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Gesicht und Stimme zurückgeben

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„musica reanimata“ erinnert an die Komponisten des Jüdischen Kulturbundes
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Sie sahen sich als Deutsche – die verfolgten jüdischen Künstler um den Dirigenten Kurt Singer, die 1933 in Berlin den Kulturbund Deutscher Juden gründeten. Bis in den Herbst 1941 organisierten sie die historische Paradoxie eines jüdischen Musik- und Theater­betriebes mitten im Dritten Reich. Mit nicht weniger Selbstbehauptungs­willen als die exilierten jüdischen Künstler Nazideutschlands. Doch das Erinnerungs­loch, in das sie gefallen sind, ist ungleich schwärzer, tiefer.

Längst weht auch kein günstiger Wende- und Vereinigungswind mehr, der es erleichterte, sie dort heraus­zuholen. Kein Grund indes für den Förderverein „musica reanimata“ um Albrecht Dümling, die Flügel hängen zu lassen. Jetzt hat man an der Berliner Akademie der Künste einen neuen Versuch gestartet. Es ist ein starkes Ethos, das hilft, auch gegen eine bröckelnde Resonanz weiterzumachen. Gut nur, dass diesem Kampf gegen die biologischen Uhren einerseits, gegen die Trägheit der Herzen andererseits neue Bündnispartner erwachsen.

In Jascha Nemtsov hat Dümling einen solchen bekommen. Seitdem Nemtsov in den 90er-Jahren aus seiner sibirischen Heimat nach Berlin gekommen und sich der jüdischen Gemeinde angeschlosssen hatte, ist er als Musikforscher sehr bald den verstreuten, verwischten Spuren der Komponisten des „Jüdischen Kulturbunds Berlin“ nachgegangen. Als in Leningrad ausgebildeter Konzertpianist hat er zudem von interpretatorischer Seite mithelfen können, ihre (Kammer-)
Musik wieder an die Öffentlichkeit zu hieven.

Bereits 1992 hatte das Archiv der Akademie der Künste Berlin Wirken wie tragisches Scheitern des Jüdischen Kulturbunds in einer großen Ausstellung dokumentiert. Jetzt also hat „musica reanimata“ ein weiteres vergessenes Kapitel der Zeitgeschichte nachgetragen. Im Fokus der Veranstalter – mit Gesprächskonzerten, Film, Podiumsdiskussion, Zeitzeugenbegegnungen – Namen, die uns nicht mehr geläufig sind: Karl Wiener, Alfred und Oskar Guttmann, das literarisch-musikalische Multitalent Arno Nadel oder Jakob Schönberg, ein entfernter Verwandter Arnold Schönbergs.

Verzweifelte Paradoxie: Dass dem Jüdischen Kulturbund als dem Schlusskapitel des deutschen Judentums eine verzweifelte Paradoxie innewohnt, hat auf der Berliner Veranstaltung jeder der Teilnehmer mit seinen Worten deutlich gemacht. An erster Stelle Margot Friedländer, die wohl letzte lebende Zeitzeugin. Die mit ihren 88 Jahren quicklebendige Autorin (ihrer eigenen Überlebensgeschichte) bezeugte glaubhaft die jüdische Hingabe an das Theater, räumte indes im gleichen Atemzug ein, dass man sich am Vorabend der Wannseekonferenz (ein Abgrund, den keiner sich hatte ausmalen können, noch wollen) Illusionen gemacht habe, wenn manche unter ihnen sogar von einem „Jüdischen Staatstheater“ träumten. Natürlich eine Absurdität – aber das wissen wir ja erst heute.

Andererseits: Was sollte man tun?, fragte aus nachbetrachtender Perspektive Autor und Regisseur Volker Kühn. Nach dem Auftrittsverbot an deutschen Theatern hatte man keine andere Chance. Anders als es das sich zuweilen in Sackgassen verrennende Berliner Podiumsgespräch suggerierte, stand die Frage nach einer explizit „jüdischen Musik“, so Margot Friedländer, jedenfalls nicht im Brennpunkt. Man wollte das ganze Repertoire. Und wenn sie Lessing spielten, Mahler zur Aufführung brachten, so waren das für die Kulturbund-Aktivisten noch lang keine explizit „jüdischen“ Stoffe von „jüdischen“ Künstlern.

Wie immer letztlich die Intentionen im einzelnen waren – unter dem wachsamen Zensur-Auge des NS-„Staatskommissars“ und „Reichskultur­walters“ Hans Hinkel gelangten zwischen 1933 und 1941 die verfemten Autoren (in geschlossenen Vor­stellungen von Juden für Juden), auf Bühne und Podium: Lessings „Nathan der Weise“, „Saul“ und „Belsazar“ von Händel, dazu Mendelssohn, Meyerbeer, Offenbach, ja, selbst Schön­berg und Strawinsky wurden gespielt. Der Höhepunkt: eine Aufführung von Mahlers „Auferstehungssinfonie“.

Daneben die Produktionen der Zeitgenossen, heftig oszillierend zwischen Juden- und Deutschtum: Zum Beispiel (der gebürtige Wiener) Karl Wiener, ein Schüler von Robert Fuchs und Franz Schreker. Überaus bezeichnend der Lebensweg dieses Komponisten: Kapellmeister in Saarbrücken und Stettin, konzertierender Pianist, ab 1923 im Musik-Beirat der Berliner Funkstunde. 1933 dann wird Wiener wie alle „Nicht-Arier“ auf die Straße gesetzt, woraufhin er Musikdrama­turg beim Jüdischen Kulturbund wird, der Künstler-Selbsthilfeorganisation der jüdischen Gemeinde.

Zwischen November 1941 und März 1942 komponiert Karl Wiener im Gestapo-Gefängnis seine „Drei Lieder“ op. 37 auf Gedichte seines auch komponierenden Freundes Arno Nadel: „Waldweg“, „Erinnerungen“, „Figuren“ – immer noch, selbst am Abgrund, deutsche Titel, deutsche Posie, diese verzweifelte jüdische Liebe zum Goethe-Kosmos.

Das musikalische Wörterbuch, aus dem sich die Komponisten des Jüdischen Kulturbunds bedient haben, war das der Romantik. Sie hatten keine andere Sprache. Dies galt auch dann, wenn manche unter ihnen in ihrer „Suche nach einer jüdischen Musik“ einen hebraisierenden Tonfall angenommen haben. Arno Nadel aus Wilna beispielsweise, dessen Weg in Auschwitz endet.

Was jetzt dank einer bemerkenswerten Anstrengung ans Licht gekommen ist von Arno Nadel, sind neben einer „Sabbat-Suite“ für Streichtrio Nadels „Jontefflieder“, Festtagslieder mit diesem schwärmerischen Ton, der noch ein einfaches Chassidisches Tischlied über Folklore-Harmlosigkeiten hinaushebt. Eine der berührendsten Erfahrungen der Berliner Akademie-Veranstaltung.

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