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Am Rande der Katastrophe

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Mozart-Opern in älteren und neuen DVD-Produktionen
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Das waren noch Zeiten, als wir unsere geliebten Opern unbefleckt von den Errungenschaften modernen Regie­theaters genießen durften. Wir erfreuten uns an den hübschen Kostümen, den bunten Kulissen und den von lästigen Handlungsanweisungen unbeeinträchtigten Gesangsdarbietungen. Ein wenig von dieser Nostalgie dürfte den ein oder anderen überkommen, der in eine der fünf Mozartproduktionen des Drottningholmer Hoftheaters hineinschaut, die nun auf DVD vorliegen.

Auch das possierlich eingekleidete und mit Perücken versehene Orchester passt da ins Bild, doch ach, was müssen die verwöhnten Ohren vernehmen: ruppiger Streicherklang ohne Vibrato, schnatternde Bläser und das Ganze in einem ganz und gar nicht nostalgischen Tempo! Am Pult steht Arnold Östman, und was er da mit seinem Orchester in den 80er-Jahren wagte, war eine Pionierleistung in Sachen historisierender Aufführungspraxis.

Heute wirkt das Ganze schon wieder leicht angestaubt, zumal dem Klangbild eine gewisse Lieblosigkeit anhaftet, die mit Östmans bisweilen absurd verhetzten Tempi korrespondiert. Das Così-Ensemble kommt mit dem Atmen nicht recht hinterher, im Idomeneo und im Titus werden die durchaus beachtlichen Versuche vokaler Rollengestaltung immer wieder durch Östmans pauschales Dirigat konterkariert. Besonders gut gesungen wird von den Tenören Stuart Kale (Idomeneo), Stefan Dahlberg (Tamino, Titus) und Richard Croft (Belmonte), Ann Christine Biel ist als Fiordiligi, Pamina und Ilia eine feste Größe.

Die Inszenierungen leben vom Reiz des wunderschönen, in der Nähe Stockholms gelegenen Barocktheaters, eine Interpretation findet kaum statt. Michael Hampe (Idomeneo), Harald Clemen (Entführung) und Willy Decker (Così) unterliegen wie auch Östman dem Irrtum, eine historische Einkleidung reiche hin, um Theatralik zu erzeugen. Gut bekommt dieser, wenn man so will, naive Ansatz der Zauberflöte. Göran Järvefelt bewegt die Bühnenmaschinerie mit Fantasie und Liebe; ein gutes Ensemble, aus dem Mikael Samuelsons Papageno und Lászlo Polgárs Sarastro besonders hervorstechen, ist spielfreudig bei der Sache und auch aus dem Orchestergraben ist Sorgfältigeres zu vernehmen.

Michael Hampe ist auch der Regisseur der Salzburger Così von 1983. Schöne Bilder und Kostüme auch hier, Deutung, Psychologisierung, Zuspitzung: Fehlanzeige. Riccardo Mutis Dirigat ist weniger drahtig und gespannt als in der im Jahr zuvor mitgeschnittenen EMI-Plattenaufnahme, Kathleen Battles Despina und die Fiordiligi der Margaret Marshall führen das gute Ensemble an.

Wie intelligente Regisseure Mozarts Opernkosmos zur Entfaltung bringen können, ohne den Werken Gewalt anzutun, zeigen zwei weitere Produktionen. Martin Kusejs Salzburger Titus von 2003 verwandelt die Felsenreitschule in ein Labyrinth aus Intrigen und Beziehungsabhängigkeiten, in welchem der bisweilen klaustrophobische Kaiser seine Macht nur noch durch Güte zu erhalten weiß. Die Personenführung ist präzise und schonungslos, immer aber lässt sie der Musik Raum zur Entfaltung. Unter Nikolaus Harnoncourts akribisch-enthusiastischer Leitung verströmt ein nicht anders als ideal zu nennendes Ensemble den ganzen vokalen Reichtum dieses Werkes. In Vesselina Kassarovas „Parto, ma tu, ben mio“ und Dorothea Röschmanns „Non più di fiori“ ist die ganze Ausdruckskraft dieses Seria-Abgesangs gebündelt.

Nicht minder erlesen die Besetzung der letztjährigen Così aus Aix-en-Provence. Vor allem die Dorabella Elina Garancas (im Salzburger Titus singt sie einen wunderbaren Annio) und der Ferrando Shawn Matheys wären hervorzuheben. Doch ist es hier die besessene Regiearbeit Patrice Chéreaus, die sich zumindest bei der ersten Begegnung noch stärker einprägt. Seine Detailgenauigkeit, was Wege, Positionen und Blicke angeht (die Kamera fängt dies präzise ein), führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass man die Sängerinnen und Sänger zunächst einmal als Schauspieler wahrnimmt (vor allem Ruggiero Raimondi). Der Partnertausch führt bei Chéreau in Grenzbereiche der Emotionen; immer steht das Ganze kurz davor, endgültig in eine Katastrophe umzuschlagen. Nicht umsonst ist auf dieser kargen Bühne „Rauchen verboten“ und zahlreiche Feuerlöschersymbole an den Wänden machen klar: ein winziger Funke könnte alles zur Explosion bringen. Eine Sternstunde der Mozartinterpretation, vom Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding subtil ausgeleuchtet.

Stuart Kale, Anita Soldh, David Kuebler, Ann Christine Biel
Die Entführung aus dem Serail: Aga Winska, Richard Croft, Tamás Szüle
Così fan tutte: Ann Christine Biel, Marie Höglind, Lars Tibell, Magnus Linden
Die Zauberflöte: Stefan Dahlberg, Ann Christine Biel, Mikael Samuelson, Lászlo Polgár
La Clemenza di Tito: Stefan Dahlberg, Anita Soldh, Lani Poulsen, Marie Höglind
Chor und Orchester des Drottningholmer Hoftheaters, Arnold Östman (ARTHAUS, alle Aufnahmen)
Così fan tutte: Margaret Marshall, Ann Murray, Kathleen Battle, Francisco Araiza; James Morris; Wiener Philh., Riccardo Muti (TDK)
La Clemenza di Tito: Michael Schade, Vesselina Kassarova, Dorothea Röschmann, Elina Garanca, Barbara Bonney, Wiener Philh., Nikolaus Harnoncourt (TDK)
Così fan tutte: Erin Wall, Elina Garanca, Shawn Mathey, Stéphane Degout, Barbara Bonney, Ruggiero Raimondi; Mahler Chamber Orch., Daniel Harding (Virgin)

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