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Qualität? Qualität! – die feinen Unterschiede

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Gedanken zu einem missverstandenen Begriff
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Allenthalben ist von Privatmusikerziehern und Musikschulen zu hören, dass man Wert darauf lege, einen „qualitativ hochwertigen Unterricht“ anzubieten und diesen Aspekt auch in der Außendarstellung betont, gerade um sich von minderqualifizierten Anbietern abzusetzen, die nur anspruchslosen und an kurzfristigem Spaß orientierten Unterricht anböten. Interessant, wie eigentlich alle von sich selber immer behaupten, man würde qualitativ guten Unterricht anbieten. Unqualifiziert sind immer nur die anderen. Hieran kann man bereits sehen, welche Taschenspielertricks der Qualitätsbegriff auf Lager hat. Die Fallstricke haben aber noch ganz andere Dimensionen.

Deutschland ist ein zertifikatsgläubiges Land. Überspitzt formuliert ist es hierzulande wichtig, dass man möglichst viele Zettel hat, auf denen steht, dass man etwas kann, unabhängig davon, ob man es wirklich kann. Restbestände unhinterfragten obrigkeitsgläubigen Denkens sowie die einschüchternde Wirkung angeblich machtvoller Institutionen verleihen zum Beispiel der Stiftung Warentest oder dem ADAC ihre Glaubwürdigkeit. Selbst die Skandale der letzen Zeit konnten hier wenig anrichten. Testurteile werden grundsätzlich als richtig und zutreffend hingenommen. Deren scheinobjektive Darstellung eines angeblichen „So ist es“ wird angesichts einer immer unübersichtlicheren Alltagswelt als Orientierungsangebot begierig aufgesogen. Und so sind auch Abschlusszeugnisse welcher Art auch immer durch den Stempel der Institution mit einem unangreifbaren Nimbus versehen.

Selbstverständlich ist die Wahrscheinlichkeit höher, nach dem Ende eines Studiums oder dem Besuch einer Fortbildung kenntnisreichen Unterricht zu erteilen. Aber eben nur die Wahrscheinlichkeit. Garantien gibt es nie. Weil ein bestimmtes Zeugnis, eine Teilnahmebescheinigung vorliegt, MUSS jemand nicht automatisch gut sein. Diese Relativierung wird im Alltag häufig vergessen.

Und von der formalen Qualifikation wird meistens automatisch geschlossen auf die Qualität. Dieser Schluss ist bequem, aber nicht immer zutreffend. Es gibt genügend Pädagogen, denen man statt Qualität auch Inkompetenz bescheinigen könnte. Das gilt übrigens auch für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen, wo es in allen Kollegien etliche Personen gibt, bei denen man sich fragt, wie die eigentlich durch das zweite Staatsexamen gekommen sind.

Wie ist in diesem Zusammenhang der Begriff „Qualität“ einzuordnen? Im technischen Bereich kann man Qualität präzise definieren. Im Automobilbau zum Beispiel gibt es die Kennzahl des Spaltmaßes, also des Abstands zwischen zwei Blechteilen. Je kleiner desto präziser desto besser gleich höhere Qualität. Auf unterrichtliche Aspekte bezogen wird die Definition schon schwieriger. Man kann zum Beispiel Checklisten heranziehen, wie sie in etlichen pädagogischen Standardlehrwerken zu finden sind, hinsichtlich der Schülerorientierung, der Angemessenheit didaktischer Modelle auf die zu verhandelnde Sache und so weiter. Man wird aber immer nur Annäherungen an Qualität herstellen können. Methoden müssen zum Schüler und zum Lehrer passen sowie der Sache gerecht werden. Das zu realisieren ist nicht immer einfach, kann auch nicht immer gelingen, denn sobald Menschen beteiligt sind, gibt es personenbezogene Unschärfen, Schwankungen. Umso missionarischer werden unterschiedliche methodische Ansätze zuweilen wie Heilslehren im Brustton der Überzeugung des pädagogischen Nonplusultras dargeboten. Dabei können sie nur ein Ansatz neben vielen anderen sein.

Aber ein voller Methodenkoffer ist ja nur eine Seite. Es kommt ja auch darauf an, im richtigen Moment den adäquaten Ansatz zu finden, der für alle drei Seiten des Dreiecks „Sache – Schüler – Lehrer“ passt und stimmig ist. Wenn man sich selber kritisch beleuchtet, kann man feststellen, dass einem mitunter zuweilen grobe Fehler in der Alltagspraxis unterlaufen, und sei es nur aus Gedankenlosigkeit am Ende eines langen Unterrichtstages oder kurz vor den Sommerferien. Und das ist ja letztlich nur menschlich.

Die Schwierigkeit liegt ja auch darin, dass man eben nicht problemlos und vor allem präzise definieren kann, was eigentlich ein „guter Unterricht“ ist. Alle Auflistungen dazu bleiben notwendigerweise schwammig. Eben jenseits der Präzision einer Spaltmaßvermessung. Pädagogische Qualität ist schlichtweg nicht messbar. Und entzieht sich damit präzis benennbaren Qualitätsdefinitionen.

Völlig unmöglich ist es, mit „hoher unterrichtlicher Qualität“ nach außen aufzutreten, diesen Aspekt als einen Hauptkern der Eigenwerbung darzustellen. Denn unterrichtliche Qualität entzieht sich, da letztlich nicht messbar, somit auch der präzisen Darstellung. Zumal gerade potentielle Kunden (Schüler, Eltern) in der Regel wenig bis keine Ahnung haben von dem, was wir als „guten Unterricht“ auffassen. Da sie meistens nicht wissen, wie die Dinge funktionieren, orientieren sie sich hauptsächlich an einem Punkt, der immerhin präzise benennbar und in der Marktsituation vor allem vergleichbar ist – dem Preis. In vielen Städten gibt es Wartelisten an Musikschulen. Da könnte man meinen, dass dieser Nachfrageüberhang zum Beispiel von Privatmusikerziehern abgedeckt werden könnte. Dem ist aber nicht so, weil offenbar nicht wenige Interessenten lieber auf der Warteliste für den günstigeren (weil entweder kommunal subventioniert oder durch Billiglohnlehrkräfte generiert) Unterricht stehen, als ohne Wartezeit sofort Unterricht zu nehmen, den aber zu einem höheren (unsubventionierten) Preis. Der günstige Preis scheint von daher attraktiver zu sein als qualitativ hochwertiger Unterricht, der entsprechend entlohnt wird. Und das gilt nicht nur für sozial schwache Interessenten, sondern gerade auch für ein ökonomisch gehobeneres Klientel. Wartezeiten für ein Schnäppchen nimmt man in allen gesellschaftlichen Schichten in Kauf. Man ist ja nicht blöd…

Das Gejaule von Musikpädagogen über ungerechtfertigte Dumpinglöhne seitens minderqualifizierter „Kollegen“ läuft mithin also partiell ins Leere, weil man den potentiellen Kunden nicht vorwerfen kann, die feinen fachbezogenen Unterschiede, die uns Branchenkennern allen klar sind, nicht nachvollziehen zu können. Entweder regiert das Gesetz des billigsten Anbieters oder man zieht andere Kriterien zur Entscheidungsfindung hinzu: Bewertungen und Erfahrungen von Bekannten und Freunden, das in der Öffentlichkeit vorhandene Image, reine Äußerlichkeiten wie die verkehrstechnische Erreichbarkeit, die Sauberkeit des Unterrichtsraumes etcetera, zuweilen auch formale Aspekte zur milieuspezifischen Distinktion („In unseren Kreisen hält man sich einen Privatlehrer, der ins Haus kommt.“). Nur: Wenn wir als Fachleute den Qualitätsbegriff des Unterrichts schon nicht präzise benennen können, wie sollen das erst die fachlich ungebildeten Kunden tun? Mit diesem Argument zu werben, ist dementsprechend eine inhaltliche Nullnummer ohne Effekt, ähnlich dem mantrahaft in der Werbung vorgetragenen Neuigkeitsattribut von Waschmitteln. Es dient auf einem immer enger werdenden Markt letztlich nur dazu, dem Anbieter – also uns – das Märchen von „Qualität setzt sich immer durch“ weiterhin glaubhaft zu machen. Sie dient unserer Selbstberuhigung. Dies ist aber das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Die Realität sieht mittlerweile ganz anders aus.

Denn ob die Mehrzahl potentieller Kunden das, was wir, wenngleich auch nebulös, unter „Unterrichtsqualität“ meinen zu kennen, wirklich wollen, ist überaus fraglich. Natürlich will niemand schlechten Unterricht. Wenn man aber Eltern fragt, was denn aus ihrer Sicht guter Unterricht sei, bekommt man maximal gestammelte Worthülsen zu hören. Im Zweifelsfall entscheidet die Mehrheit sich eher nach anderen Kriterien, Kriterien, die ihnen geläufig sind, die sie kennen. Musikpädagogische Qualität im engeren Sinne gehört nicht dazu.

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