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Ukrainische Studierende an der Hochschule für Musik und Theater München. Foto: HMTM
Ukrainische Studierende an der Hochschule für Musik und Theater München. Foto: HMTM
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Musikalische Förderung von ukrainischen Flüchtlingen

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Initiativen zur Integration: Wie steht es um die Nachhaltigkeit?
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Es sind mittlerweile sieben Monate seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vergangen. In den ersten Monaten, als der größte Flüchtlingsstrom der neueren europäischen Geschichte zu verzeichnen war, hat man sich um eine schnelle Integration der ukrainischen Flüchtenden mittels Sprachvermittlung, kultureller Förderangebote und einem verhältnismäßig raschen Zugang zum Arbeitsmarkt bemüht. Gerade in der musikalischen Bildung haben verschiedene Institutionen, darunter die Bundesländer wie auch die städtischen Musikschulen schnell ein breites Angebot aufgestellt – man ging von einer unvermeidlichen Niederlage der Ukraine aus und sah in allen Bereichen der Daseinsvorsorge Handlungsbedarf. Doch hat sich infolge der erfolgreichen Wehrhaftigkeit des Landes eine Bewegung der rückkehrenden Familien gebildet. Wird dies Konsequenzen auf die Förderung jener haben, die bleiben (möchten)? Wie sind die musikalischen Institutionen in Deutschland aufgestellt und was planen diese für die Zukunft der Jugendlichen?

Was vergleichsweise unbürokratisch zu lösen war, wurde auch schnell in die Wege geleitet: Städtische Musikschulen haben landesweit kostenlose Lehrstunden ermöglicht, Fehlende Instrumente sind zu günstigen Konditionen verliehen worden. Auch Musikhochschulen haben enorme Bemühungen unternommen, Studierenden die reibungslose Wiederaufnahme ihres Studiums zu ermöglichen. So der Fall an der Hochschule für Musik und Theater München, in der 50 Geflüchtete (28 Studierende Musik, 10 Schauspiel, 12 Tanz) über ein Gaststudium kurzfristig aufgenommen werden konnten. „Das sei nur aufgrund des privaten Engagements möglich: Lehrkräfte die zusätzlich zu ihren bestehenden Verpflichtungen Unterricht gäben, Privatvermittlung von Wohnraum durch Hochschulmitglieder und Einwerbung von Spenden“, sagt Prof. Dr. Bernd Redmann, Präsident der HMTM. In gleicher Weise wurden an drei Musikgymnasien des Landes (Berlin, Dresden, Weimar) ukrainische Schülerinnen und Schüler schnell aufgenommen. Schließlich gibt es auch Ermäßigung im Bereich Konzert, beispielsweise in der Elbphilharmonie der Fall, in der Ukrainische Bürgerinnen und Bürger bei Vorlage des Passes eine Karte zum Fixpreis von 10 Euro erhalten.

Auch privat gibt es Bestrebungen: Das Young Ukrainian Symphony Orchestra, selbst nicht staatlich gefördert, kann seine Existenz durch dauerhafte Konzertengagements in Deutschland und Europa sichern. Ein besonders umfangreiches Förderprogramm, das es in diesem Ausmaß in Deutschland nicht gibt, hat die Schweizer Pianistin Simone Keller unter dem Namen SYM – Save Young Musicians – ins Leben gerufen. Entstanden ist die Idee durch das Hilfeersuchen eines 13-jährigen afghanischen Pianisten über Facebook, der nach der Machtübernahme der Taliban floh und in Deutschland oder der Schweiz Klavier studieren wollte. Keller kümmerte sich darum, organisierte eine Gastfamilie und warb um Spenden für die finanziellen Aufwendungen des Geflüchteten. Mittlerweile ist daraus ein durch Spenden wie durch Patinnen und Paten getragener gemeinnütziger Verein hervorgegangen, der „die Unterstützung musikbegabter Jugendlicher aus Krisengebieten bezweckt“; in diesem Jahr hat der Vereinsvorstand die Förderung eines zwölfjährigen Cellisten und Jungkomponisten aus Charkiw beschlossen. Auch für ihn konnte die Unterbringung wie auch der Musikunterricht für die nächsten zwei Jahre gesichert werden.  Da die Förderung sehr kostspielig ist (SYM beziffert allein die Versorgungskosten eines „Vollstipendiaten“ auf jährlich 24.000 Franken), ist der Verein neben seinen Gönnerinnen und Gönnern viel von privatem Engagement der unentgeltlich unterrichtenden Musiklehrer wie auch der Gastfamilien abhängig.

Das Problem aller oben genannten Bestrebungen liegt darin, dass sie nur sehr wenigen musikalischen Eliten zugutekommt. Angesichts der bis zu 400.000 ukrainischen Schüler, die die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, bereits im April für das kommende Schuljahr prognostiziert hat, müsse man sich die Frage stellen, was für die musikalische Breitenbildung getan würde. Innerhalb der schulischen Ausbildung liegt der Fokus oftmals auf „Musik als Mittel zur Vermittlung von Sprache“ und nicht auf „Musik als ästhetisch-sinnliche Erfahrung“. Alles was das Musizieren um seiner selbst betrifft, wird bestenfalls in Projekten untergebracht.

Diesen gehen allerdings einige Fragen voraus, darunter die Nachhaltigkeit: Während in den ersten Monaten des Krieges viele Förderprogramme bereitgestellt worden sind, laufen die Beantragungsfristen aus oder sind es bereits, zuletzt ein auf den 5. August terminierter Förderetat des Landesmusikrat NRW, der gezielt an Musiker im Amateurbereich gerichtet ist. Wie der Erfolg zu bewerten ist, blieb von Seiten der zuständigen Kulturreferentin bisher offen und wird noch zu beantworten sein. Generell ist zu hinterfragen, wie sinnvoll in kurzen Perioden gedachte Projekte für die langfristige Bildung sind. Natürlich müssen die politischen Institutionen ihre Haushalte planen und können kein Geld für Jahrzehnte freigeben, allerdings den Abschluss einer sechs Monate zuvor bewilligten Projektförderung auf den 31. Dezember 2022 zu terminieren und dies „nachhaltig“ zu nennen, scheint etwas absurd. 

Abschließend lassen die ganzen Förderprogramme die Frage stehen, welche Projekte konkret gefördert werden. Das Land Niedersachsen beispielsweise investiert 900.000 Euro gezielt in Angebote für ukrainische Kinder, doch was konnte damit bisher erreicht werden?  Auch hier blieb eine Anfrage nach etwaigen Ergebnissen unbeantwortet.

Die Gesamtdarstellung der Lage wird durch diese Beispiele nur lückenhaft beleuchtet. Gerade darin liegt auch das Problem, da jedes Bundesland, jede Stadt und vermutlich jede Schule nur im Rahmen der eigenen Möglichkeiten agiert und viel dabei von individuellen wie privaten Initiativen abhängt. Einen Masterplan gibt es nicht. Daher sollten die Vereinheitlichung grundlegender Förderprogramme im Bereich Musik und der Eingang in den regulären Lehrplan in naher Zukunft oberste bildungspolitische Maxime werden.

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