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Berlioz’ Geniestreich „Benvenuto Cellini“ (Naxos)
Berlioz’ Geniestreich „Benvenuto Cellini“ (Naxos)
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Kontrollierter Ausnahmezustand

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Vier Opern und zwei Sängerinnenporträts neu auf DVD
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Terry Gilliam und Hector Berlioz: Ohne die Parallelen überzustrapazieren kann man doch feststellen, dass beide so ihre Erfahrungen mit Herzensprojekten gemacht haben, die sich ewig hinzogen, um dann mit mehr oder weniger Erfolg doch noch realisiert zu werden. So konnte der englische Regisseur in Cannes endlich seinen von haarsträubendem Pech verfolgten Don-Quijote-Film vorstellen und Berlioz wartete einst jahrelang vergebens auf eine Aufführung seiner „Trojaner“ in Paris und hat sein Hauptwerk dann auch nie vollständig auf der Bühne erleben können.

Auch in ihrer überbordenden, das Bizarre nicht scheuenden Fantasie könnte man Gilliam und Berlioz als Geistesverwandte betrachten, und so war es durchaus stimmig, dass Gilliam die Regie von Berlioz’ Geniestreich „Benvenuto Cellini“ übernahm. Die 2014 an der English National Opera herausgekommene Produktion wanderte ein Jahr später nach Amsterdam, wo sie erfreulicherweise filmisch dokumentiert wurde. Das an Piranesis Architekturfantasien angelehnte Bühnenbild lässt Gilliam mit viel Drive, Witz und musikalischem Gespür bespielen, die Besetzung ist, angeführt vom furchtlosen John Osborn in der anspruchsvollen Titelpartie, ausgezeichnet. Umsichtig führt Mark Elder das nicht brillante, aber kernig zupackende Philharmonische Orchester Rotterdam durch Berlioz’ Farbenzauber. (Naxos)

Als weniger unterhaltsam erweist sich der Mitschnitt der Bregenzer Produktion von Rossinis „Mosè in Egitto“. Lotte de Beer findet keinen rechten Zugriff zur biblischen Statuarik der Vorlage, das per Filmprojektion eingeblendete Puppentheaterspiel von „Hotel Modern“ bleibt darin Fremdkörper. Die musikalischen Qualitäten der Partitur sind indes beim Ensemble und den Wiener Symphonikern unter Enrique Mazzola in guten Händen. (C Major)

Eine intelligente Verzahnung von Historismus und Gegenwartsbezug ist hingegen Jossi Wieler und Sergio Morabito mit Niccolò Jommellis „Il Vologeso“ gelungen. Das einst für den Hof in Ludwigsburg entstandene Werk erweist sich in der idiomatischen Besetzung der Stuttgarter Oper (unter anderem mit Ana Durlovski) als der Ausgrabung würdig, was vor allem auch an der ingeniösen Orchestereinrichtung des musikwissenschaftlich wie theaterpraktisch erfahrenen Dirigenten Gabrielle Ferro liegt. Durch die Aufspaltung in drei Streichergruppen im Stile eines Concerto grosso erreicht er eine abwechslungsreiche orchestrale Feinzeichnung, die dem dann doch recht langen Stück gut tut. (Naxos)

Seine Längen hat natürlich auch Georg Friedrich Händels „Arminio“, aber Liebhaber des virtuosen Barockgesangs kommen dafür in dieser Produktion der Händel Festspiele und des Badischen Staatstheaters Karlsruhe voll auf ihre Kosten. Angeführt vom brillanten Max Emanuel Cencic, der auch intelligent und stilsicher Regie führt, glänzt das Ensemble fast ausnahmslos. Das Orchester Armonia Atenea unter George Petrou treibt das Geschehen pulsierend voran. (C Major)

Zwei weitere Neuerscheinungen auf DVD beziehungsweise Blu-ray sind zwei Vokalgigantinnen des 20. Jahrhunderts gewidmet. Während man im Kino derzeit noch Tom Volfs Dokumentation „Maria by Callas“ erleben kann (siehe nmz 5/18), konzentriert sich Holger Preusse in „Maria Callas. Magic Moments of Music – Tosca 1964“ auf einen historischen Moment in ihrer Karriere, ihr Londoner Tosca-Comeback von 1964. Die Dokumentation selbst hat mit Antonio Pappano und Jürgen Kesting und anderen kenntnisreiche Kommentatoren zu bieten, das Herzstück ist aber natürlich der Mitschnitt des 2. Aktes selbst (nur dieser ist überliefert). Zunächst zieht der Routinier und Meis­ter der hochgezogenen Augenbraue Tito Gobbi als stimmlich wie darstellerisch respektheischender Scarpia die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Mehr und mehr fokussieren sich Franco Zeffirellis Regie und die Kameraführung aber auf die Callas, die sich mit beispielloser Intensität in diesen kontrollierten Ausnahmezustand begibt. (C Major)

Längere Ausschnitte von Auftritten sind zum Glück auch in dem Porträtfilm „Birgit Nilsson – A League Of Her Own“ enthalten, der pünktlich zum 100. Geburtstag der Sängerin erschienen ist. Sie und die anekdotenreichen Interview­momente mit der humorvollen Hochdramatischen geben dem ansonsten etwas braven Gang durch eine unvergleichliche Karriere die nötige Würze. Thomas Voigt und Wolfgang Wunderlich haben das Film- und Bildmaterial mit viel Sorgfalt montiert und viele prominente Weggefährten befragt. Dass mit Rutbert Reisch der Präsident der mitproduzierenden Birgit Nilsson Foundation ausführlich zu Wort kommt, ist inhaltlich durchaus gerechtfertigt. Der Fokus verschiebt sich dadurch und durch die ausführliche Würdigung des von der Stiftung vergebenen Preises aber doch ein Stück weit in eine staatstragende Richtung, die so gar nicht zu der bodenständigen Künstlerin passt. (C Major)

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