London - Mit Empörung hat die Opposition auf Pläne der britischen Regierung reagiert, die Beitragsgebühren für die BBC zu streichen und staatliche Subventionen einzufrieren. Premierminister Boris Johnson wolle mit dem Vorhaben nur von seinen Verfehlungen in der «Partygate»-Affäre um Lockdown-Partys im Regierungssitz ablenken, kritisierte die Labour-Partei. Labour-Expertin Lucy Powell warf der Regierung am Montag «Kulturvandalismus» vor.
Die Frontalattacke: Wie Johnson die BBC als Sündenbock nutzt
Benedikt von Imhoff, dpa
Seit 100 Jahren gilt die BBC als Vorbild für faire Berichterstattung sowie «soft power» für britische Werte von Demokratie und Freiheit. Doch der Regierung von Premier Johnson ist der Sender ein Dorn im Auge. Neue Pläne bedrohen die BBC in ihrer Existenz.
London - Der BBC geht es an den Kragen. Schon in wenigen Jahren könnte das Gesicht des öffentlich-rechtlichen Senders, weltweit ein Beispiel freier und fairer Berichterstattung, völlig anders aussehen. Denn wie seit längerem von konservativen Politikern und Medien gefordert, will die britische Regierung die British Broadcasting Corporation (BBC) in einen beliebigen, teilprivatisierten Sender verwandeln - und das im 100. Jahr des Bestehens.
Kulturministerin Nadine Dorries kündigte am Wochenende an, die Axt am gebührenfinanzierten Geschäftsmodell anzusetzen. «Die Tage sind vorbei, an denen älteren Menschen mit Haftstrafen gedroht wird und Gerichtsvollzieher an Türen klopfen», twitterte sie mit Verweis auf ein häufig gehörtes, aber nicht zu belegendes Vorurteil. «Es ist vorbei für die BBC, wie wir sie kennen», zitierte die Zeitung «Mail on Sunday» einen «Verbündeten» von Dorries.
Die Beiträge von jährlich derzeit 159 Pfund (190 Euro) sollen eingefroren werden - das würde den Sender mittelfristig Milliarden kosten. Und wenn das bisherige Gebührenmodell 2027 ausläuft, könnte es sogar ganz abgeschafft werden, legte Dorries nahe. Damit kratzt sie an Grundlagen: Die Beiträge in Höhe von derzeit 3,2 Milliarden Pfund im Jahr sind mit Abstand der wichtigste Pfeiler für die Finanzierung. Begründet wird die Reform mit dem Aufstieg von Streamingdiensten wie Netflix oder Abo-Modellen wie Youtube. Die Folge: Tausende Jobs müssten gestrichen und mehrere Programme und Spartenkanäle dichtgemacht werden.
Doch Kritiker vermuten ganz andere Gründe für die jähe Attacke. Premierminister Boris Johnson wolle damit von seiner «Partygate»-Affäre um Lockdown-Feiern in seinem Amtssitz ablenken. Der Skandal sorgt seit Wochen für Schlagzeilen und hat Johnsons Beliebtheit massiv geschadet. Die Opposition und auch mehrere konservative Abgeordnete fordern seinen Rücktritt. Mit Spannung wird ein interner Ermittlungsbericht erwartet.
Wie die Zeitung «The Times» berichtete, will Johnson mit mehreren populistischen Vorhaben zum Befreiungsschlag ansetzen und auch seine Partei wieder hinter sich vereinen. Dazu zählten ein Ende der Corona-Regeln in England sowie ein schärferes Vorgehen gegen Migranten - und die BBC-Reform. Kulturministerin Dorries, die 2012 mit einer Teilnahme im britischen «Dschungelcamp» für Aufsehen sorgte, gilt als eine der loyalsten Unterstützerinnen von Johnson.
Die Opposition ist empört. Labour-Expertin Lucy Powell warf der Regierung «Kulturvandalismus» vor. «Dies ist Teil einer Ablenkungsstrategie, um allen außer sich selbst die Schuld zu geben», sagte Powell am Montag dem Sender Talk Radio. Diejenigen, die über Johnsons Regelbrüche berichten, sollten bestraft werden, während der Premierminister straffrei ausgehen wolle. Mehrere Tories hatten der BBC vorgeworfen, in der Affäre absichtlich negativ über Johnson zu berichten. Der Abgeordnete Michael Fabricant verglich die Berichterstattung sogar mit einem Umsturzversuch.
Klar ist: Die BBC ist nicht frei von Fehlern. Erst vergangenes Jahr musste sie sich für einen Skandal um das berühmte Interview mit Prinzessin Diana entschuldigen, in dem sie 1995 die Affäre ihres damaligen Mannes Prinz Charles mit Camilla Parker-Bowles offenlegte. BBC-Reporter Martin Bashir setzte gefälschte Dokumente ein, um Zugang zur Queen-Schwiegertochter zu erhalten. Später vertuschte die BBC das Fehlverhalten. Auch die Informationspolitik im Missbrauchsskandal des Starmoderators Jimmy Savile hatte für Schlagzeilen gesorgt. Nach seinem Tod 2011 kam heraus, dass Savile jahrelang Kinder und Jugendliche missbraucht hatte, unter anderem in den Räumen der BBC.
Trotz sinkender Einnahmen sah sich der Sender mit mehreren TV-Kanälen, Radiosendern und dem erfolgreichen Streamingdienst BBC iPlayer zuletzt wieder auf Kurs. Das liegt auch an einem umfassenden Sparprogramm. Tausende Jobs wurden nicht neu besetzt, die Gehälter berühmter Moderatoren wie Ex-Fußballer Gary Lineker deutlich gesenkt.
In der Pandemie ersetzte die BBC oft genug die Schule, die Bildungsprogramme wurden lautstark gelobt. Zudem gilt der Sender seit Jahrzehnten als «soft power», der britische Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit in alle Ecken der Erde transportiert. Das sehen Medienexperten nun von den Regierungsplänen bedroht. In der BBC ist der Ärger gewaltig, wie zu hören ist. Dorries beschädige den Sender enorm, berichtete der «Guardian» unter Berufung auf BBC-Quellen. Das Vorhaben gefährde beliebte Dramen, Dokumentationen und auch den internationalen Dienst.
Die Regierung will sich offenbar eine Hintertür offen lassen. Kabinettsmitglied Nadhim Zahawi sagte dem Sender BBC Radio 4 am Montag, die Institution müsse unterstützt und beschützt werden. Klar sei aber auch, dass eine «erwachsene Unterhaltung» nötig sei, wie die BBC finanziert wird. Ein umfassender Umbau rückt näher.