Nachwuchsförderung in der Popularmusik liegt in Deutschland seit jeher im Argen. Gleiches gilt unzweifelhaft für die Präsenz von Frauen und anderen Benachteiligten auf den Bühnen. Die Initiative Musik gGmbH will mit dem Förderprogramm „Live 500“ positiv dagegen ankämpfen und hat 324 Förderanträge erhalten.
„Es ist meine Kunst die zählt, nicht dass ich schwul bin“
Aber viele kritisieren, dass eher ein bürokratischer Moloch geschaffen wurde, der mehr Ressourcen frisst, als dass Nutzen generiert wird. Zudem wurde mit einer Diversitätsquote von 30 Prozent bei den auftretenden Kulturschaffenden ein Förderkriterium für „LGBTQIA* Personen, rassifizierte Personen und Personen mit Behinderung“ eingeführt, das sich behördlich in zentralen Bereichen gar nicht kontrollieren lässt. Wieso dann diese Förderauflage, wo doch alle Welt von Verwaltungsvereinfachung redet? Zudem können Veranstaltende final doch leer ausgehen, weil sie in Vorkasse gegangen sind, aber die Diversitätsquote womöglich knapp nicht erreichen.
Thomas Lechner ist schwuler Booker, Agent, Veranstalter, DJ und inzwischen auch Münchner Stadtrat. Schon in den 90er-Jahren hat er die Künstleragentur „queerbeat“ für nationale und internationale queere Musikerinnen und Musiker gegründet. Und er hat als Booker über Jahre Kulturprogramm für örtliche Veranstaltungsagenturen und renommierte Clubs gestaltet, weiß also, wie queeres Booking in der Praxis aussieht.
Zu Beginn unseres Gesprächs bringt er eine grundsätzliche Position ein. Einst habe er den in New York lebenden australischen Künstler Scott Matthew in Europa aufbauen wollen. Dabei habe er Matthew vorgeschlagen, zunächst bei queeren Veranstaltungen und in queeren Clubs aufzutreten. Aber Matthew habe erwidert: „Es ist meine Kunst die zählt und nicht, dass ich schwul bin“.
Beim Förderprogramm „Live 500“ erfordert die Messlatte der Initiative Musik von den Veranstaltenden nahezu hellseherische Kräfte. Booker dürfen Kulturschaffende nicht nach ihrer sexuellen Orientierung befragen. Sie sollen aber über viele Monate im Voraus Konzerte buchen und durchführen, den Bands zusätzlich 250 beziehungsweise 500 Euro ausbezahlen, ohne Gewissheit zu haben, ob die geförderten Kulturschaffenden tatsächlich als Diverse förderfähig anerkannt werden.
Thomas Lechner dazu: „Für mich als schwulen Booker und DJ, der sich über Jahrzehnte mit Gender-Stereotypen und deren Brechung auseinandergesetzt hat, ist es relativ einfach ein queeres Programm zu buchen, aber wenn ein*e Booker*in dazu keine expliziten Informationen von einer Band hat, ist es ziemlich unmöglich, das als Fördervoraussetzung auf Verdacht zu erfüllen.“
In der ersten Fassung der Ausschreibungskriterien hieß es noch, dass sich queere Personen „bestenfalls am Konzerttag“ oder danach via eines anonymen Online-Formulars erklären sollten, damit sie der Diversitätsquote der antragstellenden Spielstätte hinzugerechnet werden konnten. Das hat man nach Kritik später nachgebessert. Jetzt können auch Spielstätten sozusagen auf Vertrauensbasis erklären, dass Personen mit Diversitätskriterien auf der Bühne gestanden hätten.
Die Nachfrage bei der Initiative Musik, wie denn konkret anonyme Angaben über die sexuelle Orientierung von Personen nachgeprüft würden, um die Förderfähigkeit zu bescheinigen, blieb leider bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Warum also dann etwas verlangen, was man gar nicht rechtssicher prüfen kann? Zudem würde dieses Verfahren zum Betrug einladen, so ein renommierter Veranstalter aus Norddeutschland. Um an einen Auftritt zu kommen, könnten manche auf die Idee kommen, sich gegenüber Bookern proaktiv als Personen nach LGBTQIA*-Kriterien zu deklarieren. Weil: Es kann ja eh keine Verwendungsnachweisprüfung von Berlin aus in eine Person reinblicken. Wer denkt sich so etwas aus?
Die Initiative Musik antwortet auf unsere Presseanfrage, dass dies mit Fachverbänden ausgearbeitet und abgestimmt worden sei. Axel Ballreich, Vorsitzender der LIVEKOMM antwortet auf Nachfrage, dass etliche Verbesserungsvorschläge von der Initiative Musik mit den Worten „das ist mit dem BKM nicht zu machen“ abgewiesen wurden. Uns gegenüber betont die Initiative Musik gleich zu Beginn der schriftlichen Antwort, dass es sich bei „Live 500“ eben „nicht um ein Förderprogramm der BKM, sondern um eines der Initiative Musik“ handeln würde. Eine weitere Ungereimtheit, warum man Anregungen aus der Praxis damit augenscheinlich ins Leere laufen lässt.
Ein Veranstalter aus Süddeutschland hätte es gut gefunden, wenn die Initiative Musik selbst einen Pool von Kulturschaffenden mit wie auch immer nachgeprüften und erfüllten Diversitätskriterien für das Booking angeboten hätte. Die Initiative Musik bezeichnet das in ihrer schriftlichen Presseantwort als „unverhältnismäßigen administrativen Aufwand“; und nicht im Pool registrierte Talente würden damit durch das Raster fallen. Die Unlogik treibt mal wieder Blüten. Wer Interesse an Gigs hat und Diversitätskriterien erfüllt, lässt sich auch registrieren. Und wenn Spielstätten jammern, sie hätten 60 Seiten Anlagen zum Antrag einscannen müssen, dann sitzt das Bürokratiemonster woanders.
Die Vorteile eines Pools belegt auch die Praxis. Nochmals Thomas Lechner: „Ein Booker aus Wien hat mir nach vielen Jahren der Zusammenarbeit mal erzählt, dass mein Angebot der Agentur ‚queerbeat‘ ihm den Zugang zu diesem Artistrepertoire geöffnet und er bewusst von mir Bands gebucht hat. Wobei ich mit dem Namen ‚queerbeat‘ nicht die Identität aller Künstler*innen meinte, sondern dass meine Agentur halt gendersensibel arbeitet und es deswegen durchaus wahrscheinlich sein kann, dass der eine oder andere nicht cis-gender-normativ zu erfassen ist.“
Und Lechner spricht ein anderes finales Bookingthema an: „Über allem steht ja auch immer und weiterhin die Wirtschaftlichkeit. Auch queere Bands müssen sich wirtschaftlich rechnen und 250 Euro mehr Gage tragen dazu kaum bei“. Das Programm hat aber trotz der Zwischenabrechnungsmöglichkeit etwas von Restunsicherheit. Was ist, wenn bei ein oder zwei Zwischenabrechnungen die Diversitätsquote erreicht, aber beim finalen Gesamtverwendungsnachweis verfehlt wird, so unsere Frage an die Initiative Musik. Die Antwort: „Diese Frage kann nicht generell beantwortet werden. Hier geht es immer um den konkreten Einzelfall.“ Sind 30 Prozent also vielleicht doch keine 30 Prozent? Rechtssicher klingt anders. Besonders dann, wenn man von Spielstätten im voraus verlangt, die um 250 beziehungsweise 500 Euro erhöhten Gagen bereits ausgezahlt zu haben. Die müssten dann bei Förderverweigerung sehen, wie sie das Geld zivilrechtlich zurückholen?
Der bekannte norddeutsche Veranstalter dazu: „Lasst uns beginnen zu zählen wie viele Frauen auf den Bühnen stehen. Was wir zählen, können wir verändern und dann eine Prämie auszahlen“. Das wäre auch ganz im Sinne von Thomas Lechner: „Ich bin mittlerweile unbedingt für die Einführung einer Frauenquote. Zum einen, weil es unfassbar ist, dass gerade im experimentierfreudigen Genre von Popmusik Frauen immer noch nicht gleichgestellt sind und in halbwegs gleicher Anzahl vertreten sind wie Männer. Und zum anderen, weil die Mitwirkung von Frauen in kulturellen Projekten fast immer zu einer höheren Gender-Sensibilität führt.
Damit werden die Türen zu mehr Diversität in unseren Bookings automatisch weit aufgestoßen, ohne dass man die Sexualität einzelner Beteiligter durchleuchten oder hinterfragen muss“.
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