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Georgisches Kammerorchester vol 4
Georgisches Kammerorchester vol 4
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Tonträger-Bilanz 2020 von Mátyás Kiss

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Der persönliche Jahresrückblick der nmz-Phonokritiker
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Die schönsten Reize des Alten und des Neuen – Um das Jahr 1770.

Da die meisten Veranstaltungen zum Beethovenjahr abgesagt wurden, bleibt mehr Zeit zum Hören neuer (oder neu aufgelegter) Tonträger, allen voran die neunte, allein dem Jubilar gewidmete Folge der Michael-Gielen-Edition (SWRmusic). Neben der Tonspur zur Ende der neunziger Jahre aufgezeichneten DVD-Box mit allen Neunen gibt es noch Alternativversionen einiger Symphonien, die Eroica sogar dreifach: einmal live aus Frankfurt 1970, dann die legendäre, lange vergriffene Vox-Aufnahme aus Cincinnati (1980) und schließlich eine Baden-Badener Fassung von 1987 als Bonusfilm. René Leibowitz versuchte 1961 in seinem Zyklus mit dem RPO bereits ähnliche, an Beethovens Metronomangaben angelehnte Tempovorstellungen zu realisieren, aber Gielen verfügte über das bessere Orchester und die überlegene Aufnahmetechnik. In geradezu einschüchternder Vollständigkeit, wie bei BIS üblich, präsentiert sich hingegen das Klavierwerk abseits des Sonatenkonvoluts auf 6 SACDs samt Originalbooklets. Ronald Brautigam bringt uns auf Nachbauten von Fortepianos der Beethovenzeit allerlei „Variationen, Bagatellen & Clavierstücke“ (so der Sammeltitel) nahe, die wir sonst kaum je zu hören bekommen. Beethovens Jahrgangsgenosse Antonín Reicha beschloss sein Lebenswerk außerhalb der Gattungskonventionen mit einem konzertanten Quartett für Flöte, Cello, Fagott und Klavier sowie fünf von einem Streichquartett begleiteten Quintetten für die fünf Blasinstrumente, welche zusammen das seit Reicha kanonische Bläserquintett bilden. Die unübertreffliche Einspielung der sechs halbstündigen Werke durch das Consortium Classicum für MDG wurde jetzt mit symphonischen Werken zu einer 4-CD-Box gebündelt. Aber erst „Lenore“, eine von Frieder Bernius mitreißend musizierte „Dramatische Kantate“ nach einer seinerzeit beliebten Schauerballade von Bürger, zeigt Reichas wahre Kunst der Orchesterbehandlung (Orfeo). Dem gleichaltrigen Christian Heinrich Rinck (gest. 1846), bisher leidlich für seine Klavier-, Orgel- und Kirchensachen bekannt, widerfährt bei MDG gerade die Ehre, vom Trio Parnassus auf 2 SACDs anhand seiner Klaviertrios und begleiteten Sonaten als ohrenschmeichelnder Kammermusiker entdeckt zu werden. 1770 gestorben ist der Wundergeiger und Pädagoge Giuseppe Tartini, der außer „teuflisch“ schweren Solosonaten an die 150 Violinkonzerte in der Vivaldi-Nachfolge hinterließ, von denen Evgeny Sviridov für seine temperamentvolle Aufnahme mit dem Millenium Orchestra fünf ausgewählt hat (Ricercar). Im selben Jahr verschied Tartinis französischer Kollege Louis-Gabriel Guillemain, der allerdings wegen Lampenfiebers im Verborgenen wirkte. Alana Youssefian & Le Bien-Aimé lassen anhand seiner Sonaten und (Kammer-)Symphonien keinen Zweifel an Guillemains „Brillance Indéniable“ (Avie). Sieben Jahre vor den Bonner Jugendfreunden, also 1763, wurde bei Ingolstadt Johann Simon Mayr geboren, dessen 175. Todestag am 2. Dezember wir dringend begehen sollten. Von ihm sind gerade einmal zwei haydneske Klavierkonzerte überliefert – wunderbar auf einer SACD von Edna Stern und dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt festgehalten (Ars Produktion) – dafür jedoch ungezählte, immer originell instrumentierte Kantaten, Opern und Oratorien. Der Dirigent Franz Hauk ist im Laufe von bald zwei Dutzend Produktionen für Naxos zum weltweit führenden Mayr-Exegeten avanciert. Die unter Studiobedingungen tadellos gesungene Ersteinspielung von „Le Due Duchesse“ (eine Semiseria von 1814) bestätigt sowohl Hauks Expertise als auch Mayrs Rang als bedeutendster Opernkomponist um 1800.

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