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Gehört nicht zusammen? Passt aber!

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Neue Musik auf neuen CDs, vorgestellt von Max Nyffeler
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Neue Musik von und mit Kate Moore, Pi-Hsien Chen, Karlheinz Stockhausen, Valentin Silvestrov, Christina Meißner, Chaya Czernowin, Younghi Pagh-Paan …

Die Ukraine steht in den politischen Schlagzeilen, und da lohnt sich wieder einmal ein Blick auf Valentin Silvestrov, den wichtigsten Komponisten der neuen ukrainischen Musik. Eine Porträt-CD stellt nun vor allem das frühe Schaffen des 1937 in Kiew geborenen Komponisten vor. In der unerhört farbigen, energiegeladenen Musiksprache der dreisätzigen „Spektren“ und der 2. Sinfonie, beide von 1965, zeigen sich die frischen Einflüsse der westlichen Avantgarde. Die Meditation für Cello und Orchester (1972) und die Kantate nach Texten von Fjodor Tjuttschew und Alexander Blok (1973) finden zu einem vertieften musikalischen Ausdruck, und im späten „Welt, leb wohl...“ aus dem umfangreichen Vokalzyklus „Stille Lieder“ wendet sich Silvestrov der modalen Welt der ukrainischen Volksmusik zu. Was uns Wessis entgeht, weil wir den Kommunismus nicht kennen: Die Werke sind aufgeladen mit verschlüsselten politischen Aussagen. Doch sie vermögen auch unser Oberflächenhören zu überzeugen. Die historischen Aufnahmen mit dem Dirigenten Igor Blaschkow sind eine Entdeckung (Wergo 6731 2).

Cello und Orgel, wie passt das zusammen? Sehr gut, hört man sich die vier Werke an, die die Cellistin Christina Meißner angeregt und zusammen mit Poul Skjølstrup Larsen und Reinhard Seeliger eingespielt hat. Bei Chaya Czernowin führt der instrumentale Dialog in unheimliche Dunkelsphären, während Younghi Pagh-Paan, angeregt durch ihre Kierkegaard-Lektüre, eine mystische Innenwelt eröffnet, in der Dramatik und Entrückung zur Einheit verschmelzen. Ihr Stück, wie dasjenige von Czernowin ein dänischer Auftrag zum 200. Geburtstag Kierkegaards, ist der gewichtigste Beitrag auf dieser ungewöhnlichen CD. René Meese setzt demgegenüber mehr auf Klangsinnlichkeit und Farbe, und Lisa Streich tastet die zarten Klangränder ab, an denen sich die Instrumente berühren (querstand VKJK 1429).

Die Idee von Pi-Hsien Chen, Stockhausens Klavierstücke I bis VI mit Beethovens op. 101 und 111 zu koppeln, geht auf einen Versuch Stockhausens von 1970 zurück, Beethoven-Schnipsel in „Kurzwellen“ elektronisch zu verfremden. Was damals offenbar ziemlich daneben ging, wie der Begleittext anmerkt. Indem die Pianistin nun die Werke beider ineinander verschachtelt, findet sie eine überzeugende Lösung. Zu Stockhausens unpersönlicher, kühl-konstruktiver Welt bilden die von einer bestürzenden Subjektivität durchdrungenen Spätwerke Beet-hovens einen faszinierenden Kontrast. Das funktioniert auch deshalb problemlos, weil die Interpretin sich in beide Klangwelten und Denkweisen auf kongeniale Art hineinversetzen kann. Es kommt zu unerwarteten Wechselwirkungen, allein die Übergänge von op. 101 zum Klavierstück V und von diesem zu op. 111 sind sensationell. Passt, und sogar noch besser als bei Pollini (hat[now]Art 193).

Eine Inspirationsquelle der Australierin Kate Moore ist der Sufi-Mystizismus. In ihren „Dances and Canons“ für Klavier sucht sie nach den geheimen Verbindung zwischen Körper, Geist und Musik. Mit freier, quasi-improvisatorischer Geste lässt Saskia Lankhoorn die schwebenden Klangwolken, vibrierenden Akkorde und repetitiven Motivgestalten sich im Raum ausbreiten, was durch ausgiebigen Pedalgebrauch unterstützt wird. Markante Einsprengsel verhindern das Einlullen. Manchmal erinnern die tonal basierten Wiederholungsmuster auch ein wenig an die Klangwalzen eines Phil Glass. Doch letztlich dominiert der Eindruck einer stark atmosphärischen, von einer spezifisch weiblichen Sensibilität geprägten Musik (ECM 481 0963).

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