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Katharina von Radowitz und Alexander von Nell. Foto: Maren Strehlau
Katharina von Radowitz und Alexander von Nell. Foto: Maren Strehlau
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Musikvermittlung als professionelle Haltung

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Katharina von Radowitz und Alexander von Nell, die Geschäftsführung des Netzwerk Junge Ohren, im nmz-Gespräch
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Im Oktober 2019 übernahmen Katharina von Radowitz und Alexander von Nell die gemeinsame Geschäftsführung des Netzwerk Junge Ohren. Juan Martin Koch hat mit beiden über die Arbeit des Netzwerks und die Musikvermittlungs­szene gesprochen.

neue musikzeitung: Seit gut einem Jahr bilden Sie nun die Doppelspitze des Netzwerk Junge Ohren (NJO). Wie muss man sich die Aufgabenverteilung zwischen Ihnen vorstellen?

Katharina von Radowitz: Ich würde nicht die Aufgabenverteilung ins Zentrum stellen, sondern die Teamfindung: Wir sind ja sechs Kolleg*innen und da ging es in diesem Jahr darum, wie wir das Netzwerk gemeinsam weiterentwickeln wollen. An der Doppelspitze ist besonders reizvoll, dass ich quasi die Dinosaurierin bin, weil ich seit Gründung des NJO in verschiedenen Positionen dabei bin. Alexander dagegen ist noch nicht so lange dabei und hat ein Stück weit eine Außenperspektive.

Alexander von Nell: Ursprüng­lich komme ich aus der Künstler*in­nenvermittlung im Opernbereich. Über die Arbeit in der Administration von Ensembles und für die österreichische und kanadische Auslands-Kulturpolitik bin ich immer näher an die Themen des NJO herangerückt, vor allem was die Frage nach der Rolle der Kultur in der Gesellschaft angeht. Gerade in Kanada spielt das Bewusstsein für „diversity“ und „inclusion“ sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kulturvermittlung eine zentrale Rolle, so war der Übergang ins Netzwerk quasi natürlich.

nmz: Sie haben sich kürzlich ein neues Leitbild gegeben. Was ist daran neu und was bedeutet das für die Ausrichtung des Netzwerks in den kommenden Jahren? Das Wort Musikvermittlung kommt ja nicht darin vor…

Nell: Wir verstehen Musikvermittlung nicht als klar abgegrenzten Ausbildungsberuf oder Handlungsfeld, sondern als professionelle Haltung. Deshalb betrifft sie das ganze Musikleben. Das drückt aus, was das NJO schon in den vergangenen Jahren geprägt hat. Aber dies als Selbstversicherung und nach außen noch einmal klar zu formulieren, war uns wichtig.

Radowitz: Es ist bis heute so, dass Musikvermittlung in der Außenwahrnehmung auf Projekte für Kinder und Jugendliche verkürzt wird. Das ist einfach wunderbar griffig und meistens auch „was fürs Herz“ – ein Fest für die Medien also. Aus unserer Sicht wird damit aber viel Potenzial verschenkt. Wenn man Musikvermittlung als Haltung für professionelles Handeln im Musikbetrieb begreift, geht es schnell an existenzielle Zukunftsthemen der Klassik. Hier hat die Musikvermittlung viel zu bieten und was könnte spannender sein?

Nell: Entscheidend ist dabei folgende Frage: Wollen wir einfach nur die Zuhörerschaft erhalten, die wir ohnehin schon haben und die der Konzertbetrieb seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat, nämlich das bürgerliche, akademische Publikum, und dafür sorgen, dass es weiterhin ins Konzert kommt – es gibt viele Zeichen dafür, dass allein das schon nicht mehr so einfach geht –, oder wollen wir den Blick nicht eher auf ein viel breiteres Spektrum der Gesellschaft lenken?

nmz: Wie spiegelt sich diese Sichtweise in den Projekten des NJO?

Radowitz: Beginnen wir vielleicht mit „Klangradar“. Als Schulprojekt richtet es sich an eine ganz klassische Zielgruppe, hat aber überdies eine sozialräumliche Dimension. Der Auswahl der Schulen geht eine Analyse voraus: In welchen Stadtteilen befinden sich diese? Wie ist die Bevölkerung dort zusammengesetzt? Das Projekt findet außerdem nicht nur isoliert im Unterricht mit den Kindern und Jugendlichen statt, sondern wird flankiert durch musikalische Elternabende, bei denen das Verständnis für künstlerisch-experimentelles Arbeiten mit Klängen weitervermittelt wird. Und letztlich wirkt „Klangradar“ auch auf die beteiligten Komponist*innen, die den Schüler*innen auf Augenhöhe begegnen und dabei ihre Rolle(n) neu entdecken.

Nell: Ein anderes Projekt, das wir betreuen, „Wie mir der Schnabel gewachsen ist…“, bringt das Thema Kulturvermittlung in ländliche Räume. Da ist unter anderem eine Bürger*innenbühne involviert und ein Pop-up-Musiktheaterformat das unvorbereitet im Öffentlichen Raum erlebt werden kann. Hier geht es also ganz explizit auch um Erwachsene.

Radowitz: Der Anspruch, den wir damit signalisieren, ändert auch wieder unsere eigene Haltung und die Zielgruppe, die wir ansprechen. Im Grunde stellen wir die These auf, dass jeder, der im Musikbetrieb tätig ist – ob freischaffende Künstler*innen oder angestellte Kulturschaffende – in Anteilen Musikvermittlung gestaltet. Wenn wir Beratung machen, was zunehmend der Fall ist, dann sind es zunächst oft die Vermittler*innen in den Education-Abteilungen, die Unterstützung bei der Neukonzeption ihrer Arbeit suchen. Aber es geht dabei auch um die Intendant*innen, die sich auf ihrer Ebene Beratung wünschen, weil sich die Institution neu aufstellt. Das Spektrum derer, die den Kontakt und den Austausch mit uns suchen, erweitert sich. Wir warten übrigens nicht nur, bis die Leute bei uns anklopfen, sondern handeln nach dem Prinzip der „aufsuchenden Arbeit“. Wenn wir denken, eine Initiative, eine Person oder Institution könnte dem Netzwerk und auch seinen Teilnehmenden gute Impulse geben, nehmen wir Kontakt auf. Daher  kommen immer wieder neue Perspektiven für unsere Arbeit, zum Beispiel in den regionalen Arbeitskreisen. Unser Ziel ist es insgesamt, ein echtes Miteinander der Akteur*innen auf Augenhöhe herzustellen im Sinne der Sache: nämlich Gesellschaft und Musik aneinanderzubringen.

Nell: Um noch einmal zu den Projekten zurückzukommen: Die Finanzierung des NJO ist ganz wesentlich vom Projektgeschäft abhängig. Aber wir haben nicht mehr die eine bestimmte Zielgruppe im Blick, die dann Veranstaltungen von uns empfängt. Wir sind längst viel breiter aufgestellt, ganz Besonders im Fall von „Kultur öffnet Welten“ wo die Kulturbranche als Ganzes in den Blick genommen wird und  es um die breite Vernetzung und den Wissenstransfer im Bereich Diversität und Teilhabe geht.

nmz: Im Mai wurden die Ergebnisse Ihrer Umfrage zu den Arbeitsbedingungen in der Musikvermittlung veröffentlicht. Was war die Haupterkenntnis für Sie und welche Schlüsse ziehen Sie daraus für Ihre Arbeit?

Nell: Die Haupterkenntnis, dass die Akteur*innen in unserem Bereich jung, weiblich und meist prekär bezahlt sind, kam nicht überraschend, denn diese Schieflage betrifft die gesamte Kulturwirtschaft. Der Deutsche Kulturrat hatte parallel große Studien unter anderem zur Geschlechtergerechtigkeit (oder besser -ungerechtigkeit) im Kulturbetrieb herausgegeben, das spiegelt sich eins zu eins in unserem Bereich.

Radowitz: Haarsträubend ist die Tatsache, dass trotz des extrem hohen Anteils weiblicher Beschäftigter, in den höheren Gehaltsklassen und Leitungsebenen des Bereichs dann doch wieder überwiegend männliche Beschäftigte anzutreffen sind. Da fragt man sich dann schon: Wo kommen die her? Eine Erklärung mag sein, dass es in dem hybriden Arbeitsfeld Musikvermittlung viele Quereinsteiger*innen gibt, die sich dann gezielt auf Leitungspositionen bewerben, bei denen auch andere Qualifikationen gefragt sind als die, die im Rahmen von Musikvermittlungsstudiengängen oder -weiterbildungen erworben werden können.

Nell: Ein positives Ergebnis möchte ich aber unbedingt ansprechen: Die Akteur*innen sind enorm motiviert und bereit, in diesem Bereich sehr viel mehr zu tun, als in ihren Verträgen steht. Die Aussage „Ich möchte bis zum Ende meines Berufslebens in diesem Bereich tätig sein“ ist mit hohen Zustimmungswerten versehen.

Radowitz: Das ist als eine Art Kompensation zu verstehen. Die unterdurchschnittlichen Arbeitsbedingungen werden quasi verrechnet mit dem großen Gestaltungsfreiraum und der besonderen Resonanz, die man mit seiner Arbeit erzielt.

nmz: In der Studie steht folgender schöner Satz: „Obschon die bildstarke Darstellung der vielfältigen Vermittlungsangebote in der Außen- und Fördererkommunikation der Institutionen gerne erheblichen Raum einnimmt, zeigt sich das Gebiet Musikvermittlung in aller Regel in den organisatorischen Strukturen nur begrenzt handlungs- und entscheidungsfähig.“ Wie können Sie als Netzwerk da gegensteuern?

Nell: Das ist das, was Katharina mit der aufsuchenden Arbeit gemeint hat: die Beratungen, die wir an Institutionen durchführen, damit dort die Vermittlungsarbeit nicht nur in der Hochglanzbroschüre erscheint, sondern in der Haltung verankert wird.

Radowitz: Dazu gehört auch, das manchmal eher zufällig gewachsene Angebot zu sortieren und zu entscheiden, wovon man sich gegebenenfalls verabschieden muss, wenn weder die Qualität vor die Hunde gehen, noch die Mitarbeitenden aus Überlastung kündigen sollen. Im besten Fall kommt diese Entscheidung in einem gemeinsamen Prozess mit Education-Abteilung, Intendanz und Marketing zustande.

nmz: Wie ist es den Musikver­mittler*­innen in den vergangenen Monaten ergangen, wie ist Ihr Eindruck?

Radowitz: Wir sind mit den regionalen Arbeitskreisen sehr schnell auf virtuelle Treffen umgestiegen, um Kontakt zu halten und den Austausch untereinander zu ermöglichen. Im ersten Lockdown spürte man viel Erschütterung und Unsicherheit, aber auch den Willen: Jetzt erst recht, wir probieren Digitales aus, lassen andere daran teilhaben. Ich befürchte allerdings, dass wir von denjenigen, denen es richtig schlecht geht, gar nichts hören. Wo wir natürlich reagieren können, ist in dem Fall, wo sich ein Einzelmitglied meldet, das den Jahresbeitrag nicht zahlen kann. Da finden wir unbürokratische Lösungen, um unser Netzwerk zusammenzuhalten.

nmz: Die Pandemie hat die mediale Musikvermittlung stark in den Fokus gerückt. Wie haben Sie die Angebote, die es gab, wahrgenommen?

Radowitz: Es gibt eine gemeinsame Suchbewegung, im Digitalen kreativ zu werden, das merken wir in den Arbeitskreisen, verbunden mit der Frage: Was ist unsere Haltung, unser Know-how in diesem Bereich, der uns spätestens ab jetzt immer begleiten wird? Es entstehen neue Allianzen, weil man sich mit Filmemacher*innen, Entwickler*innen oder Menschen aus der Gaming-Szene zusammentut. Hier öffnet sich gerade ein neues Feld. Natürlich gibt es aber auch Menschen, die sagen: Diesen Sack möchten wir so schnell wie möglich wieder zumachen und zu Live-Veranstaltungen zurückkehren. Ich nehme aber eher die Neugierde wahr.

Nell: Zu beobachten ist auch, dass die Zusammenarbeit in Teams deutlich agiler geworden ist und dass dezentrale Organisationsstrukturen stärker genutzt werden. Das gilt auch für unser eigenes Team, das eine neue Mitarbeiterin, die im April dazu kam, über die ersten Monate rein digital integriert hat – und das hat wunderbar funktioniert.

nmz: Planen Sie ein Corona-Special im Rahmen des Junge Ohren Preis?

Radowitz: Der Junge Ohren Preis ist noch gar nicht ausgeschrieben. Der letzte wurde virtuell verliehen und wir bas­teln gerade an einem neuen Zuschnitt für 2021, den wir noch in diesem Jahr veröffentlichen werden. Das Thema Digitalität werden wir dabei aber sicher berücksichtigen.

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