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Eine Arie für den Serienmörder? - Haarmann-Musical über das Scheitern

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Hannover - Der preisgekrönte Theaterautor Nis-Momme Stockmann hat für das Schauspiel Hannover ein Stück über den Triebtäter Fritz Haarmann geschrieben. Das Stück «Amerikanisches Detektivinstitut Lasso» erzählt gar nicht von Haarmann, sondern vom Scheitern eines jungen Autors an der Idee, ein Musical über den Triebtäter zu schreiben. Die Reaktionen bei der Uraufführung waren gespalten.

Bei Fritz Haarmann verstehen viele Menschen in Hannover keinen Spaß. Sie diskutierten heftig darüber, ob der Serienmörder mit dem Hackebeil auf einem jährlich erscheinenden Adventskalender auftauchen darf. Im Stadion von Hannover 96 sorgte eine Fahne mit Haarmanns Konterfei für Aufregung. Als das Schauspiel Hannover auch noch ein Haarmann-Musical ankündigte, wurden sofort Befürchtungen laut, dies sei keine geeignete Form für den sensiblen Stoff.

«Bis heute habe ich keine Erklärung dafür gefunden, warum es in Hannover so einen neurotischen Umgang mit diesem Thema gibt», sagt Lars-Ole Walburg, Intendant und Regisseur des am Mittwoch uraufgeführten Musicals «Amerikanisches Detektivinstitut Lasso». Die rund zweistündige Inszenierung kommt ohne die Darstellung von Verbrechen aus. Es fließt kein Blut, und es werden keine Körper ausgeweidet oder zerstückelt. Haarmann wurde 1925 für die Morde an 24 Jungen und jungen Männern in Hannover hingerichtet.

Walburg war erleichtert, als sich der Autor Nis-Momme Stockmann bei der Entwicklung des Stückes von der historischen Figur des Triebtäters und Polizeispitzels wegbewegte. «Nach Filmen wie «Der Totmacher» ist alles gesagt, was die Geschichtsdetails angeht», meint der Regisseur. So erfährt das Publikum zwar im Programmheft viel über Haarmann, auf der Bühne aber wenig.

Der vielfach ausgezeichnete 34 Jahre alte Dramatiker Stockmann beschreibt das Scheitern eines jungen Mannes am Auftrag, ein Musical über Fritz Haarmann zu schreiben. Der Serienmörder fungiert als Auslöser für weitschweifende Reflexionen über die Aufgaben und Wirkung von Kunst, über die eigene politische Haltung in der Flüchtlingskrise oder über Pegida. Der Zuschauer fragt sich mitunter, warum Stockmann nicht ein kulturpolitisches Essay statt eines Theaterstückes geschrieben hat. Zwar gibt es Selbstironie und einige komische Momente. Insgesamt wird jedoch nicht ersichtlich, warum die Akteure Anleihen beim Pathos und bei den großen Gesten des Musicals machen.

Den «unsicher wirkenden jungen Mann», die Figur des Autors, verkörpern sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, oft ein mehrstimmiger Chor von Klonen im Karohemd. Nur in einer Szene erscheint Haarmann als Phantom im Anzug mit Hut und weißer Strumpfmaske über dem Gesicht. In der Hand hält er das Hackebeil. Er ist nicht das Monster, das Tier, der Unmensch, sondern einer von Tausenden. Stockmann geht es darum zu zeigen, dass wir heute noch wie zu Haarmanns Zeiten das Böse «outsourcen» statt in uns selber zu suchen.

Anstelle von «Refugees welcome» wäre «Oje, wie kann das klappen?» ehrlicher, meint die Figur des Autors. Sie schwankt zwischen Größenwahn und Selbstzerfleischung und verkündet schließlich das Zulassen des Scheiterns als neues Programm.

Neben dem Appell, die eigenen Motive zu hinterfragen, serviert das Stück reichlich Kritik an den Mechanismen des Theaterbetriebs. Im zweiten Teil spielt der Intendant eine große Rolle. Er verbietet dem Autor in gewisser Weise das Scheitern am Auftragswerk. Dabei nimmt der Theaterchef praktischerweise Kritik des Publikums am Stück vorweg. Als er zum Beispiel den Vorwurf der «selbstreferenziellen Nabelschau» erhebt, gibt es Zwischenapplaus. Am Ende ernten die Schauspieler und das Musiker-Duo Les Trucs viel Beifall. Für den Regisseur und den Autor sind einzelne Buh-Rufe zu hören.

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