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op. 111.
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Op. 111 – eine Analyse in 335 Teilen

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Bad Blog of Musick-Autor Arno Lücker nähert sich Beethoven und analysiert Takt 209
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Im Dezember 2015 begann Arno Lücker die längste Bad-Blog-Serie aller Zeiten. Er analysiert jeden einzelnen Takt von Ludwig van Beethovens letzter Klaviersonate c-Moll op. 111 aus dem Jahr 1822. Das sind 335 Takte, also 335 einzelne Folgen. Am 6. August 2018 erreichte er den letzten Takt des ersten Satzes. Inzwischen ist er bei Takt 209 angelangt, also in der dritten Variation des zweiten Satzes, die für ihren fast schon jazzigen Rhythmus bekannt ist. Der Autor verspricht, die Serie bis zum Beginn des Beethoven-Jahres 2020 abzuschließen – „sofern er oder der Bad Blog of Musick nicht vorher jämmerlich verenden“. Die nmz zeigt die neueste Folge von Lückers Projekt und druckt im Folgenden seinen O-Ton aus dem Bad Blog of Musick ab.

Oh Gott, Beethoven muss wirklich herrlich geistesgestört gewesen sein! Takt 209 ist allein schon optisch der wohl expressivste Takt bisher in dieser Sonate!

Und einmal mehr macht Beethoven etwas sehr schön „Inkonsequentes“ – und zwar, indem er konsequent vorgeht, haha! Denn wir hatten ja das – nennen wir es so – „Notengeschehen“ auf der letzten Achtel von Takt 208 als eine Teilvariation der Melodietöne von Takt 161 verstehen wollen. Heute zeigt sich aber, dass Beethoven erst in Takt 209 sich den Takt 161 variativ vorknöpft!

Als Melodieton gerät jetzt g2 in den Fokus; jeweils in der Oberstimme ganz unterschiedlicher – im gleichen Rhythmus wie im Vortakt strukturierter – Akkorde; einmal ist g2 der Bestandteil eines ganz verminderten Septakkords, wird dann durch den mittelstimmigen Wechsel (g2 selbst bleibt oben liegen) Grundton von G-Dur (im Grunde ist es aufgrund des verwendeten f im Bass horizontal für Nanosekunden ein G-Dur-Sekundakkord), später dann Quinte eines (ebenfalls äußerst schnell vorübergehenden) C-Dur-Sextakkords, um dann tatsächlich konkret Takt 161 zu variieren; nämlich mittels des Sprungs von g2 zu e3 – und schließlich zu c3.

Während Beethoven sich also in der Oberstimme im Grunde eng an dem Arietta-Thema orientiert, macht er – das ist einmal mehr die Beethoven’sche Dialektik, die sich hier paradigmatisch in Noten, Strukturen und, fuck, schaffen wir einfach einen neuen Begriff dafür, Auftauchungen! niederschlägt! – gleichzeitig etwas so Wildes und Aufregendes, dass jedes Gefühl von „Hier will jemand Variationen schreiben“ ausgeschaltet wird. Sowieso. Es ist kein peinliches Wollen, sondern ein kraftvoll, heiligergeistbeseeltes Machen.

Denn die Aufwärtsraketen der linken Hand werden jetzt wesentlich kurzatmiger strukturiert; die 32stel/64stel-Strukturgruppen bestehen nun nicht mehr aus acht, sondern mit Eintreten der zweiten Zählzeit nur noch aus vier Tönen; das ist Drama pur, während auch die Harmonik sich nun deutlich vom „Vorbildtakt“ 161 distanziert; hatten wir es dort noch ausschließlich mit C-Dur zu tun, so finden wir heute in der linken Hand einen horizontal aufscheinenden verminderten Septakkord, ein – jedenfalls in der Unterstimme – grundtonloses G7, die Aufsplittung eines übermäßigen Akkords, der in seiner Horizontalität – durch die Töne dis, h und dis1 – die nachfolgende Dreiklangsbrechung leittönig erreicht (e-g-e1) – und schließlich eine „reine“ C-Dur-Akkord-Brechung, die vom großen C aus emporsteigt.

https://blogs.nmz.de/badblog

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