[…] In seinen auch in Deutsch greifbaren Vorlesungen unter dem Titel „Silence“ findet sich folgender Satz: „Ein Klang ist ein Klang. Um dies klar zu erkennen, muß man schlußmachen mit dem Studium der Musik.“ Was heißt das im Klartext?
Annähernd wohl dieses: Musik sollte nichts anderes sein, als sie selbst, nicht dagegen für etwas stehen; der landläufige Musikunterricht lehrt dagegen immer noch überwiegend, dass Musik etwas ausdrücken soll: Schönheit, Größe, Weite oder was immer. Damit wird vom Klang an sich abgelenkt. Oder sehen wir es mit Schnebel. Er setzt musikalische Gestalten ab gegen klangliche Vorgänge und klangliche Vorgänge sind für Cage typisch und wurden nach Schnebels Meinung schon von Mahler und Debussy anvisiert. Mit anderen Worten: Cage dringt auf eine musikalische Absolutheit, die frei ist von ausdrucksschwangerer Bedeutung, auf die „feurige Wahrheit der Materie“, wie der islamische Arzt und Philosoph Avicenna, den Ernst Bloch zitiert, um 1000 nach Christus formuliert hat. […]
Im Fernsehen war Ende des Jahres 1972 ein älterer französischer Film über Cage zu sehen […] Und hier fällt der bemerkenswerte Satz von Cage: „Musik zu komponieren ist besser, als Musik zu spielen. Musik zu spielen ist besser, als Musik zu hören. Musik zu hören ist besser, als sich zu unterhalten.“ Diese Äußerung zeigt unmißverständlich: Cage ist nicht Scharlatan, nicht Prophet, schon gar nicht aber selbstsicherer Messias. In seiner 1958 in Darmstadt veranstalteten Vorlesung „Unbestimmtheit“ findet sich der häufig zitierte Satz: „Ich muß einen Weg finden, die Menschen freizusetzen, ohne dass sie dumm werden.“ Aber der Satz geht weiter. Er lautet: „So dass ihre Freiheit sie adelt. Wie ich das erreichen werde? Das ist die Frage.“
Hanspeter Krellmann, Neue Musikzeitung, XXII. Jg., Nr. 1, Februar/März 1973