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Komplexes Netz der romantischen Idee

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Charles Rosens Kompendium im Residenz Verlag erschienen
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Rosens lang erwartetes Buch wiegt schwer wie ein Ziegelstein – das Thema, die Musik der Romantik, lässt sich nicht in knappen Zügen umreißen. Ein solches Unterfangen wäre absurd und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch auch 815 Seiten können keinerlei Gewähr für Vollständigkeit geben. Rosen war von daher gut beraten, sein Unternehmen auf die Musik der um 1810 herum Geborenen zu beschränken – Chopin, Schumann, Liszt, Mendelssohn et alii – und den zeitlichen Grenzstrich bei Chopins Todesjahr, 1849, anzusetzen. Dieser radikale Trennstrich allerdings, den er ziemlich konsequent durchhält, durchkreuzt auf unschöne Weise die Idee der Romantik; durch die Geschlossenheit wird die Wirkung der „mittleren“ Generation auf die Nachwelt kaum gewürdigt.

* Charles Rosen: Musik der Romantik, Residenz Verlag 2000, 815 Seiten, 50,90 € Rosens lang erwartetes Buch wiegt schwer wie ein Ziegelstein – das Thema, die Musik der Romantik, lässt sich nicht in knappen Zügen umreißen. Ein solches Unterfangen wäre absurd und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch auch 815 Seiten können keinerlei Gewähr für Vollständigkeit geben. Rosen war von daher gut beraten, sein Unternehmen auf die Musik der um 1810 herum Geborenen zu beschränken – Chopin, Schumann, Liszt, Mendelssohn et alii – und den zeitlichen Grenzstrich bei Chopins Todesjahr, 1849, anzusetzen. Dieser radikale Trennstrich allerdings, den er ziemlich konsequent durchhält, durchkreuzt auf unschöne Weise die Idee der Romantik; durch die Geschlossenheit wird die Wirkung der „mittleren“ Generation auf die Nachwelt kaum gewürdigt. Zunächst erörtert der Autor allgemeine Kriterien, die für die romantische Musik maßgebend sind: der Klang, das Fragment, das Lied, Mediantbeziehungen und die symmetrische Phrasenbildung. Eine geistesgeschichtliche Epoche leuchtet auf, denn Querverbindungen zu Literatur und Kunst weben berechtigterweise ein komplexes Netz der romantischen Idee. Es liegt auf der Hand, dass man sich bei derlei allgemein gefächerten Ausführungen nicht auf die kurze Zeitspanne von gut zwanzig Jahren beschränken kann, und so findet vor allem bei den Liederzyklen natürlich Schubert seinen angemessenen Platz, und Beethoven als der Maßstab seiner Nachfolger tritt immer wieder in Erscheinung. Das Kapitel über das Fragment ist das stärkste des gesamten Bandes. Als Kernidee der Romantik wird es durch Rosens Erklärungen plastisch erfahrbar, die auch theoretische Grundlagen organisch einbinden. So das Zitat Schlegels aus den Athenäum-Fragmenten: „Ein Fragment muss gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel.“ Schumann offenbart sich als Meister dieses Genres schlechthin, aber auch Chopin gilt hier mit seinen Préludes als repräsentativ. Mit seiner Definition trifft Rosen den Nagel genau auf den Kopf: „Im musikalischen Fragment der Romantik bleibt ebenfalls Platz für einen uneindeutigen, beunruhigenden Raum, für ein ungelöstes Element, das die Symmetrie und die Konventionen der Form unterhöhlt, ohne sie jedoch ganz zu zerstören.“ Das Instrument des Fragments schlechthin scheint das Klavier zu sein, und in Rosens Buch nimmt es einen so großen Platz ein, dass Orchesterwerke darin kaum Erwähnung finden. Berlioz darf dankbar sein, dass seine „Symphonie fantastique“ überhaupt Erwähnung findet. Leider unterlässt der Autor es, die Vorrangstellung des Klaviers in der romantischen Musik (und in seinem Buch) näher zu analysieren. Die Oper mit ihren Hauptrepräsentanten der Epoche, Bellini und Meyerbeer, wird zwar als eigenständiges Kapitel eingebracht, ihre politische Dimension der „Volksaufhetzung“ in den Raum geworfen; dass jedoch gerade in Frankreich die Oper im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte, während dort Klavier- und Kammermusik brachlagen, und dass Pioniere wie Franck und Saint-Saëns diesen Bereichen neuen Humus boten, erwähnt Rosen mit keinem Wort.

Viel Neues birgt der Rosen’sche Ziegelstein nicht. Vieles hätte gestrafft werden können, wie eine Vielzahl von Notenbeispielen, die in komprimierterer Form eine größere Übersichtlichkeit geschaffen hätten. Seine ausführlichen Analysen vergleicht der Autor selbst sehr treffend mit dem „Kursbuch der Bahn“ – auch hier hätte man einiges kürzen können. Die einzelnen Kapitel bricht Rosen meist abrupt ab, eine Konklusion im akademischen Sinne findet sich nicht. Er birgt vielmehr einzelne geschlossene Abschnitte, die dennoch offen sind. Folglich ist „Die Musik der Romantik“ ebenso Fragment geblieben, und gerade das ist es, was Rosens romantischen Stil dann doch noch sympathisch macht.

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