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Brodelnde Diskussionen beim Stuttgarter Symposium. Foto: Elias Bertsch
Brodelnde Diskussionen beim Stuttgarter Symposium. Foto: Elias Bertsch
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Von der Professionalität pädagogischen Handelns

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Zum Symposium „Wege zur Lehrerpersönlichkeit“ in Stuttgart
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An Pilotinnen und Piloten werden höchste Ansprüche gestellt. Erst nach vielen Tests und Eignungsverfahren werden sie überhaupt zur Berufsaus-bildung zugelassen. Das stellt auch keiner in Frage, denn schließlich liegen eines Tages das Leben und die Sicherheit vieler Menschen in ihrer Hand. Welchen Stellenwert haben in unserer Gesellschaft dagegen das Auswahlverfahren und die Berufsausbildung angehender Lehrerinnen und Lehrer? Liegt nicht auch in ihren Händen eine große Verantwortung? Nachdem er diesen Vergleich gezogen hat, blickt Prof. Dr. Hans Gruber, Mitglied im Fachkollegium Erziehungswissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in nachdenkliche Gesichter.

Mit Fragen rund um das Thema Lehrerbildung befassten sich im Juli 2014 im Rahmen eines dreitägigen Symposiums an der Freien Hochschule Stuttgart Expertinnen und Experten sowie Teilnehmende aus ganz Deutschland. Die unterschiedlichen Themen der Vorträge und Foren standen dabei synonym für die ebenso verschiedenen und vielfältigen Kompetenzen und Anforderungen des Lehrberufs gerade auch in Bezug auf die Lehrerpersönlichkeit und gingen unter anderem folgenden Fragen nach: Wie kann eine angemessene Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit aussehen? Inwiefern sind Begabung oder Interesse, Training oder Bildung, Fachwissenschaft oder Pädagogik Bedingungen und Voraussetzungen für die Wege zur Lehrerpersönlichkeit? Wie entsteht Professionalität pädagogischen Handelns und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Hochschulbildung und -entwicklung? Können Konzepte aus der empirischen Bildungsforschung, Anthropologie, kompetenzorientierten Lehrerbildung oder Waldorfpädagogik neue Ansatz- und Verknüpfungspunkte bereitstellen?

Prof. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Göttingen, eröffnete die Tagung mit einem Vortrag zu „Anthropologischen Grundlagen in der Lehrerbildung“ und entlarvte eine scheinbar banale Tatsache als möglichen Ausgangspunkt für grundlegende Strukturen der Lehrer- als auch Schülerbildung, denn: allen (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern beziehungsweise Schülerinnen und Schülern dieser Welt sei eines gemeinsam: „Sie sind Menschen.“ Jeder Mensch reagiere auf sein Umfeld, ob bewusst oder unbewusst. In diesem Zusammenhang stellte Rittelmeyer auch seine „Resonanztheorie“ vor: kühl wirkende Räume senken unsere Körpertemperatur. Die Körperwärme sei also durchaus abhängig von der Psyche. Ohne diese Körperresonanz, so Rittelmeyer, würden wir auf unser Umfeld völlig gleichgültig reagieren.

Bedeutung des Lernumfelds

Diese Überlegungen haben Konsequenzen für das Lernumfeld: die Architektur der Schulgebäude, die Einrichtung der Unterrichtsräume – alles wirke sich auf unser körperliches und geistiges Empfinden aus. Empathiefähigkeit und soziale Intelligenz werden ebenfalls körperlich angeregt: „Sehen wir einen lächelnden Menschen, imitiert unser Körper nicht selten dieses Lächeln (Stichwort: Spiegelneuronen) und versetzt uns in einen ähnlichen Zustand wie unser Gegenüber“, erklärt Rittelmeyer während die Zuhörer einer lächelnden Frau auf der Leinwand entgegenschmunzeln. Rittelmeyer fordert daher „mehr Theater“ an Schulen und betont die „Bildungspotentiale bestimmter künstlerischer Fähigkeiten“. Auch die Musik darf laut Rittelmeyer nicht zu kurz kommen, da „das Erzeugen und bewusste Wahrnehmen kunstvoller Klänge zu einem besseren Erkennen emotionaler Botschaften in Gesprächen führt“.

Prof. Dr. Peter Loebell, mit Prof. Dr. Guido Pollak gemeinsamer Initiator des Symposiums, betonte ebenfalls die Wichtigkeit von Kunst und Menschenkunde in der Lehrerbildung. Für Letzteres beruft er sich auf die Hattie-Studie, welche der Lehrer-Schüler-Beziehung eine größere Rolle als der Fachkompetenz nachweise. Praktika und Unterrichtshospitationen zählt er daher zu den wesentlichen Bestandteilen der Lehrerbildung. Darüber hinaus ruft er dazu auf, Lerntheorien kritisch zu prüfen und pädagogisches Handeln stets an das aktuelle Umfeld anzupassen.

Besonders im Forum „Aufwachsen in der Medienwelt“ brodelte es in der an die Vorträge anschließenden Diskussion, in welcher Gefahren und Chancen der modernen Medien debattiert wurden. Dr. Christian Müller, E-Learning-Experte an der Universität Passau, sieht ein großes Potenzial des Medieneinsatzes im Schulunterricht. Er wirbt für eine Verknüpfung der realen mit der digitalen Welt, indem zum Beispiel nach Erarbeitung eines Themas oder Durchführung eines Projekts Lerninhalte in die digitale Welt exportiert werden. Dies könne beispielsweise im Kontext einer Schulhomepage oder ähnlichem stattfinden. Dr. habil. Edwin Hübner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie in Stuttgart sowie Dozent an der Freien Hochschule Mannheim, gibt zu, dass das Thema Medien nicht unüberlegt ausgeklammert werden kann. So zitiert er Rudolf Steiner: „Aller Unterricht muss Lebenskunde sein.“ und ergänzt, dass unser heutiges Leben nun einmal viel mit Technik zu tun habe. Er schlägt in Anlehnung an Rittelmeyer allerdings vor, solange der Leib ausgebildet werde, also in den ers­ten Lebensjahren, auf moderne Medienträger zu verzichten, denn: „Medienträger machen leibfrei.“ Werden die Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren zunehmend in die Medienwelt geführt, müsse ihnen auch der kritische Umgang mit Quellen aus dem Internet und Medien im Allgemeinen vermittelt werden.

Schulsystem und Gesellschaft

Einhergehend mit der Frage nach der Lehrerausbildung stellt sich die Fra-ge, welches Wissen und welche Kompetenzen an unsere Kinder vermittelt werden sollen. Einen Weg zur Vermittlung gesellschaftlicher Werte stellten Prof. Dr. Christina Schenz, Professorin für Grundschulpädagogik an der Universität Passau, und Dr. Thomas Maschke, Dozent am Institut für Wal-dorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität, vor: Die demokratisch-inklusive Schule. Demokratie bedeutet, jeder darf mitbestimmen und mitgestalten. Der Demokratiegedanke hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft – vielleicht zu hoch, als ihn nur mit einer Definition und ei-nem Tafelanschrieb zu erklären, kritisiert Schenz, denn: Demokratie kön-ne bereits in der Schulgemeinschaft gelebt werden. Dafür bräuchten wir ein Schulsystem und eine Lernumgebung, die den Schülerinnen und Schü-lern ein selbstbestimmtes Lernen mit vielen Freiräumen ermögliche. Solle sich unsere Gesellschaft in der Schule widerspiegeln, bedeute das außer-dem auch, Menschen unterschiedlichen Alters zusammenzuführen und auch Menschen mit Beeinträchtigung in den Lernverband aufzunehmen. Um als Lehrperson auf die Bedürfnisse eines derart heterogenen Klassenverbandes eingehen zu können, bedürfe es abgesehen von einer umfassenden pädagogischen Schulung oftmals auch der Unterstützung durch eine zweite Lehrperson. Der Unterricht könne somit im Team stattfinden oder auch phasenweise aufgeteilt werden. In Norwegen ist das sogenannte „Team-Teaching“ bereits Alltag. Idealismus in Ehren, doch die Integration aller Menschen in ein Schulsystem empfanden einige Hörer des Forums als unrealistisch. Auch darauf hat Schenz eine Antwort: „Wichtig ist das Angebot – die Umsetzung muss Kompromisse finden“.

Die hohen Ansprüche, die wir an die Lehrerinnen und Lehrer von morgen stellen, seien schlichtweg unrealistisch, fasst Prof. Dr. Gruber zusammen. Pädagogisch, psychologisch, fachlich und fachdidaktisch umfassend gebildet zu sein, ist eine Lebensaufgabe und nur mit den Wesenszügen eines kritikfähigen, selbstkritischen und stets um Verbesserung bemühten Menschen zu erreichen. Letztere Werte, betont Huber, seien darum in der Lehrerbildung ebenso wichtig zu vermitteln wie fachliches Wissen.

Wir dürfen uns auf die geplante Publikation zu allen Themen der Tagung freuen.

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