Der Elektronik-Pionier Stockhausen hat viel von dem vorweg genommen, was erst viel später in Sachen künstlich generierter Klänge vor allem den Underground eroberte. Das amerikanische Avantgarde-Filmemacher-Duo „Quay Brothers“ destilliert ästhetische Botschaften des Kinos, um damit die Fantasie auf Abwege und das Unbewusste in verstörende Schwingung zu bringen. Und das Arditti Quartet formt auf ganz andere Weise expressive Hörfilme aus den Schöpfungen der musikalischen Moderne und Gegenwart.
Hohe Erwartungen schürte daher ein Abend der Ruhrtriennale, bei dem diese drei Ebenen miteinander in Verbindung treten sollten. Und tatsächlich wurde es in der Duisburger Gebläsehalle sehr intensiv, auch wenn zwischen den drei Programmpunkten keine wirklich durchgehende Einheit entstehen wollte.
Die aus dem späten Stockhausen-Stück „Two Couples Nr. 63“ für den Film „In absentia“ herangezogene dunkle Klangmagie würde in jedes Dark-Ambient- oder Industrial-Umfeld passen. Gespenstisch, weil überhaupt nicht erklärbar wirkt das Leinwandgeschehen: Ein unruhiger Nachthimmel. Ein erleuchtetes Fenster, indem es auf einmal. gespenstisch hell wird. Merkwürdige Objekte, von denen irgendetwas extrem Fremdes ausgeht. Beine, die von einem Balkon herunterbaumeln. Ein Verrückter, entwurzelt von der Welt, der da draußen herumsitzt? Flackerndes Licht. Was ist hier los?
Kindliche Ängste werden beschworen, wie sie aus dem Alleinsein in leeren großen Räumen während einer schlaflosen Nacht resultieren. Stockhausens akustische Sound-Cineastik hat längst all diese Traumata wie ein Durchlauferhitzer entfacht. Eine Frau ist zu sehen, die manisch Briefe an ihren Mann schreibt, die diesen aber nicht erreichen. Mikroskopisch beobachtend fällt die Kamera über alles her, was dieser Frau geblieben ist: ungepflegte Fingernägel, ein Spalier aus zwanghaft zu einer Mikroarmee aufgestellten Bleistiftspitzen. Ein Anspitzer, der durch die irre Beleuchtung wie eine Mordwaffe aufblitzt. Jeder kann im Kopf seinen Horrorfilm dazu weiterdenken.
Das Arditti Quartet will in der Duisburger Gebläsehalle die Brücke bauen zur zweiten Co-Produktion seitens der amerikanischen Filmer mit zeitgenössischer Musik. Expressiv und sensibel musiziert das Quartett zuvor Alban Bergs Lyrische Suite. Auch hier finden obsessive Gefühlszustände ihr Abbild, wenn auch in viel zivilisierterer Manier. Die Ardittis laden diese formstrenge Welt schneidend auf, bündeln sämtliche Innenspannung, vor allem wenn ihr Streicherklang extrem leise wird und die Bögen kaum noch Saitenkontakt haben – nach der Stockhausen-Quai-Brothers-Heimsuchung ein forderndes Hörerlebnis.
Zum 100. Geburtstag von Witold Lutoslawski haben die Quai Brothers dem polnischen Neutöner ein Geschenk gemacht: den Film „Kwartet Smyczkovy“ , der nicht einfach Lutoslawskis aleatorische Komposition als Soundtrack heranzieht, sondern diese respektvoll ins Zentrum rückt. Irvine Arditti, Ashot Sarkissjan, Ralf Ehlers und Lucas Fels haben nach der Pause allerhand zu tun, die per Zufall und spontan zu koordinierenden Gesten und Impulse dieser luftigen Komposition mit den statisch festgelegten Leinwandbildern zu synchronisieren. Doch zum Glück stehen Monitore neben den Notenständern. Lutoslawskis mikrotonale Figuren verschmelzen synästhetisch mit den visuellen Botschaften. Fahle Lichtstimmungen könnten einem tristen urbanen Kontext entstammen. Da ist ein nebelverhangener öffentlicher Platz mit Laternen, ein Straßenbahnwagen geistert unbemannt durchs Nichts, unruhige Lichteffekte flackern.
Dieser neue Film ist subtiler, leiser und irgendwie auch viel spröder als das imaginäre Horrorkino der Stockhausen-Verfilmung. Es sind die Klanggesten, Ausbrüche und Phasenverschiebungen der Musik, vor allem aber deren lakonisch ruhige Umsetzung durch das Arditti Quartet, die in einen suggestiven Gleichklang mit dem Leinwandgeschehen geraten.