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Formatleasing: Bayern 4 für WDR

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Brief an Norbert Seidel, stellvertretender Intendant des WDR
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Sehr geehrter Herr Professor Seidel,
anknüpfend an Ihre medienpolitische Verantwortung und Ihr medienökonomisches Theorieinteresse wende ich mich an Sie mit einem praktischen Vorschlag, eine Kosten senkende Verschlankung des Westdeutschen Rundfunks betreffend. Knapp gesagt, bitte ich Sie, einmal ernsthaft zu prüfen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, das dritte Hörfunkprogramm auslaufen zu lassen und die frei werdende Übertragungskapazität dazu zu nutzen, das anspruchsvolle Programm eines anderen, der klassischen Musik gewidmeten ARD-Senders im Sendegebiet des WDR auszustrahlen, der bislang nicht empfangen werden kann. Zu denken ist hierbei etwa, aber durchaus nicht ausschließlich, an Bayern 4. Ich werde diesen unkonventionellen Vorstoß im Folgenden näher begründen.

Die Pflege klassischer Musik hat mit jeder „Programmreform“ des Westdeutschen Rundfunks an Gewicht verloren und ist seit geraumer Zeit zu einer quantité negliable geworden. Mit „Pflege“ meine ich nicht, zum x-ten Mal die „Jupitersinfonie“ (kennerhaft als „Köchel 551“ apostrophiert) in einer Standardeinspielung mit den Berliner Philharmonikern unter Karajan zu bringen, begleitet von altbekannten Hintertreppenanekdoten über „Wolfgang Amadés“ tragische Neigung zum Schuldenmachen – wie im „Klassikforum“ üblich. Wer Klassik auf solchem Niveau „genießen“ möchte, kann sich für wenig Geld „Karajan dirigiert die schönsten Sinfonien“ und „Klassik für Kids – Mozart was here“ von Justus Frantz zulegen. Von „Pflege“ wird man gleichfalls nicht sprechen können, wenn beispielsweise Herr Henning Venske nach Köln reist, „um sich auch mal was Gutes zu gönnen“ (Selbstzitat!), Musikschnipsel aus Sendungen zusammenmixt, die zufällig auf den Tag genau vor 25 Jahren im Westdeutschen Rundfunk gesendet worden sind und dabei – so geschehen in den „Musikpassagen“ am 9. April 2003 – einen winzigen Ausschnitt aus „The Rake’s Progress“ in einer drittklassigen Produktion der Dortmunder Oper mit Hermann-Löns-Gesängen, Liedermacher-Geklampfe und sentimentalen Reminiszenzen aus dem einstmals von ihm selbst moderierten „Folklore-Basar“ kombiniert. Solche zum Programm erhobenen Potpourris der Beliebigkeit wird man mit Adorno barbarisch nennen müssen, auch wenn sie im Gewand eines genreüberschreitenden „crossculture“ daher kommen. Angesichts der traditionsreichen Verdienste der deutschen Rundfunkanstalten um die Förderung zeitgenössischer Musik muss es vor allem befremden, dass Gegenwartskomponisten im Programm von WDR 3 keinerlei Rolle mehr spielen.

Es soll nicht bestritten werden, dass es Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, spezielle Zielgruppen entsprechend ihrem Musikgeschmack zu versorgen. Denkbar wäre etwa das Angebot eines Seniorenradios mit gefällig moderierten Appetithäppchen aus dem Standardrepertoire des 19. Jahrhunderts inklusive Themennachmittagen mit Ausflügen in die Welt der Operette, des Musicals, der Volksmusik, der Discomusik, der Protestsongs et cetera. Es stellt sich nur die Frage, ob eine solche Aufgabe wirklich ein kostenintensives eigenes Programm (einschließlich Orchester) erfordert oder nicht besser im Verbund aller ARD-Sender realisiert werden kann.

Ein derartiger Umbau ließe sich durchaus sozialverträglich bewerkstelligen. So könnten überzählige Musikredakteure bis zu ihrer Pensionierung im vierten Hörfunkprogramm eingesetzt werden. Gewiss müsste man für eine gewisse Zeit auf Neueinstellungen verzichten, aber müssen wir in diesen Zeiten, in denen öffentlich finanzierte Dienstleistungen grund-sätzlich auf dem Prüfstand stehen, nicht alle Opfer bringen?

In diesem Sinne erhoffe ich mir eine uneingenommene Prüfung meines Vorschlags. Ich würde mich freuen, Ihre Meinung zu erfahren.

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