlinig inszeniert, gute Darsteller und eine spannende Geschichte, dabei ohne den Anspruch ein zeitloser Klassiker zu werden. Solche Filme waren ungeheuer beliebt, ähnlich wie Groschenromane. Die Kopien wurden so lange durch die Projektoren gejagt, bis sie unbrauchbar waren und anschließend entsorgt wurden. Deshalb sind gut erhaltene Stücke so selten. Mehr als zwei Drittel der Kino-Konfektionsware der Weimarer Republik gilt heute als komplett verschollen.

Winfried Fechner gab bei dem Münchner Filmkomponisten Pierre Oser eine neue passende Begleitmusik in Auftrag, und während der fleißig Noten schrieb, wurde der Film durch ZDF-Arte in einer HD-Abtastung gereinigt. Die Lichtverhältnisse und der Bildstand wurden digital korrigiert. Kratzer und Zersetzungserscheinungen wurden weitestgehend eliminiert.

Im Sommer 2009 wurden dann in einer zweiwöchigen Produktionssitzung im Klaus von Bismarck-Saal des WDR unter der musikalischen Leitung von Titus Engel das stumme Bild und die neue Musik erstmalig aufeinander abgestimmt. „Pierre Oser hat es tatsächlich geschafft, hier eine Musik zu schreiben, die sich vollständig dem Bild und der Bildersprache unterordnet“, freut sich Winfried Fechner.

Die Kunst des Dirigenten besteht darin, das Orchester bei den Aufnahmen, bei denen der Film übrigens für alle sichtbar mitläuft, so präzise zu führen, dass jeder musikalische Akzent und jede instrumentale Pointe auf den „Bild“-Punkt genau sitzt. Wer sich Stummfilme heute ansehen will, der muss sich auf eine ganz andere Ästhetik einlassen. Kameramann Willy Hameister verwendet zum Beispiel sehr viel Zeit und Detailarbeit bei der Großaufnahme von Gesichtern. Jede Stimmungs- und Gemütsveränderung spielt sich in der Mimik des Darstellers ab. Ohne Musik wirkt das unglaubwürdig. Hier hilft Piere Osers Musik ungemein. Es gelingt ihm tatsächlich, dass der Zuschauer in dem betreffenden Moment musikalisch das hört, was die Person auf der Leinwand gerade denkt. Präzision im dynamischen Spiel ist bei so einer filigranen musikalischen Arbeit unerlässlich, und das WDR Rundfunkorchester hat gemeinsam mit Titus Engel diese Herausforderung bestanden.

Es passiert unglaublich viel in diesem Film: Mord, Raub, Attentate mit Giftgas, ein kompliziertes Katz- und Mausspiel während des Kölner Karnevals und eine finale Verfolgungsjagd auf dem Rhein – alles in rund 100 Minuten. Aber es geschieht „entschleunigt“ und im Zweifelsfall mit der Geschwindigkeit, die der Tachometer (in Großaufnahme) anzeigt: Mit 80 bis 100 Kilometern pro Stunde!

Am Ende dieser ersten gemeinsamen Arbeit zwischen WDR Rundfunkorchester Köln und ZDF Arte stehen eine TV-Ausstrahlung bei ARTE, eine öffentliche Aufführung im Großen Sendesaal des WDR und eine DVD-Veröffentlichung im Rahmen der Münchner „Edition Filmmuseum“. Und ein weiteres Projekt: Die Aufführung und Produktion von Carl Grunes Bergmannsdrama  „Schlagende Wetter“ von 1923 wird der gemeinsame Beitrag des WDR Rundfunkorchesters mit ZDF Arte zur „Ruhr 2010“ – eine Zusammenarbeit, die über die Grenzen einer öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt hinaus geschickt gemeinsame Interessen auslotet und Synergieeffekte nutzt, um kulturell hochwertige Projekte zu realisieren.



„Der Bettler vom Kölner Dom“ – Termine:
Montag, 25. Januar 2010, 0.20 Uhr ARTE
Samstag, 6. Februar, 20.00 Uhr Großer Sendesaal des WDR im Funkhaus. Aufführung mit Live-Musik gespielt vom WDR Rundfunkorchester Köln.


 

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