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Die lustige Erfindung der Doppelflöte: Dorothee Oberliner und Sergio Azzolini beim Düsseldorf Festival: Foto: Georg Beck
Die lustige Erfindung der Doppelflöte: Dorothee Oberliner und Sergio Azzolini beim Düsseldorf Festival: Foto: Christiane Oxenfort
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Noch muss es das Ethos richten: Dorothee Oberlinger, Sergio Azzolini und Ensemble mit Uraufführungen beim Düsseldorf-Festival

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Dass es (immer noch) eine Nachricht ist, zeigt uns die Aufgabe: Alte Musik-Spezialensemble vergibt Auftragswerke an zeitgenössische Komponisten. Klang vorher revolutionärer als es hinterher war. Ging aber trotzdem nur, weil mit Dorothee Oberlinger und Sergio Azzolini zwei Turbolader am Start waren, die sämtliche Repertoire-Rennstrecken schon kennen und sich fragen: Wo sind sie, die neuen Bahnen?

Ein wenig spannend war es dann aber schon. Würde es mitspielen, das so ganz auf Kulinarik eingestellte Düsseldorf Festival-Publikum? Immerhin: Voll bis unter die Emporen war Johannes, die größte aller evangelischen Kirchen am Ort, ja vor allem wegen diesem Flöten-Express auf zwei Beinen, dem, wenn’s denn sein muss, auch schon einmal ein Instrument mehr gereicht werden darf. Kein Problem für Dorothee Oberlinger. Am liebsten flott unterwegs, hat sich die Musikerin mit ihrem artikulierten, alles Betuliche abschüttelnden Flötenspiel viele, darunter viele glühende Anhänger erworben.

Offene Ohren

Um so erwartungsvoller war man jetzt. Mit je einem Werk des amerikanischen Cage-Schülers Drake Mabry sowie des Schweizer Franco Donatoni-Schülers Willi Merz hatte die Echo Klassik-Instrumentalistin 2008 tatsächlich zwei neue Werke initiiert und in ein gängiges Telemann-Händel-Vivaldi-Programm integriert. Nicht ganz unwichtig, anzumerken, dass sie damit bei Andreas Dahmen, dem Chefdramaturgen des Düsseldorf Festivals (vormals: Altstadtherbst) auf offene Ohren getroffen war. Wodurch ein „sprühend barockes Kammerkonzert“ immerhin einen bemerkenswerten ersten Teil beschert bekam. Die Neuzugänge darin bemüht, Eigenständigkeit zu zeigen, aber gleichzeitig nicht zu enttäuschen. Das Publikum nicht und insbesondere nicht die virtuosen Ansprüche der Auftraggeberin und ihres nicht minder versierten Duo-Partners, des Fagottisten Sergio Azzolini. Klar, hatten die Alten auch schon so gemacht.

Für I Sonatori de la Gioiosa Marca war das Ganze ersichtlich Neuland. Als etwa Mabry die Fraktur im ersten Satz seines „Concerto für Dorothee“ bis zum Beinahe-Stillstand dehnte (in der neuen Musik nun beileibe nichts Außergewöhnliches), musste man sich im Ensemble doch mit Händen, Bögen, Füßen des Metrums vergewissern. Nach dem Allegro-Schluss des zweiten Satzes war dann alles wieder gut und alle waren froh, dass Dorothee nach neuerlich bewiesener Schule der Geläufigkeit und punktgenauer Landung den Beifall entgegennehmen konnte. Denn das muss sein. Ohne Anerkenntnis keine Zukunft für ein Repertoire, dessen Weiterentwicklung so richtig ja noch nicht begonnen hat. Die experimentellen Freiräume, die sich die neue Musik erkämpft hat, sind in der alten Musik mehr oder minder noch Utopie. Noch konzentriert man sich ganz auf Spieltechnik, Spielweisen, auf die weitere Vertiefung historischer Aufführungspraxis und aufs Durchkämmen der Archive, um „Neuentdeckungen“ präsentieren zu können. Nur eben, dass auch diese immer alte Musik bleiben und auch danach klingen.

Neue Vorschläge

Weshalb es den Stars der Szene und ihrem Ethos überlassen bleibt, besagte Erneuerung von innen voranzutreiben. Hinzukommt, dass auch nur Stars wie Oberlinger, wie Azzolini es sich offenbar erlauben können, Veranstaltern mit ‚ungewöhnlichen’ Vorschlägen zu kommen. Dabei haben die beauftragten Komponisten Mabry und Merz (beide Herren im gesetzten Alter) doch hörbar alles getan, um den Anschluss an das Formgeländer, an die Manieren der alten Musik zu halten. Mabry mit Anlehnung an Monteverdis „Lamento d’Arianna“, Merz mit einer Neuauflage des konzertierenden Wettstreits der Solo-Instrumente, von den Widmungsträgern Oberlinger/Azzolini mit Wohlgefallen aufgenommen. Nicht zu vergessen die lustige Erfindung der Doppelflöte à la Dorothee.

Und das Publikum? Konnte hinterher der Meinung sein, dass alles gar nicht so „schlimm“ gewesen ist. Beschenkt wurde es ja nicht nur mit einem Gag, sondern mit einer wichtigen Erfahrung. Wozu man wohl auch diese kleine Irritation rechnen muss, als es nach Mabrys hochintelligent gemachtem Dorothee-Concerto mit Maestro Händel wieder zur Tagesordnung überging. Blitzartig wurde die Entfernung deutlich. Gerade hatten sich die Ohren neu geschärft, hatten sich lustvoll und mitfiebernd einem ganz und gar ungewohnten Formverlauf überlassen, da durften sie im nächsten Moment wieder ins Ruhekissen eines hübschen Concerto doppio zurücksinken.

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