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Mit Politik garnierte Familiensaga

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Alfred Hrdlickas und Christine Mielitz’ „Ring des Nibelungen“ in Meiningen
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Einmal, ein einziges Mal, soll es das schon gegeben haben: 1876, bei der Uraufführung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Seitdem hat kein Theater der Welt mehr gewagt, die vier Werke der Tetralogie an vier aufeinander folgenden Abenden herauszubringen – bis jetzt, bis zur „Ring“-Produktion des Meininger Theaters, das keineswegs zu den großen und besonders potenten Häusern zählt: es hat einen recht überschaubaren Jahresetat von etwa 30 Millionen Mark und ist in einer Kleinstadt mit knapp 25.000 Einwohnern angesiedelt.

Einmal, ein einziges Mal, soll es das schon gegeben haben: 1876, bei der Uraufführung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Seitdem hat kein Theater der Welt mehr gewagt, die vier Werke der Tetralogie an vier aufeinander folgenden Abenden herauszubringen – bis jetzt, bis zur „Ring“-Produktion des Meininger Theaters, das keineswegs zu den großen und besonders potenten Häusern zählt: es hat einen recht überschaubaren Jahresetat von etwa 30 Millionen Mark und ist in einer Kleinstadt mit knapp 25.000 Einwohnern angesiedelt.Christine Mielitz, Regisseurin und Intendantin in Meiningen seit 1988, hat sich den Riesenkraftakt vorgenommen und mehr als zwei Jahre lang geprobt; das war auch nötig, denn für nahezu alle Sänger war dies die erste Begegnung mit dem „Ring“, auch für Kirill Petrenko, den Dirigenten und musikalischen Chef in Meiningen. Er hat es gleich mit zwei Orchestern zu tun, mit dem aus Meiningen und mit der benachbarten Thüringischen Philharmo- nie aus Gotha-Suhl; denn für ein Orchester allein, ganz besonders für die viel beschäftigten Bläser, wäre ein „Ring“ ohne Pause einfach nicht zu schaffen. Petrenko hat seit dem Beginn der „Ring“-Arbeit im Januar 1999 die unglaubliche Zahl von 150 Proben in die Orchesterarbeit investiert, und die haben sich hörbar gelohnt. Natürlich sind die beiden Orchester nicht die Berliner Philharmoniker, natürlich muss man musikalisch gewisse Abstriche machen – aber diese Abstriche sind erstaunlich geringfügig. Die Musiker spielten weit oberhalb ihrer Leistungsgrenzen, vor allem die Bläser wären mühelos auch in anderen Orchestergräben vorstellbar, das hatte rein gar nichts von einem wackligen Provinzorchester. Überhaupt scheint dieser „Ring“ Adrenalinstöße ungeahnter Größenordnung auszulösen. In Meiningen wurde eine reduzierte Orchesterfassung für etwa 65 Musiker gespielt, mehr passen einfach nicht in den Orchestergraben; doch was sich wie ein Mangel anhört, erwies sich als Tugend: Petrenko musizierte mit forschen Tempi, mit großer Klangsinnlichkeit und vor allem wunderbar kammermusikalisch, und das bedeutet: er überdeckte die Sänger nie, er ließ ihnen Raum, auch für sonst kaum mögliche Piani.

Es ist immer ein wenig unfair, aus einem weitgehend ausgeglichenen Ensemble einzelne Namen herauszugreifen; aber Jürgen Müller als himmelstürmender Jung-Siegfried, Franz Hawlata als absolut souveräner Wotan und die beiden wunderbaren Brünnhilden Ursula Prem und Anne Gasteen waren dann doch noch einmal eine Klasse für sich.

Wagners Tetralogie bedeutet für jedes Theater eine Anstrengung bis zum Äußersten, die Produktion in Meiningen aber ist noch einmal eine eigene Kategorie. Christine Mielitz hatte sich mit dem österreichischen Maler, Bildhauer und Querdenker Alfred Hrdlicka einen besonders prominenten Bühnenbildner gesucht, und sie war keineswegs immer mit ihm einer Meinung – überraschenderweise sehr zum Nutzen dieser höchst lebendigen, vielseitigen Produktion. Hrdlickas Bühnenbild betonte nämlich den politischen Aspekt der Tetralogie, Christine Mielitz stellte dagegen die persönlichen Tragödien der göttlichen Familiengeschichte in den Mittelpunkt. Der Göttersitz Walhall zum Beispiel ist ein Zwischending aus Burgruine und den Revolutionsbarrikaden von 1848; die Rheintöchter treten zunächst gar nicht in menschlicher Form in Erscheinung, sondern ausschließlich als Objekt männlicher Begierde: als Puppen, die selber aus purem Gold und außerdem mit einer Unzahl von Busen, Schenkeln und Pos ausgestattet sind: Symbole für Geld und gleichzeitig Symbole für Liebe. Die beiden Riesen Fasolt und Fafner sind zum einen mit etwa 5,50 Metern Skulpturgröße endlich einmal wirklich riesenhaft, zum anderen tragen sie die Züge Ludwig II. und Wagners. Nach eigenem Bekunden mag Hrdlicka Wagner überhaupt nicht – aber immer noch mehr als einen König, deshalb darf Fafner-Wagner Fasolt-Ludwig umbringen und eine Zeit lang in Drachengestalt den Nibelungenhort bewachen. Politische Anspielungen dieser Art gab es zuhauf, vergnüglich anzusehen sind sie allemal.

Das ist alles sehr schlüssig, sehr nachvollziehbar; und weil es so geschickt umgesetzt ist, auch sehr kurzweilig – da war an größeren und höher dotierten Häusern nun wirklich schon Ermüdenderes und weniger Schlüssiges zu sehen. Und zu diesen größeren Häusern zählt auch ausdrücklich das nahe gelegene Festspielhaus in Bayreuth. Im Lauf der vier Abende verstärkte sich allerdings auch eine Tendenz, die von Anfang an zu beobachten war: Die Inszenierun- gen wurden immer sparsamer, die Bühne immer requisitenloser, die Kostüme immer heutiger. Die dadurch angestrebte Verdichtung und Aktualisierung erreichte Frau Mielitz nicht immer.

Aber auch, wo sie an ihren selbstgesteckten Zielen scheiterte, tat Christine Mielitz das, was die Personenführung angeht, auf hohem handwerklichen Niveau. Selbst im Scheitern ist dieser „Ring“ großes Musiktheater. Wenn das Opernprovinz sein sollte, dann bitte mehr davon.
Weitere „Ring“-Zyklen: 3.–6.5.; 1.–4.6.; 5.–8.7. Karten: Tel. 03693/45 12 22 und 45 11 37.

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