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Basis der Kultur nicht vernachlässigen

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Deutscher Sängerbund und Verband deutscher Musikschulen stimmen denselben Ton an
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Der Deutsche Sängerbund (DSB) und der Verband deutscher Musikschulen (VdM) haben eine Rahmenvereinbarung verabschiedet, die am 13. Oktober anlässlich der Herbsttagung des DSB in Stuttgart feierlich unterzeichnet wird. Der Präsident des DSB, Dr. Heinz Eyrich, und der Vorsitzende des VdM, Dr. Gerd Eicker, stellten sich der neuen musikzeitung und der Zeitschrift Lied & Chor für ein Interview zur Verfügung. Die Fragen stellten Peter Lamprecht und Ulrich Wüster.

Der Deutsche Sängerbund (DSB) und der Verband deutscher Musikschulen (VdM) haben eine Rahmenvereinbarung verabschiedet, die am 13. Oktober anlässlich der Herbsttagung des DSB in Stuttgart feierlich unterzeichnet wird. Der Präsident des DSB, Dr. Heinz Eyrich, und der Vorsitzende des VdM, Dr. Gerd Eicker, stellten sich der neuen musikzeitung und der Zeitschrift Lied & Chor für ein Interview zur Verfügung. Die Fragen stellten Peter Lamprecht und Ulrich Wüster. nmz: Kulturpolitiker singen seit einiger Zeit das Hohelied der musi- kalischen Basis-Förderung. Viel Lob gilt Musikschulen ebenso wie Laienorchestern, Musikvereinen und Chören. Ist die Musikwelt also in Ordnung?

Heinz Eyrich: Nein, sie ist nicht in Ordnung. Wir erreichen trotz positiver Ausnahmen in Bayern und Baden-Württemberg in keinem einzigen Bundesland als Amateure im Musikbereich annähernd die gleiche Förderung durch den Staat wie die Amateur-Sportler. Selbst über den Steuerabzug für Mitgliedsbeiträge in den Vereinen wird noch gefeilscht. Und wie wir wissen, wird in den Schulen die kulturelle Bildung gerade im Bereich Musik vollends an den Rand gedrängt. Aber wer die Basis der Kultur vernachlässigt, der macht sich an der geistigen und seelischen Fitness künftiger Generationen zu schaffen.

Gerd Eicker: Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass der erfreulichen verbalen Zustimmung auch eine reale Zustimmung entspricht. Tatsächlich wird der gesamte Musikbereich, zumindest was Musikschulen und Laienmusizieren angeht, mehr oder weniger vernachlässigt bezüglich der finanziellen Unterstützung insbesondere der Länder. Und hier müssen wir uns zu Worte melden.

: Wie kam es zu der Kooperationsvereinbarung zwischen Deutschem Sängerbund und VdM?
: Der DSB ist einer unserer wichtigsten Partner. Daher erscheint uns die Aktualisierung und Verstärkung der gemeinsamen Erklärung von 1975, die nun mehr als 25 Jahre alt ist, dringend erforderlich. : Vor drei Jahren hat uns im DSB die Nachricht von der Bedrohung vieler Musikschulen erreicht. Dies war ein Anstoß, erneut zu einander zu finden. Ein weiterer ist aus Begegnungen vor allem unseres Chorjugend-Vorsitzenden Werner Mattern mit dem Bundesgeschäftsführer des VdM Rainer Mehlig entstanden, unter anderem beim Symposium „Laienmusik“ 2001 in Trossingen. Der DSB hat die Zusammenarbeit mit jedem, der zum Erhalt und zur Fortentwicklung der Musikkultur beiträgt, auf seine Fahne geschrieben.
: Wo haben Musikschulen und Chorvereinigungen gemeinsame Ziele und konkrete gemeinsame Anliegen, was hat sich gegenüber 1975 verändert?
: Wir sind davon überzeugt, dass wir auf die Bedeutsamkeit des Singens wieder heftig aufmerksam machen müssen. 1975 gab es eine Untersuchung mit dem Titel „Zur Situation des Singens in der Bundesrepublik“ von Ernst Klusen. Dort zeichnete sich das Bild des funktionalen Gruppenliedes ab, das damals auch praktiziert wurde. Dies scheint weitgehend verschwunden. Und wir halten es dafür für erforderlich, dass wir die Menschen wieder verstärkt befähigen zu dieser menschlichen Grundäußerung, die Singen darstellt. Es besteht die Gefahr, dass sie verloren geht, und dieses gilt es zu verhindern. : Unser gemeinsames Ziel habe ich mit Erhalt und Fortentwicklung der musikalischen Basis umrissen. Da kann man einander gegenseitig aktiv und praktisch stützen. Ich denke zudem, dass die Bedrohungslage für beide Segmente des Musiklebens gefährlicher geworden ist. Außerdem hat sich das Selbstverständnis des DSB geschärft, wir sind politischer geworden.
: Wie viele Organisationen mit wie vielen aktiv musizierenden Menschen vertreten Ihre Verbände eigentlich?
: Der DSB ist Dachverband der eigenständigen Chorjugend und von 25 regionalen beziehungsweise studentischen Sängerbünden und Chorverbänden. Dort agieren knapp 22.000 Chöre mit rund 700.000 aktiven und 1,1 Millionen fördernden Mitgliedern. Mehr als jede/-r siebte Aktive ist übrigens unter 27 Jahren jung, der Anteil weiblicher Stimmen tendiert Jahr für Jahr mehr in Richtung 50 Prozent. : Im VdM sind die knapp 1.000 öffentlichen und gemeinnützigen Musikschulen Mitglied, in denen über 35.000 qualifizierte Fachlehrkräfte rund eine Million Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene an die Musik heranführen und im praktischen Musizieren ausbilden. Überschlagsmäßig berechnet, haben seit 1975 etwa vier Millionen Menschen in den Musikschulen ihre musikalische Bildung erhalten.
: Welche Rolle spielt der Vokalunterricht in den Musikschulen? Gehören Kinder- und Jugendchöre zum Regelangebot? Und gibt es auch Erwachsenenchöre?
: In den Musikschulen gibt es ein vielfältiges Angebot für den Bereich Vokalunterricht: Es gibt Stimmbildung, es gibt den traditionellen Gesangsunterricht, es gibt Jugendchöre, Popchöre, Musicalchöre, natürlich auch vereinzelt Erwachsenenchöre. Insgesamt zählen wir zirka 1.700 Singgruppen und Chöre mit rund 33.000 Schülern. Teilweise arbeiten diese Chöre sowohl im Jugend- als auch Erwachsenenbereich in Kooperation mit anderen Chören.
: Was tun die Chorvereinigungen für die Heranbildung ihres Nachwuchses? Wo liegen die Attraktivitäten des Chorsingens gerade für junge Leute?
: In den letzten 15 Jahren ist die Mitgliederzahl bei den Jahrgängen bis 27 von 60.000 auf knapp 110.000 gestiegen. Seit viele Landesbünde und wir als DSB der Chorjugend Eigenständigkeit verliehen haben, können wir die Frage nach den Gründen authentischer beantworten. Junge Leute sagen uns, sie suchen Forderung und Förderung beim Singen, wollen Ansprüche an die Leistung erfüllen. So sind aktive, fordernde und überzeugende Chorleiter die besten Werber für unsere Sache. Natürlich propagieren wir Stimmbildung und zeitgemäße Musikauswahl, geben dazu Handreichungen und Anregungen in zahllosen Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen. Wir helfen den jungen Leuten auch, Verantwortung im Ehrenamt zu lernen – beispielsweise mit der Musik-Mentorenausbildung für junge Chormitglieder in Baden-Württemberg und mit Kursen zum Erwerb der Jugendleitercard. Wir kommen dem Wunsch junger Leute nach Internationalität entgegen, indem wir Abordnungen zu internationalen Jugendkonferenzen und -begegnungen entsenden, alljährlich den „Eurochor“ der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Chorverbände fördern, jedes Jahr Deutsch-Tschechische und nun auch Deutsch-Südtiroler Jugendchorbegegnungen veranstalten – und nicht zuletzt in den Veranstaltungen von und mit „europa cantat“.
: Warum ist eine Kooperation von DSB und VdM wünschenswert, ist sie sogar notwendig? Was wollen Sie mittelfristig gemeinsam tun und erreichen?
: Über die Resolution des Deutschen Sängerbundes 1998 hat sich der VdM sehr gefreut, hat sich doch hier ein wichtiger Musikverband klar zur Arbeit der Musikschulen bekannt und die Unterstützung der öffentlichen Musikschulen eingefordert. Solche strategischen Partnerschaften sind gerade im Kulturbereich sehr wichtig, um Ziele in der Öffentlichkeit bekannt und bewusst zu machen und sie dann auch in der politischen Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Es gibt übrigens bemerkenswerte Beispiele von Kooperationen vor Ort, sei es dass Chöre von Musikschulorchestern begleitet werden, sei es dass man gemeinsame Chorvereinigungen bildet, sei es dass man sich auf ein großes Projekt miteinander konzentriert bis hin zu sehr qualitätsvollen Opernproduktionen. : Ja, wir hoffen auf ganz praktische Zusammenarbeit im Stadtteil, in der Gemeinde. Chorleiter aus unseren Reihen können eingebunden werden in die Musikschularbeit, wenn dort im Chorbereich Lücken klaffen. Es gibt auch Vereinschöre, die die Rolle des örtlichen Musikschulchores wahrnehmen. Die Kooperation kann beitragen zu allgemein höherer Wertschätzung für die Kunst, mit dem Instrument Stimme virtuos umzugehen. Zugleich hoffen wir natürlich auf befruchtende Impulse aus den Musikschulen, auf gemeinsame Veranstaltungen und Aktionen. Und im Bereich der Dachverbände gilt: Gemeinsam sind wir stärker. Mittelfristig denke ich auch an eine Einbindung von Chor- und Musikschul-Angeboten oder von Kooperationsprojekten bei großen Veranstaltungen beider Verbände. Mitte Juni 2003, zum 20. Chorfest des DSB in Berlin, sind jetzt schon alle Kreativen und Aktiven herzlich eingeladen.
: Sehen Sie die Notwendigkeit, weitere Partner ins Boot zu holen?
: Ganz sicher sogar. Wir verschaffen uns in der heute immer aufgeregter werdenden Medienlandschaft nur Gehör, wenn möglichst viele möglichst oft auf die gleiche Trommel schlagen, den gleichen Ton anstimmen. Von der Musik-Basis müssen die Anstöße dazu kommen. Die PR-Bemühung des Musikrates unter dem Motto „Hauptsache: Musik“ hat bisher die erforderlichen Wellen leider noch nicht geschlagen. Vielleicht, weil man der Gesellschaft erst neu erklären und beweisen muss, was da behauptet wird. : Ich halte es für notwendig, dass sich alle Organisationen der Laienmusik sowie der Musikpädagogik zusammenschließen und sich gemeinsam artikulieren, um auf die Gefahren des schleichenden Verlustes unseres Kulturguts Musik im Kulturland Deutschland aufmerksam zu machen. Dies könnte auch unter dem Dach der Aktion Musik des Deutschen Musikrates geschehen, zu deren konkreter inhaltlicher Füllung wir übrigens dezidiert mit unserer Kooperationsvereinbarung beitragen.
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