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Die Feinmodulation des Klangs

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Das vierte Nachwuchsforum der Gesellschaft für Neue Musik
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Slap-tongue, Obertöne, gleichzeitiges Singen und Spielen, Multiphonics und Klappengeräusche hat heute jeder Saxophonist im Repertoire, wenn er wie Michael Riessler Neue Musik spielt. Bei seiner Lecture während des vierten Nachwuchsforums der Gesellschaft für Neue Musik in Frankfurt verzichtete Riessler daher auf die Vorführung dieser Spieltechniken und streifte das Handwerkliche nur kurz.

Wichtiger als das Wie des Spielens ist dem interpretierenden, improvisierenden und komponierenden Allround-Musiker das Warum all dieser Effekte, ihr musikalischer Sinn. Riessler, der mit seiner Arbeit zwischen Jazz und Neuer Musik steht und neben rein musikalischen Stücken auch Hörspiele produziert, versteht das Instrument als eine Art Verlängerung des Körpers, als einen vielseitigen Filter der Stimme. Er begreift das Saxophon oder die Klarinette nicht als distanzierte Instrumente, auf denen man Noten reproduziert, sondern als Hilfsmittel zur direkten Artikulation. Ziel ist die Erweiterung der musikalischen Sprache und das Sprechen in verschiedenen musikalischen Sprachen, ohne Beschränkungen und ohne die „Manierismen der Neue-Musik-Sprache mit großem N“. Michael Riessler steht exemplarisch für den Musiker von heute, dem über die Interpretation komplexer, spieltechnisch an der Grenze des Machbaren angesiedelter Partituren hinaus Kreativität und kompositorisches Potential abverlangt wird, ein Resultat zeitgenössischen Komponierens mit seiner Exploration neuer Klangwelten. Wie Komponisten heute mit dem Instrument umgehen, war das Thema des Nachwuchsforums, das dieses Jahr zum vierten Mal in den Frankfurter Räumen des Ensemble Modern unter Mitwirkung der Musiker des Ensembles stattfand. Junge Komponisten, Interpreten und Musikologen konnten Arbeiten einreichen, von denen eine Jury, diesmal bestehend aus der Rundfunkredakteurin Marita Emigholz, dem Cellisten Michael Kaspar und dem Komponisten Georg Katzer, acht Komponisten, vier Interpreten und drei Musikologen auswählte. Wichtig ist den Veranstaltern dabei die Zusammenführung dieser drei Aspekte der Auseinandersetzung mit Musik: dem Erfinden von Werken, dem Umwandeln des Gedachten und Notierten in Klang und dem Reflektieren über die musikalische Struktur und ihren ästhetischen Gehalt. Während Komponisten und Musiker bereits häufig zusammenarbeiten, sollte vor allem die theoretische Beschäftigung mit neuer Musik stärker einbezogen werden, die wissenschaftliche Arbeit, wo das Zeitgenössische bisher eine untergeordnete Rolle spielt und wo man sich, wenn man sich mit solcher Musik beschäftigt, an hauptsächlich bereits arrivierte Komponisten der Vorkriegs- und Kriegsgeneration wagt. Das gilt auch für die für das Nachwuchsforum ausgewählten Arbeiten. Die Flötistin Theresa Fleck betrachtete Hans-Joachim Hespos’ Altflöten-Solo „duma“ aus der Perspektive des Instrumentalisten und analysierte detailgetreu die spieltechni- schen Varianten und Feinheiten des Stücks. Sie manifestieren sich in langen Listen mit verbalen Anweisungen, das Markenzeichen von Hespos’ Musik. Josfine Helen Horn untersuchte „Notturno“ von Helmut Lachenmann, der Feinarbeit an der instrumentalen Spieltechnik geleistet hat. Horn konzentrierte sich auf formale Aspekte der Partitur, auf die serielle Konzeption der Musik, auch auf die charakteristischen Klangstrukturen, die sich aus spezifischen Spieltechniken ergeben und mit denen der Komponist musikalische Gestalten bildet. An einen Komponisten, der gemeinhin als nicht analysierbar gilt, wagte sich Christine Anderson. Mit konventioneller musikwissenschaftlicher Methodik sezierte sie Giacinto Scelsis Stück „Anahit“, zählte Töne, Takte und Klänge und erhielt unter anderen die Zahl Acht als eine immer wiederkehrende und daher bedeutungsvolle Größe. Darüber hinaus aber bezog die Autorin Scelsis Schriften mit ein, sein von fernöstlicher Philosophie geprägtes Denken, seine Vorstellung von Raumklang und sein von der teleologischen abendländischen Vorstellung abweichendes Zeitverständnis. Wegen des Einbezugs dieser intellektuellen Ebene ist Andersons Analyse-Ansatz bemerkenswert, denn er reicht über die konventionelle, oft im Positivistischen verhaftete musikwissenschaftliche Arbeitsweise hinaus. Bei der Auswahl der eingereichten Arbeiten orientierte sich die Jury nicht nur, aber möglichst am Thema des Forums „Instrument und Instrumente“, so bei der Wahl der Interpreten, des Akkordeonisten Wolfgang Diemetrik, des Saxophonisten Christoph Kirschke, des Pianisten Sebastian Berweck, der Thomas Wenks programmatisches Stück „Recordame“ für Klavier und Kassettenrekorder spielte, sowie des Leipziger Blockflötenquartetts M.A.R.S.-attack, das mit einem spieltechnisch witzigen Stück von Rudolf Kelterborn das wachsende Interesse der Komponisten an dem Instrument Blockflöte dokumentierte. Das Nachwuchsforum der Gesellschaft für Neue Musik unterscheidet sich von anderen Wettbewerben, denn wo dort im wesentlichen Preisträger gekürt werden, steht hier die Kommunikation im Vordergrund. Den acht ausgewählten Komponisten (Chao Ming Tung, Yong-ju Lee, Valerio Sannicandro, Kilian Schwoon, Vadim Karassikov, Martin Curschman, Holger Klaus, Peter Köszeghy) wurde eine Woche lang Gelegenheit gegeben, ihre Stücke mit den Musikern des Ensemble Modern und dem Dirigenten Re-nato Rivolta en detail zu erarbeiten. Sie konnten Klangtechnisches erproben, Effekte in der Praxis ausprobieren und sich natürlich Rat bei den erfahrenen und erstklassigen Instrumentalisten des Ensemble Modern einholen. Auch für diese ist die Arbeit spannend, denn sie können Kontakte knüpfen, werden mit den Ideen der jungen Komponisten konfrontiert und können möglicherweise Projekte mit diesen Komponisten entwickeln. Zum Beispiel Hermann Kretzsch-mar, der in einem perspektivenreichen Vortrag über die eigene Arbeit als Pianist und Musiker berichtete und über vielfältigen Anforderungen heutiger Musik an einen Interpreten. Er muß virtuos sein, vom Klang seines Instruments abstrahieren können, das zum Beispiel einen Sampler mit beliebigem Soundmaterial ansteuert oder durch live-elektronische Verfremdung unkenntlich gemacht wird, er muß Solist im Ensemble und Ensemblespieler gleichzeitig sein und möglicherweise mit beliebigen anderen Instrumenten hantieren. Denn Klang spielt eine wesentliche Rolle in heutiger Musik, weshalb auch trotz des Themas „Instrument und Instrumente“ kaum Solostücke für das Nachwuchsforum eingereicht wurden. Vadim Karassikovs „Reflections“ etwa ist für Flöte, Klarinette, Harfe, Vibraphon, Violine, Viola und Violoncello geschrieben und verlangt ein Spielen am Rande der Unhörbarkeit. Chao Ming Tungs Stück „Energie“ fordert den fünf Instrumenten, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabaß und Klavier heikle Achteltöne ab. Mit ihnen erzeugt der Komponist sachte Klangmanipulationen, während Kilian Schwoon in „Implantate“ für zwei Violinen, Viola und Klarinette die klanglichen Details mit live-elektronischen Mitteln formt. Diese sind allerdings als solche kaum hörbar, fungieren eher als zusätzliches Register für die Instrumente, was höchst sensible Färbungen erlaubt – drei Beispiele für Klangmodellierungen im Detail, womit sich die Teilnehmer des Nachwuchsforums offenbar beschäftigen. Denn schließlich ist die Veranstaltung auch ein Forum für das Komponieren heute, für aktuelle Tendenzen und Strömungen, die sich in den Werken der jungen Tonsetzer spiegeln.

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