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Moden und Trends, Skurriles und Wegweisendes

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Die bemerkenswerten Wiederveröffentlichungen des Münchner Labels „Jazz Music Today“ (JMT)
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In den 1980ern verflüchtigten sich einige Jazztrends. Junge Musiker hoben die losen Stränge des Bebop, der JazzRockFusion, des urbanen Blues und der europäischen Neuen Musik auf, um daraus eigene Konzepte zu knüpfen. Einige von ihnen hatte Stefan Winter, als er Volontär beim Münchner Label Enja war, kennengelernt: „Drei Personen waren für meine Interessen wesentlich: die Altsaxophonisten Steve Coleman und Tim Berne und der Schlagzeuger Paul Motian, die alle moderne Handschriften des Bebop entwickelt haben.“ Aus diesen Kontakten entstand das Projekt, „Jazz Music Today“ (JMT). Weil JMT sich als Unterlabel von Enja nicht behaupten konnte, beschloß Stefan Winter, sich selbständig zu machen. Von 1985 bis 1995 konnte er 81 JMT-Produktionen herausbringen, die bei Polygram (USA) vertrieben wurden. Die JMT-Rechte musste Stefan Winter zunächst abtreten, konnte sie aber zurückkaufen. Bis September 2005 wird der komplette Katalog digitally remastered und wiederveröffentlicht.

In den 1980ern verflüchtigten sich einige Jazztrends. Junge Musiker hoben die losen Stränge des Bebop, der JazzRockFusion, des urbanen Blues und der europäischen Neuen Musik auf, um daraus eigene Konzepte zu knüpfen. Einige von ihnen hatte Stefan Winter, als er Volontär beim Münchner Label Enja war, kennengelernt: „Drei Personen waren für meine Interessen wesentlich: die Altsaxophonisten Steve Coleman und Tim Berne und der Schlagzeuger Paul Motian, die alle moderne Handschriften des Bebop entwickelt haben.“ Aus diesen Kontakten entstand das Projekt, „Jazz Music Today“ (JMT). Weil JMT sich als Unterlabel von Enja nicht behaupten konnte, beschloß Stefan Winter, sich selbständig zu machen. Von 1985 bis 1995 konnte er 81 JMT-Produktionen herausbringen, die bei Polygram (USA) vertrieben wurden. Die JMT-Rechte musste Stefan Winter zunächst abtreten, konnte sie aber zurückkaufen. Bis September 2005 wird der komplette Katalog digitally remastered und wiederveröffentlicht. Bisher sind 18 CDs der JMT-Serie erschienen, und offenbar hatte Stefan Winter eine Spürnase für kreative Musiker in der New Yorker Szene. Cassandra Wilson zum Beispiel begann hier ihre Karriere zum glänzenden Star am Jazz-Vokalhimmel. Ihr Repertoire strebte zum Blues und Rock, und Jazzstandards wie die wilde Version „Let’s face The Music“ (12) von Irving Berlin befestigten ihren Ruf als vielseitige, stilsichere Sängerin.

Die Besetzung ihrer Band spiegelt eine gewisse Kontinuität der Labelpolitik. Das stabile Bass/Drums-Gespann Lonnie Plaxico und Mark Johnson gehörte auch zu „Steve Coleman & 5 Elements“, umgekehrt war Cassandra Wilson öfter Gast in dieser Band. Gerade die Alben von Steve Coleman verweisen auf die damalige Umbruchstimmung, denn „Motherland Pulse“ (01) schwankt zwischen sehr unruhigem Hardbop und Jazzrock mit raffinierten Kicks. Die Stücke sind in sich solide, ja durchaus extravagant wie die weiten Vokalintervalle in „No Good Time Fairies“. Die Energie zu Neuem hat dann bei „On The Edge Of Tomorrow“ (05) und „World Expansion“ (10) nachgelassen.

Zwar gibt es auch hier treibende funky beats, doch manche Soli wirken eher nebenbei. Bis auf den supervirtuosen Basstrip in „And They Partied“. Steve Coleman schielte zu sehr auf den Erfolgssound von Herbie Hancock.

Noch nicht prominent war Gitarrist Bill Frisell, aber er hatte bereits originelle Sounds für Stefan Winters „The Little Trumpet“ (07), ein swingendes Jazzepos und Hörspiel für ein Oktett unter anderem mit Posaunist Robin Eubanks. Frisell gehört heute zur Elite, ebenso wie Drummerin Terry Lyne Carrington, die 1988 für Saxophonist Greg Osby „And Sound Theatre“ (11) trommelte. Abstrakter Freebop à la Braxton und ein harmloser Flirt mit japanischer (Koto-) Musik und Poesie schweiften ziellos zum World Jazz. Grob war der „Jungle Cowboy“ (09), der gern in Latin-Jazz-Rock-Gefilden stöberte. Doch Gitarrist Jean-Paul Bourelly wird den Schatten Jimi Hendrix nicht los.

Mehr Selbstbewusstsein hatte Tubaspieler Bob Stewart mit seiner „ First Line“ (14). Harter, erdiger Rockbeat und darüber eine klare Basslinie treiben die Ereignisse voran. Multiphonics und andere Effekte mildern die Tubawucht. Peppig und schräg sind die Arrangements, so dass Traditionals und Blues, Marsch und Hardbop ihre jeweils dunkle Klangschminke bekommen.

Zornig und scharfsinnig war (und ist) Posaunist Craig Harris. Seine Botschaft war klar „Shelter“ (08), das heißt Obdach für alle Unterdrückten: „Africans Unite“ hat fast Popqualitäten, so schön ist die Melodie. Doch Craig Harris machte nur bedingt Zugeständnisse, denn er rebellierte gegen Konventionen. Ob an der Posaune oder am Didgeridoo, seine Wut entlud sich in polyphonen, leidenschaftlichen Kompositionen, er probierte wie Charles Mingus den aufrechten Gang im Jazz, dafür waren ihm auch komplexe Motivketten oder ElektroJazz als „Blackout In The Square Root Of Soul“ (15) recht.

Wenn er nicht gerade über Öl-geglättete Hardbop Riffs improvisierte, schnatterte Herb Robertson gern auf Kornett und Pocket-Trompete. Wirkliche „Transparency“ (02) erreichte er zumindest auf dem ersten JMT-Album nicht, doch die „X-Cerpts“/Live at Willisau (13) bieten beredte Duos mit Saxophonist Tim Berne und exzellente Soli von Gust Williams Tsilis am Vibraphon. In manchen Momenten löst sich die Band von einem kantigen Thema und begibt sich zu einem Freejazz-Gelage. Herb Robertson mag schrille Farben, kann sie aber nicht immer zu einem Gemälde verbinden.

„Black Pastels“ (16) sind für Cellist Hank Roberts allerdings die richtigen Farben für seine Musik, die Jazz und europäische Avantgarde einhegt. Das Titelstück könnte ein dämonischer Tanz in einem Horrorfilm sein. Gruselig ist auch „Lucky’s Lament“ mit seinen höllischen Geräuschen. Dazwischen hellt es sich bei duftigen Brazil-sounds und lyrischen Impressionen auf. Bill Frisell, Robin Eubanks und Tim Bearne haben die Paletten gehalten.

Futuristisch sind die „Acute Insights“ (17) von Posaunist Peter Herborn. Er bewegt sich als Komponist sehr nahe an der Neuen Musik. Raimund Hüttner hat prägnante Sound- Samplings erfunden und Kenny Wheeler schnuppert mit seiner Trompete misstrauisch in diesem kühlen Ambiente. „Free, Forward & Ahead“ ist das Motto, und Peter Herborn bleibt trotz Temposchwenks und glitzernden Computerdekos auf klarem Kurs.

Zwei Duos fügen sich in gar kein Schema. Denn was Sängerin Jay Clayton und Drummer Jerry Granelli als „Sound Songs“/Klanglieder (06) entwickeln, sind sehr intensive Dialoge. Wie auch bei Saxophonistin Jane Ira Bloom, die mit dem Pianisten Fred Hersch über jeweils eigene Themen sinniert. Sei es als einfacher „Child’s song“ oder als elegante Interpretation von Wayne Shorter’s „Miyako“.

Manche Aufnahmen aus dem JMT-Fundus blieben modische Erscheinungen, manche skurril, manche deuten auf Trends, die sich später zur Reife entfalteten. Auf jeden Fall dokumentiert die JMT-Serie bemerkenswerte Strömungen des zeitgenössischen Jazz.

Diskografie
Alle CDs sind bei Winter & Winter/ edel contraire zu beziehen.
Die Zahlen in ( ) beziehen sich auf die Alben in fortlaufender Nummerierung der JMT-Serie.

  • Steve Coleman Group: Motherland Pulse
    JMT 919 001-2
  • Herb Robertson: Transparency
    JMT 919 002-2
  • Jane Ira Bloom & Fred Hersch: As One
    JMT 919 003-2
  • Cassandra Wilson: Point of View
    JMT 919 004-2
  • Steve Coleman & 5 Elements: On The Edge Of Tomorrow
    JMT 919 005-2
  • Jay Clayton/Jerry Granelli: Sound Songs
    JMT 919 006-2
  • Stefan F. Winter: The Little Trumpet
    JMT 919 007-2
  • Craig Harris and Tailgaters Tales: Shelter
    JMT 919 008-2
  • Jean-Paul Bourelly: Jungle Cowboy
    JMT 919 009-2
  • Steve Coleman & Five Elements: World Expansion
    JMT 919 010-2
  • Greg Osby: And Sound Theatre
    JMT 919 011-2
  • Cassandra Wilson: Days Aweigh
    JMT 919 012-2
  • Herb Robertson Quintet: „X-Cerpts“-Live at Willisau
    JMT 919 013-2
  • Bob Stewart: First Line
    JMT 919 014-2
  • Craig Harris and Tailgaters Tales: Blackout In The Square Of Soul
    JMT 919 015-2
  • Hank Roberts: Black Pastels
    JMT 919 016-2
  • Peter Herborn’s: Acute Insights
    JMT 919 017-2
  • Cassandra Wilson: Blue Skies
    JMT 919 018

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